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Alexander Dugin: „Wir müssen angreifen!“

Posthumanismus, Genderpolitik, Cancel Culture, anti-religiöse Strömungen: Der Liberalismus des „Great Reset“ ist das Angriffsziel des Putin-nahen Intellektuellen Alexander Dugin .
Alexander Dugin will den westlichen Liberalismus mit allen Mitteln bekämpfen
Foto: IMAGO / Russian Look | Philosophiert gerne mit dem Hammer: Der Putin-nahe Alexander Dugin will den westlichen Liberalismus mit allen Mitteln bekämpfen und träumt von einem eurasischen Reich von Wladiwostok bis Dublin.

Der Putin-nahe Politologe Alexander Geljewitsch Dugin fordert in seinem im Oktober erschienenen Buch „Das große Erwachen gegen den Great Reset“: „Wir müssen angreifen!“ Denn „im Moment – solange in den USA ein Idiot an der Macht ist“, habe Russland die historische Chance, „seinen Einflussbereich fast weltweit dramatisch auszuweiten“. Das schreibt der 1962 geborene Dugin in ungehobelter Brutalität und meint den amerikanischen Präsidenten Biden. Darf man Dugin deshalb als den geistigen Brandstifter des aktuellen Ukraine-Krieges des Kremls bezeichnen? Wahrscheinlich, denn Putin höre auf den russischen Politologen, der philosophische Versatzstücke benutzt, heißt es.

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Biden sei die Chance zum „Angriff“

Der „Deutschlandfunk“ bezeichnet Dugin als Chefideologen der „Eurasischen Bewegung“ und sieht ihn mit dem Osteuropahistoriker Andreas Umland zwar nicht als „Hofideologen Putins, und doch mache ihn sich der Kreml zunutze“, während die F.A.Z schon 2014 zu Dugin titelte: „Auf diesen Mann hört Putin“. Zwischen 2010 und 2014 lehrte Dugin an der Soziologischen Fakultät der Lomonossow-Universität in Moskau. Den Lehrstuhl hat er verloren wegen seines Aufrufs zur Tötung von Ukrainern – in der Ukraine hatte er schon seit 2007 Einreiseverbot. In seinen Büchern will sich Dugin in eine antiliberale Tradition stellen, die er mit Namen wie Nietzsche, Julius Evola, Carl Schmitt oder der neuen deutschen und russischen Rechte verbindet.

Dugin ruft in seinem Buch tatsächlich zu Kampf und Krieg gegen den westlichen Liberalismus auf; die Einträge hierzu datiert er im letzten September. Er schreibt ausdrücklich nicht gegen den Westen als solchen, aber gegen dessen Ideen der liberalen Globalisierung mit ihren Kernthemen „Posthumanismus, Genderpolitik, Cancel Culture, Feminismus und allen Arten anti-religiöser Bewegungen“. Um diesen Liberalismus zu beseitigen ist sein Ziel die Errichtung eines eurasischen Reichs von Wladiwostok bis Dublin unter russischer Führung.

Unter Lenin gab es noch eine Option auf Selbstbestimmung der Völker

Es ist längst bedeutungslos geworden, was Lenin im Oktober 1917 in der Zeitung „Rabotschi Putji“ schrieb: „Ferner ist es unsere Pflicht, sofort die Bedingungen der Ukrainer und Finnländer zu erfüllen, ihnen wie auch allen anderen Nationalitäten in Russland die volle Freiheit einschließlich der Freiheit der Lostrennung zu sichern.“ Die Geschichte hat seitdem gezeigt, dass Russland immer wieder Großmachtphantasien gegenüber diesen Ländern hat – die Ukraine sieht sich jetzt im Krieg mit Russland, Finnland wird bedroht.

Für Dugin ist das der normale Lauf der Dinge. Denn er sieht in der „Verbreitung der Demokratie“ durch den „Great Reset“ die größte Bedrohung Russlands. Dieser „Great Reset“ sei 2020 beim Davosforum von dessen Gründer Klaus Schwab sowie von Prince Charles von Wales als neuer Plan für die Menschheit verkündet worden. Die Hauptpunkte dieses „Great Reset“ fasst Dugin zusammen: die Kontrolle des weltweiten öffentlichen Bewusstseins mit dem Kern der „Cancel Culture“, die Zurückweisung moderner industrieller Strukturen durch den Übergang in eine ökologische Ökonomie sowie die schrittweise Ersetzung der Arbeitskraft durch Cyborgs und künstliche Intelligenz.

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China, Russland, Iran oder die Türkei seien Gegner der Globalisierung

Dugin will die Globalisierung dieser Strukturen bekämpfen, und die im Westen stärkste Figur sieht er mit Donald Trump auf seiner Seite; nicht die Person Trump, sondern das antiglobalistische Phänomen, den „Trumpismus“. Biden dagegen verkörpert für Dugin den „Great Reset“, er sei als Präsident zur Globalisierung wieder zurückgekehrt mit Druck auf allen Ländern, die der Globalisierung widerstehen wollen wie China, Russland, Iran oder die Türkei.

Dugin sieht die Globalisierung heute in der Endphase, begonnen habe sie mit dem Universalienstreit im Mittelalter. Während die Realisten die Realität der Universalen anerkannt hätten mit ihrem bekanntesten Vertreter Thomas von Aquin, seien die Nominalisten das Problem gewesen, die nur die „individuellen Dinge und Wesen als real“ angesehen hätten mit ihrem Hauptvertreter Wilhelm von Ockham. Dugin: „Der ,Nominalismus‘ bereitete den Boden für den zukünftigen Liberalismus, sowohl in ideologischer als auch in ökonomischer Hinsicht.

Kollektive Identitäten seien abgeschafft

Hier wurden die Menschen nur als Individuum angesehen und sonst nichts, und alle Formen der kollektiven Identität (Religion, Klasse usw.) wurden abgeschafft.“ Dugin überträgt hier das mittelalterliche Erkenntnisproblem des Einzelnen oder Individuellen, das bis heute ein Erkenntnisproblem geblieben ist, auf die menschlichen Individuen. Damit ist es aber keine Frage mehr des Nominalismus, denn der Mensch hat qua Vernunftwesen Teil am Universalen. Dugin müsste also zeigen, dass der „Great Reset“ den Menschen als Vernunftwesen ausschaltet, etwa durch Bewusstseinskontrolle; das zeigt er aber nicht.

Wie Dugin seine Thesen zum Liberalismus begründet, mag von vielen Konservativen geteilt werden und ein Grund sein, warum sie für seine Thesen so anfällig sind, während sie dabei das große Ganze seines Weltbildes verkennen. Der globale Liberalismus ist der von Dugin erklärte Hauptfeind, und da gebe es die Stufen 1.0 und 2.0. Die zentralen Figuren in dieser Entwicklung sind für ihn Hayek, Popper und Soros als führende Ideologen des Liberalismus.

Der Liberalismus habe seine Endphase erreicht

Der Ökonom Friedrich von Hayek auf der Ebene 1.0 sei noch ein vorsichtiger Wissenschaftler gewesen, der die bestehenden Strukturen nicht zerstören, sondern weiterentwickeln wollte. Er sah sich theoretisch nicht in der Lage, die Zukunft genau zu berechnen und zu bestimmen. Dieser Akzent Dugins wirkt etwas konstruiert, denn Hayek wollte mit seiner Betonung des Individualismus gegenüber diktatorischer Planwirtschaft eben dieses Planungsdenken verhindern, was sehr wohl zukunftsbezogen ist. Hayeks Schüler, der Philosoph Karl Popper, habe dann mit seinem Hauptwerk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (1945) die Verschiebung zum Liberalismus 2.0 eingeleitet.

Denn jetzt gehe es nicht mehr um Hayeks offene Gesellschaft, sondern um die Bekämpfung ihrer Feinde, die Popper in Platon und Aristoteles, Hegel und Schelling sehen wollte. „Jeder Feind der Offenen Gesellschaft ist per definitionem ein ideologischer Verbrecher – es ist unwichtig, ob er (oder sie) sich auf der linken oder rechten Seite des politischen Spektrums befindet“, fasst Dugin zusammen. George Soros, wiederum Schüler von Popper, sei am Ende des Liberalismus angekommen, indem er alles angreift, was Hayek noch befürwortete und der nun selbst aktiv Posthumanismus, Genderpolitik, Cancel Culture, Feminismus und Antireligiosität fördere. Hierdurch wendet sich nach Dugin der Liberalismus gegen sich selbst, weil er letztlich den Menschen vernichte.

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In der „imperialen Mission“ liege das historische Schicksal

Der Liberalismus sei somit totalitär, es gibt dann keine äußeren Feinde mehr, nur noch den inneren Feind. Dugin sieht nun geradezu eine metaphysische Mission Russlands, „dass die Russen etwas Großem und Entscheidendem in der dramatischen Situation der Endzeit gegenübertreten, dem Ende der Geschichte“, in der sich der Liberalismus mit seinem „Great Reset“ totalisiert und die Geschichte damit zum Stillstand gebracht habe. Hierin sieht Dugin die „Seuche des 21. Jahrhundert“, die im Großen Erwachen der nicht globalisierten Völker radikal beseitigt werden müsse: „Das bedeutet, dass unser Wiederaufleben ohne die Rückkehr zur imperialen Mission, die unserem historischen Schicksal zu Grunde liegt, unverständlich ist.“

Dugin spricht auch von imperialer Wiedergeburt. Hier beginnt der Politologe vollends zu phantasieren, wenn er hierbei von historischem Schicksal und dem „Katechon“ als Aufhalter des Bösen spricht – ein Ausdruck, den schon der Stauferkaiser Friedrich I. bemüht hat. Dugin zeigt nicht und kann es wohl nicht zeigen, warum Geschichte normativ werden muss und warum die „Wiedergeburt Russlands“ Vorbild und „Beispiel für andere Reiche“ werden soll. Er kann diese Normativität genauso wenig begründen wie Gendertheoretiker zeigen können, warum das Geschlecht wegen eines Gefühls umdefiniert werden muss.

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Was der einen „alternativlos“, ist dem anderen „nicht mehr rückgängig zu machen“

Dugin übersieht offenbar, dass im Westen selbst zunehmend Widerstand gegen den „Great Reset“ entsteht. Amerika aber hat sich in Dugins Sicht schon selbst erledigt, wie die Zustimmung fast der Hälfte der Amerikaner für den Antiglobalisten Trump gezeigt habe: „Das Amerika, das wir kannten, gibt es nicht mehr. Die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ist nicht mehr rückgängig zu machen“ – Dugin denkt gerne Endgültiges. Zerstört werden müssten aber noch die „ideologischen Waffen“ Microsoft, Google, Twitter, Apple, YouTube oder Facebook.

Und Putin? Dugin sagt hierzu: „Das Wiederaufkommen von Putins Russland kann als eine neue Mischung der sowjetartigen Strategie von anti-westlicher Politik und traditionellem russischen Nationalismus evaluiert werden.“ Also eine im Sinne Dugins positive Würdigung. Das Handeln Putins scheint jedenfalls in der Ukraine, in Syrien oder mit China den lebensgefährlichen Idealen Dugins zu entsprechen.


Literaturhinweis:

Alexander Dugin: Das große Erwachen gegen den Great Reset.
Arktos Verlag 2021, 123 Seiten, ISBN 978-1-914208-59-1, gebunden EUR 11,95

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