Eine Show ist eine Show, auch dann, wenn sie keine sein will. Inszeniert wird immer. Gerade dann, wenn nichts nach Inszenierung aussehen soll. Als vor eineinhalb Wochen im Bundestag die Fetzen geflogen sind und Kanzler wie Oppositionsführer sich gegenseitig versicherten, dass der jeweils andere durchaus dazu in der Lage sei, die Republik in den Abgrund zu reißen, da konnte man denken: Jetzt wird es im Wahlkampf richtig spannend.
Die Protagonisten schienen dem Drehbuch eines Thrillers zu folgen. Jetzt, wenige Tage später, sind wir eher beim Spannungsgrad einer ZDF-Vorabendserie angekommen. Das Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz plätscherte langsam dahin, wenig bleibt in Erinnerung, eigentlich fast nichts. Außer dem Eindruck vielleicht: Von amerikanischen Verhältnissen sind wir noch weit entfernt.
Es fehlte der Kennedy-Moment
Und das war wohl auch die Einsicht der Drehbuchschreiber, sowohl der Coaches von Scholz wie von Merz: Nach diesen hitzigen innenpolitischen Tagen, ganz abgesehen von noch heißeren vergangenen Wochen auf internationaler Ebene, benötigt der deutsche Michel mal etwas Ruhe, Zuversicht und Solidität. Scholz und Merz gaben fast schon Polit-Vorlesungen bei diesem Parforce-Ritt durch alle nur denkbaren Themenfelder, vor allem mit unzähligen Zahlen-Kolonnen.
Was mag davon beim Zuschauer hängen geblieben sein? Vielleicht der Eindruck, dass jeder von den beiden durchaus etwas von dem Metier versteht, tief in der Materie drinsteckt? Oberflächlich sicherlich, ja. Aber es fehlte der Kennedy-Moment, jener Gedenkanke des früheren US-Präsidenten, der zu jeder Zeit aktuell ist: „Frage nicht, was dein Land für dich tut, sondern was du für dein Land tun kannst.“
Zwei ältere Herren, die alles im Griff haben
Die beiden älteren Herren wollten den Eindruck vermitteln, dass sie alles im Griff haben. Es fehlte das aktivierende Element. Stattdessen wirkte dieses Duell beruhigend, Baldrian für die aufgescheuchte deutsche Seele. Ist alles nicht so schlimm, wir kriegen das hin, gute Nacht.
Sollten die Strategen ihren jeweiligen Kandidaten tatsächlich in diesem Sinne ins Bild haben setzen wollen, es wäre ihnen gelungen.
Und diese Taktik ist auch nachvollziehbar. Ein Großteil der Bevölkerung wünscht sich vermutlich genau diese Grundhaltung. Genau dieser Teil ist die ominöse Mitte, die alle ansprechen wollen, aber auch ansprechen müssen. Heißt: Der Streit im Bundestag bleibt der Sonderfall. Schade. Stattdessen zielen Union und SPD in Richtung Vernunftehe. Das entspricht dem Gefühl der alten Bundesrepublik. Hoffentlich kommt es nicht nach zwei Jahren zum Rosenkrieg.
Stellt sich jemand die Frage, ob angesichts der gefährlichen Folgen, die so eine brutale Scheidung haben könnte, es nicht besser wäre, wenn beide Partner von vornherein getrennte Wege gehen würden? Die AfD bestimmt nicht, sie ist der heimliche Trauzeuge. Ob sie irgendwann einen der geschiedenen Brautleute küsst?
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