In den 50er Jahren gab es noch Wahlhirtenbriefe, die ziemlich unverblümt die Wahl der CDU und CSU empfahlen. Es waren Zeiten, als man im katholischen Sauerland den einen „Sozi“ im Dorf kannte – und nur knapp grüßte. Dann kam die schleichende Entfremdung. Als schließlich Papst Johannes Paul II. der Union in der Beratungsscheinfrage in die Quere kam, Angela Merkel mit Falschbehauptungen Papst Benedikt attackierte und jetzt am Schluss ein führender CDU-Mann die Attacke der Vertreter beider Kirchen auf die Union mit „überrascht nicht, interessiert nicht“ quittierte, hing der Haussegen endgültig schief. Ist die Union in dieser Lage für Katholiken überhaupt noch wählbar?
Jede Bundestagswahl wurde schon mal als Schicksalswahl bezeichnet – doch diesmal könnte das wirklich stimmen. Angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaft abstürzt, der neue amerikanische Präsident unser Land verachtet und bedroht, wir in Europa isoliert sind und uns Putin mit allen Mitteln attackiert, brauchen wir einen Bundeskanzler, der diesen gewaltigen Herausforderungen wirklich gewachsen ist, wenn Deutschland noch eine gute Zukunft haben soll, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt.
Gesucht wird ein Retter in der Not
Doch der Wahlkampf scheint das völlig aus dem Auge zu verlieren. Die Kriterien, nach denen die Kandidaten bewertet werden, erinnern an „Casting-Shows“. Doch Bundeskanzler Adenauer war sicher kein „Frauentyp“, Winston Churchill lockte keine jungen Leute an und Charles De Gaulle hätte am Küchentisch neben Robert Habeck ziemlich steif gewirkt. Doch alle drei waren in größter Not für ihre Länder die Rettung.
Gesucht wird jetzt also ein Kanzler, der der Wirtschaft kompetent Sicherheit vermittelt, der von Trump ernstgenommen wird, in Europa anerkannt ist und vor Putin keine Angst hat. Dieses psychologische Profil trifft mit Abstand nur auf einen einzigen Kanzlerkandidaten zu, nämlich auf Friedrich Merz.
Warum sagt das kaum jemand so klar? Offensichtlich gibt es da gewisse psychologische Hemmnisse. Da sind zum Beispiel die alten Hasen unter den Journalisten, die sich noch an den jungen konservativen Fraktionsvorsitzenden der Union erinnern, der mit rhetorischer Verve gegen einen links-grünen Zeitgeist anredete. Das nimmt manch einer ihm heute noch übel. Dann gibt es in den Medien und vor allem in den sozialen Netzwerken ein Übermaß an gefühlsmäßigen Beurteilungen, viel Bauch, wenig Kopf. Unter diesem Aspekt wirken natürlich all die Fähigkeiten, die ein Kanzler haben müsste, unsympathisch: Entschiedenheit wirkt unempathisch, Führungsqualität arrogant und Kompetenz belehrend. In einer so ernsten Situation wie jetzt darf diese Personalentscheidung auch nicht vom Lachen eines Kandidaten zur Unzeit abhängen, die uns 2021 aus Versehen einen Kanzler bescherte, den sogar seine eigene Partei eigentlich nicht wollte.
Olaf Scholz hat dann drei Jahre lang gezeigt, dass er dem Job nicht gewachsen ist. Er konnte nicht führen, nicht entscheiden, stieß die Europäer vor den Kopf und zuckte bei jeder Drohung Putins zusammen. Seine Medienberater gaben ihm offenbar den Tipp, diese Defizite „Besonnenheit“ zu nennen, aber das änderte natürlich nichts an den Tatsachen. Selbst SPD-Wähler hielten Scholz am Ende für ungeeignet, aber die SPD schaffte nicht, was der Union 1966 gelang, als sie den überforderten Kanzler Ludwig Erhard erfolgreich zum Rücktritt drängte.
Robert Habeck, der Verantwortliche für das dilettantische Heizungsgesetz, als Kanzler wäre ein katastrophales Signal an die Wirtschaft, und wer am Küchentisch brilliert, qualifiziert sich damit noch nicht für ein Gespräch auf Augenhöhe mit Donald Trump oder eine angstfreie Kommunikation mit Wladimir Putin.
Scheitert die SPD 2029 an der Fünfprozenthürde?
Logisch wäre also, dass die große Mehrheit der Deutschen Friedrich Merz jetzt die Chance gibt, nach dem Desaster der Ampelkoalition einen klaren Politikwechsel umzusetzen. Sogar für SPD-Sympathisanten wäre es eigentlich logisch, die Union zu wählen, damit nicht wieder aus Versehen Olaf Scholz Kanzler würde, was wegen seiner bewiesenen Unfähigkeit die SPD 2029 an der Fünfprozenthürde scheitern lassen könnte.
Logisch wäre eigentlich auch, dass AfD-Sympathisanten wieder die Union wählten, weil da die alten Merkelianer inzwischen resigniert haben und die CDU sich auch in ihrem neuen Grundsatzprogramm definitiv von der Merkelschen Politik abgewandt hat, wegen der ihr damals Alexander Gauland und andere CDU-Recken den Rücken gekehrt hatten. Das wurde bei der Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz klar, als die Intervention von Angela Merkel keinerlei Einfluss auf das Abstimmungsverhalten der Unionsabgeordneten hatte. Vor allem ist Friedrich Merz völlig unverdächtig, ein heimlicher Anhänger Angela Merkels gewesen zu sein.

Logisch wäre für antirotgrüne AfD-Sympathisanten die Wahl der Union vor allem deswegen, weil sie sonst einen wirklichen Politikwechsel verhinderten. Je weniger Stimmen nämlich die Union bekäme, desto mehr wäre sie auf SPD oder Grüne angewiesen, und so würde die Wahl der AfD unabsichtlich die unselige Merkelsche Kompromisspolitik weitere vier Jahre verlängern. Und das gegen eine große Bevölkerungsmehrheit, die eine Fortsetzung links-grüner Politik eindeutig ablehnt. Wer jetzt dennoch AfD wählt, mag sich ein weiteres Scheitern der „Systemparteien“ erhoffen, so dass die AfD dann 2029 zum Zuge kommen könnte. Freilich dürfte das mit echtem Patriotismus nicht vereinbar sein, denn in den kommenden vier Jahren könnte unser Land bei schlechter Regierung dann ruiniert sein.
Psycho-Logik wirkt stärker als Logik
Dass diese logischen Überlegungen bei vielen keine Rolle spielen, hat damit zu tun, dass die Psycho-Logik oft viel ausschlaggebender ist als Logik und nüchterne Tatsachen: Psychologisch kommt eben für eingefleischte SPD-Stammwähler die Wahl eines Millionärs gefühlsmäßig einfach nicht in Frage. Und AfD-Wähler haben so lange am Pranger gestanden und sich dabei als starke solidarische Gruppe erlebt, dass sie sich als Verräter fühlen müssten, wenn sie jetzt CDU wählten.
Für Katholiken mögen noch die oben genannten Konflikte nachwirken. Doch durch die Neuaufstellung der CDU hat sich die Situation geändert. Zwar haben sich Kirchenfunktionäre jetzt gegen die Union gestellt, aber die Bischöfe von Regensburg und Eichstätt sind dem entgegengetreten. Allerdings vertritt auch die neue Union nicht in allem Positionen des katholischen Katechismus, doch schon Johannes Paul II. hat in der Politik solche nicht perfekten Lösungen erlaubt. Schließlich wäre Friedrich Merz, der vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken eher unfreundlich behandelt wird, der erste praktizierend katholische Bundeskanzler seit Jahrzehnten.
Es stellt sich also die Frage, ob es angesichts der dramatischen Lage nicht wichtig wäre, all die psychologischen Hemmungen zu überwinden, um Friedrich Merz eine komfortable Mehrheit zu verschaffen, mit der er zeigen könnte, was er kann: Von überragender Bedeutung wird dabei sein, ob ein deutscher Kanzler mit Donald Trump klarkommt. Da wäre Friedrich Merz die Idealbesetzung: Er kennt Trump flüchtig von früher, war in einem amerikanischen Unternehmen beschäftigt, ist weltläufig, spricht fließend Englisch und kann Trump in jeder Hinsicht auf Augenhöhe begegnen.
Keine politischen Spielchen spielen
Für Trump ist Deutschland bisher ein Feindbild. Wenn sich das nicht ändert, wird das für unser exportorientiertes Land einschneidende wirtschaftliche Konsequenzen haben. Mit anderen Worten: Wem sein Arbeitsplatz lieb ist, der sollte jetzt nicht irgendwelche politische Spielchen spielen. Und schließlich droht Trump offen mit dem Entzug seines militärischen Beistands, auch deswegen wäre eine erneute Kanzlerschaft eines unverantwortlich gegen Trump stichelnden Olaf Scholz, und übrigens auch die Fortsetzung einer anmaßend vorgetragenen sogenannten „werteorientierten Außenpolitik“ für die Existenz eines freien Deutschlands brandgefährlich.
Diejenigen jedenfalls, die Friedrich Merz aus solchen Vernunftgründen heraus wählen, obwohl sie in manchen Fragen seine Meinung nicht teilen, können sich die kommenden vier Jahre ja kritisch anschauen, und dann 2029 wieder anders wählen. Das wäre in Großbritannien ganz normal, und für die Demokratie ist ein klarer Politikwechsel allemal besser als der in der späten Merkel-Zeit vorherrschende Eindruck, dass alle Parteien doch irgendwie ähnlich sind und es im Wesentlichen in der Politik darum geht, an die Macht zu kommen und sich da zu halten.
Übrigens waren Adenauer, Churchill und De Gaulle gleichermaßen starke, aber auch unterschiedliche Persönlichkeiten, die eines mit Friedrich Merz verbindet: Alle drei mussten sie sich zeitweilig aus der Politik verabschieden, aber als sie dann wiederkamen, hatte ihre rettende Wirkung vor allem damit zu tun, dass sie sehr unabhängig waren und genau wussten, was sie wollten.
Der Autor ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, katholischer Theologe und Buchautor. Papst Johannes Paul II. ernannte ihn zum Konsultor der Kleruskongregation und zum Mitglied des Päpstlichen Laienrats und der Päpstlichen Akademie für das Leben, der er immer noch angehört.
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