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Paragraph 218: Was steckt dahinter?

Was will der „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ und wie wahrscheinlich ist es, dass er durchkommt? Eine Analyse.
Deutscher Bundestag, Bundeskanzler Scholz
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | Reine Wahlkampftaktik: Mit dem 218-Vorstoß beabsichtigt Scholz, die CDU auf Kosten der AfD zu schwächen, argwöhnen Unionspolitiker.

Manchmal verbirgt sich Unrecht hinter einer Nummer. In diesem Fall lautet sie 20/13775. Vergeben vom Parlamentssekretariat ziert sie den „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“. Der wurde vergangenen Donnerstag von 236 Abgeordneten aus den Reihen von SPD, Bündnis 90 /Die Grünen und der Gruppe der Linken im Bundestag eingebracht. Zu den Erstunterzeichnern zählen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck, Außenministerin Annalena Baerbock, Familienministerin Lisa Paus (alle Grüne) sowie Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD), die als „SheDecides“-Champion vorgeburtliche Kindstötungen auch schon mal im Ehrenamt bewirbt. Auch die beiden Bundestagsvizepräsidentinnen Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Petra Pau (Die Linke) sowie die SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil haben den Antrag gezeichnet.

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Der will vorgeburtliche Kindstötungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche post conceptionem (14. Schwangerschaftswoche post menstruationem) erstmals für „rechtmäßig“ erklären. In diesem Stadium ist der Foetus regelmäßig etwa sechs bis sieben Zentimeter groß und wiegt 14 bis 20 Gramm. Die wichtigsten Organe – Herz, Lunge, Leber, Nieren – sind bereit vollständig entwickelt und funktionstüchtig. Das Herz schlägt mit einer Frequenz von 120 bis zu 160 Schlägen pro Minute. Auf Ultraschallaufnahmen lassen sich Augen, Nasen, Mund und Ohren klar erkennen. Gleiches gilt für die Augenlider. In vielen Fällen wachsen dem Foetus auch schon die ersten feinen, „Lanugo“ genannten Haare.

Bedenkzeit soll gestrichen werden

Nach geltendem Recht sind Abtreibungen grundsätzlich „rechtswidrig“. Die die vorgeburtliche Kindstötung in Auftrag gebende Schwangere und der sie ausführende Arzt gehen jedoch regelmäßig „straffrei“ aus, wenn sich die Schwangere zuvor in einer staatlich anerkannten Schwangerenkonfliktberatungsstelle hat beraten lassen und zwischen der Beratung und der Abtreibung des Kindes mindestens drei Tage Bedenkzeit liegen. 20/13775 will die Beratungspflicht der Schwangeren unangetastet lassen, dafür aber die dreitägige Bedenkzeit streichen. Die Kosten für die vorgeburtliche Kindstötung, die je nach Einrichtung und Methode zwischen 300 und 600 Euro variieren, sollen die Krankenkassen tragen.
Begründet wird die Neuregelung in dem Entwurf damit, der 1995 auf Basis eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1993 gefundene Kompromiss verstoße „gegen die Grundrechte der Schwangeren“ und stehe „im Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen Deutschlands“.

Mit dieser Ansicht dürften seine Initiatoren jedoch allein auf weiter Flur stehen. Nach Ansicht des Bonner Staatsrechtlers Christian Hillgruber und des Würzburger Medizinrechtlers Rainer Beckmann tritt beides nicht zu. Der Göttinger Staatsrechtler Steffen Augsberg, bis April dieses Jahres acht Jahre lang Mitglied der Deutschen Ethikrats, vertritt gar die Auffassung, folge man „der Logik des 2. Abtreibungsurteils“ müsse man „eher überlegen“, ob die geltende Regelung „nicht verschärft gehört“.

Unvereinbar mit Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Die von den Urhebern des Gesetzentwurfs vertretene Auffassung, dass dem ungeborenen Menschen ein abgestuftes Lebensrecht zukomme, das erst mit der Geburt zu einem Vollrecht erstarke, sei, so Hillgruber, unvereinbar mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Tatsächlich kommt laut dem Urteil der Karlsruher Richter das „Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – ,Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit‘) ungeborenen Menschen in gleicher Weise zu, wie geborenen: ,…Das Recht auf Leben wird jedem gewährleistet, der lebt; zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden. Jeder im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist jeder Lebende, anders ausgedrückt: jedes Leben besitzende menschliche Individuum; jeder ist daher auch das noch ungeborene menschliche Wesen“ (Vgl. BVerfGE 39, 1). Dass es sich bei der Abtreibung um „die Tötung eines ungeborenen Menschen handelt“ mache auch ihre Einordnung als „Straftaten gegen das Leben“ im Strafgesetzbuch deutlich, so Hillgruber weiter.

Auch die Deutschen Bischöfe wiesen den Vorstoß zurück. Es gehe beim Thema Abtreibung um sehr grundsätzliche verfassungsrechtliche und ethische Fragen, sagte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Matthias Kopp, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): „Wir halten eine Reform des Schwangerschaftsabbruchsrechts für überhaupt nicht geeignet, in der derzeitigen politischen Situation im Bundestag noch behandelt und abgestimmt zu werden.“ Ein für eine solche Gesetzesänderung notwendiges, geordnetes Verfahren und eine angemessene Auseinandersetzung könnten zwischen Vertrauensfrage, Auflösung des Bundestages und Neuwahlen nicht stattfinden. „Ein derartiger Umgang stärkt nicht das Vertrauen in Politik und Demokratie.“

Einer seriösen Diskussion geht man so aus dem Weg

Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) griff vor allem Bundeskanzler Scholz an. „Ich bin wirklich entsetzt darüber, dass derselbe Bundeskanzler, der immer wieder vom Zusammenhalt, vom Unterhaken und von Gemeinsinn spricht, auf der Liste dieses Gruppenantrages mit seiner Unterschrift erscheint“, so Merz. Fraktionsvize Dorothee Bär (CSU) sagte der Nachrichtenagentur AFP: „Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden wir uns mit aller Kraft dagegen wehren (...) Ein solch sensibles Thema nun im Schnellverfahren durch den Bundestag zu jagen, ist ein Skandal ohne Gleichen (...) Das zeigt, wie skrupellos Grüne und SPD jetzt noch kurz vor knapp, ohne Mehrheit und vermutlich am liebsten auch ohne Debatte ihre Interessen bedienen wollen.“

Skandal hin oder her. Die entscheidende Frage lautet: Reicht die Zeit, um das Gesetzesverfahren bis zu den Neuwahlen am 23. Februar unter Dach und Fach zu bringen? Antwort: Ja, sofern der Bundestag nicht zusätzlich zu der letzten Sitzungswoche im November weitere Sitzungswochen streicht, reichen die verbleibenden sechs Sitzungswochen aus, um 20/13775 durch die Erste Lesung, die Öffentliche Anhörung und die Zweite und Dritte Lesung zu peitschen. Gelingt das, hinge alles von der Disziplin der anderen Fraktionen ab. 733 Abgeordnete hat der Bundestag. Jeder Unions-, FDP- oder AfD-Abgeordnete, der der Abstimmung fernbliebe, würde das Quorum herabsetzen, das SPD, Grüne und Linke benötigten, um ihren Gesetzesentwurf ins Ziel zu bringen.

Seriöse Diskussion nicht erwünscht

Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Günter Krings (CDU), sagte der „Tagespost“, er rechne damit, dass die Unterzeichner aus den Reihen von SPD, Grünen und Linken „alles daransetzen werden, um die Dritte Lesung ihres Gesetzesentwurfs im Hauruckverfahren in den verbleibenden Sitzungswochen durch das Parlament“ zu bringen. Das sei auch „vom Verfahren unanständig, weil man damit gezielt einer gründlichen und seriösen Diskussion aus dem Weg gehen will“. Für die Union sei klar: „Unsere Verfassung schützt auch das ungeborene Leben.“ Bezeichnend sei, dass Olaf Scholz zu den Initiatoren der ganzen Aktion gehöre. Krings: „Im Bundestag beschwört der noch amtierende Kanzler den Zusammenhalt der Gesellschaft, während er hier eiskalt einen guten Konsens aufkündigt und die Spaltung unseres Landes befördert.“

Scholz gehe es „um Taktik“. Der Kanzler wolle „die Union mit Blick auf den Wahlkampf in die Nähe der AfD rücken“. Scholz hoffe, auf diese Weise bewirken zu können, dass „die Union schwächer“ werde, und nehme dafür gerne in Kauf, dass das „die AfD stärke“. Danach gefragt, ob die Union das Bundesverfassungsgericht – wie verschiedentlich angekündigt – auch dann anrufen würde, wenn der Bundestag beschlösse, Abtreibungen bis zur 14. Woche für „rechtmäßig“ erklären zu wollen und man nach Neuwahlen mit SPD und/oder Grünen eine Koalition bilden müsste, sagte Krings: „Das wird niemanden bei uns von einem solchen Schritt abhalten.“

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