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Keine Erneuerung der CDU nach dem Parteitag

Kein Katholischer Arbeitskreis auf Bundesebene, dafür eine Frauenquote - für die, die auf eine Erneuerung der CDU hofften, war der Parteitag in Hannover eine Enttäuschung.
CDU-Parteitag: Erster Präsenz-Parteitag nach der Corona-Pause
Foto: Michael Kappeler (dpa) | Es war der erste Präsenz-Parteitag nach der Corona-Pause: Die Delegierten versammelten sich in der Hannoveraner Messe.

Parteitagsdelegierte sind auch nur Menschen. Es gibt eine Zeit für die Debatte, es gibt aber auch eine Zeit zum Feiern. Als Claudia Heber, die Landesvorsitzende des Katholischen Arbeitskreises in Thüringen, am Freitagabend gegen 21 Uhr ans Rednerpult tritt, hat bei den meisten schon die Feierlaune eingesetzt. Gleich startet die große Partei-Sause, der traditionelle Niedersachsen-Abend. Viele sind schon draußen. Und die, die noch im Saal sitzen, hören nur noch mit halben Ohr zu. Damit ist  die Entscheidung über den Antrag des Thüringer Kreisverbandes Sömmerda gefallen, den Heber hier vorstellen will.

Es soll ein Katholischer Arbeitskreis auf Bundesebene gebildet werden. In Thüringen, Sachsen und Niedersachsen existieren bereits Landesverbände. Die Idee der Initiatoren: Katholische Mitglieder sollen in der Partei ein Forum bekommen, den Kontakt zwischen der Partei und der Kirche pflegen, sich vor allem aber auch auf die ethische Dimension der gesellschaftspolitischen Themen konzentrieren, auf die die Ampelregierung schon längst ihren Fokus gesetzt hat, bei denen die Union aber immer weniger satisfaktionsfähig erscheint: den Lebensschutz der Ungeborenen, den assistierten Suizid oder die Verteidigung von Ehe und Familie.

Das Parteiestablishment versteht den Ansatz nicht

Kurz: Der Arbeitskreis war ein Serviceangebot an die Partei, ihre programmatischen Leerstellen zu füllen. Eine Szene aus der ökumenischen Andacht zu Beginn des Parteitages illustriert, wie das hätte gemeint sein können. Es wurde das Lied „Sonne der Gerechtigkeit“ gesungen. Zunächst ertönte der Gesang nur schleppend, doch dann wurde er immer lauter. Denn die Textsicheren stimmten mit ein. Auf die Union insgesamt übertragen, hieße das: Wenn im politischen Konzert die Stimme der Christdemokraten herausgehört werden soll, braucht man die Leute mit Gesangbuch.

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Gepasst hätte so eine Einsicht auch zur Parteitagsregie: Wurde in Hannover ja auch eine Grundwertecharta beschlossen, die die Leitlinie für ein neues Grundsatzprogramm bildet, das dann 2024 endgültig verabschiedet werden soll. Und so ertönten in den Hannoveraner Messehallen viele pathetische Worte über die geistigen Wurzeln der Union, ihre Verwurzelung im christlichen Menschenbild, ihre historischen Leistungen. Nur als der Katholische Arbeitskreis auf der Tagesordnung stand, war von Pathos nichts mehr zu spüren. Hier siegte der Pragmatismus der Parteimanager: Die Antragskommission empfahl, die Frage an den Bundesvorstand zu überweisen. Und das wurde dann auch, ohne jede Diskussion, beschlossen.

Bezeichnenderweise wurde das Statement der Antragskommission ausgerechnet von Mechthild Heil vorgetragen, die nicht nur Bundestagsabgeordnete, sondern auch Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands  ist, einer Repräsentantin des deutschen Gremienkatholizismus also. Dass Heil am Rande anmerkte - war es schnippisch oder doch eher gönnerhaft gemeint – sie sei doch auch katholisch, machte auch dem letzten Zuhörer klar, das Parteiestablishment versteht den Ansatz des neuen Arbeitskreises nicht.

Arbeitskreis-Initiatoren geben nicht auf

Aber Claudia Heber will nicht aufgeben.  „Ich wünsche mir einen faireren Umgang“, sagt die Thüringerin, die in ihrem CDU–Landesverband auch Beauftragte für die Neumitgliedergewinnung ist, gegenüber dieser Zeitung. Ein Aufruf, den  sie und ihre Mitstreiter auf dem Parteitag verteilt hatten, sei eingesammelt worden. Und auch die Argumentation der Antragskommission, der neue Arbeitskreis bringe nicht die Voraussetzungen für eine Sonderorganisation mit, hat sie nicht überzeugt. Ihre Bilanz: „Der Ball liegt jetzt beim Bundesvorstand.  Ich erwarte, dass man endlich nicht nur über uns redet, sondern mit uns. Möglichst noch in diesem Herbst, damit wir nicht noch mehr Zeit verlieren.“

Friedrich Merz hält beim CDU-Bundesparteitag seine Stimmkarte hoch
Foto: Michael Kappeler (dpa) | Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, hält beim CDU-Bundesparteitag seine Stimmkarte hoch.


Ihr Anliegen bleibe es, dass jedes katholische Mitglied in der CDU automatisch dem Katholischen Arbeitskreis angehöre und sich dort aktiv engagieren könne. „Unsere Aufgabe ist es dann, Mitglieder zu finden, die sich in den einzelnen Organisationsstufen zusammenfinden und Verantwortung übernehmen. Es bleibt die große Frage, in welcher Form das passieren kann. Das muss der Bundesvorstand definitiv regeln.“  Auch müsse geklärt werden, inwieweit katholische Christen aufgenommen werden könnten, die kein CDU-Mitglied sind, so wie es für Protestanten auch jetzt schon im Evangelischen Arbeitskreis möglich sei. Vom Bundesvorstand erwarte sie, dass nun Hürden weggeräumt würden, damit man einen Zugang zu Daten und Ressourcen bekomme, um so feste Strukturen aufbauen zu können. Erst dann würde die Parteiführung ihr Versprechen, die CDU sei eine Mitgliederpartei, tatsächlich mit Leben erfüllen.

Rita Süssmuths später Sieg

Die Debatte über den Katholischen Arbeitskreis war freilich auf diesem Parteitag nur ein Nebenkriegsschauplatz. Die eigentlich Schlachten über das künftige Profil der Union wurden woanders geschlagen. Und es wurde richtig gekämpft. In Schlachten tragen Truppen Fahnen vor sich her, hinter denen sich die Soldaten versammeln. In der Union orientieren sich die Parteiflügel an Personen. Zwei Partei-Ikonen saßen auch in Hannover mit im Saal. Der Eine oben auf dem Podium: Friedrich Merz, für seine Anhänger der Gralshüter klassischer CDU-Politik. Von der anderen, die als Ehrengast im Plenum Platz genommen hatte, soll Jürgen Habermas einmal gesagt haben, sie stehe für das, was von „1968“ übrig geblieben sei: Rita Süssmuth.

Die frühere Bundesfamilienministerin ist für ihre Fans ein Symbol für eine „moderne“ CDU. Die mittlerweile 85-Jährige kam aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus, denn ihre alte Agenda feierte in Hannover einen neuen Triumph. Frauenquote: beschlossen. Soll in der Grundwertecharta von „Gleichstellung“ oder von „Gleichberechtigung“ der Geschlechter die Rede sein? Die Delegierten stimmten  für „Gleichstellung“. Rita Süssmuth musste der Parteitag wie ein später Sieg erscheinen. Und nicht nur das: Friedrich Merz, der einst von seinen Anhängern vor allem auf den Schild gehoben worden war, um dem entgegenzutreten, wofür die „Süssmuth-CDU“ steht, unterstützte die Quote.

Generationenkonflikt in der Union

Dabei wurde auch ein Generationenkonflikt in der Union offenbar. Am leidenschaftlichsten argumentierten gegen die Frauenquote nämlich junge Frauen. Sie hatten im Vorfeld ihre Hoffnung gerade auf Merz gesetzt. Im Wahlkampf um den Parteivorsitz hatte ja dieser anders als seine Konkurrenten Helge Braun und Norbert Röttgen zumindest Skepsis gegenüber dem Quoten-Modell gezeigt. Doch jetzt war alles vergessen. Der Frust unter den Jungen über diesen Kurswechsel ist groß. Als Fraktionsvorsitzender mache Merz ja einen guten Job. Doch als Parteivorsitzender enttäusche er, so konnte man von jungen Delegierten hinter vorgehaltener Hand hören.

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Büßt Friedrich Merz damit langfristig seinen Ikonen-Status  ein? Ein kurzer Rückblick: Beim Deutschlandtag der Jungen Union vor drei Jahren in Saarbrücken, Merz schickte sich gerade an, noch einmal nach dem Parteivorsitz zu greifen, wurde der Sauerländer frenetisch gefeiert. Mit JU-Chef Tilman Kuban stieß er unter großem Beifall auf der Bühne mit einer Flasche Bier an. Sein Bündnis mit der Parteijugend, die als Wahlkampfmotor auch ein zentraler Machtfaktor in der Union ist, war besiegelt. Merz schien zu verstehen, wie die Jungen in seiner Partei ticken: Anti-etatistisch, anti-kollektivistisch, voller Sehnsucht nach klarer Rhetorik. Merz verkaufte sich hier als das Gegenbild zu Angela Merkel, deren Abschied aus dem Kanzleramt man in der JU kaum noch erwarten konnte. Das markiert die Fallhöhe aus der die Jubler von damals nun ihr früheres Idol abstürzen sehen.

Das Tüpfelchen auf dem i war für diese neuen Merz-Skeptiker die Entscheidung des Hannoveraner Parteitages für ein soziales Pflichtjahr. JU-Chef Tilman Kuban mahnte, der Partei fehle es an einem Gespür für das Lebensgefühl der Jungen. Dass der Pflichtdienst vielen Jungen in der Union, in deren Grunwertecharta die Freiheit ganz oben steht, sauer aufstößt, hat das Parteiestablishment nicht verstanden. Denn während unter den Enttäuschten von der Basis die Rede von „Friedrich Merkel“ die Runde macht, scheint das Parteimanagement die Bruchlinien, die sich hier auftun, noch gar nicht erkannt zu haben. Man habe doch leidenschaftlich diskutiert. Mit den Ergebnissen müssten die Kritiker eben leben. So sei das in einer Demokratie. Bei dem traditionelle Parteiabend am Freitag wird denn auch ausgelassen gefeiert. So wie immer eben. Es lebe der Status quo.

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