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Novalis: Aufruf zur kulturellen Erneuerung

Spott und Hohn, selbst und gerade von Freunden, waren die Folge: Novalis wollte die christlichen Ursprünge wiederbeleben und so die kulturelle Erneuerung zur Einung Europas vorantreiben. Eine Betrachtung zum 220. Todestag des romantischen Dichters.
Novalis: Friedrich von Hardenberg
Foto: imago stock&people | Friedrich von Hardenberg, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Novalis, strebte ein geeintes Europa mit einer verbindenden Christlichkeit an. Darin erkannte er die Werte des Abendlandes als verwirklicht.

Er wollte eine gewandelte neue Christenheit in einem geeinten Europa sehen, wurde aber wegen dieser Idee von seinen Freunden verhöhnt. Der früh verstorbene Dichter Novalis gilt als Romantiker par excellence, seine philosophische Poesie ist von der Sehnsucht nach dem Absoluten geprägt. Novalis hat Nationale und Universale in Harmonie gebracht, sein Aufruf zur kulturellen Erneuerung des Abendlandes kann kaum aktueller sein als heute.

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Sein Wunsch: die spirituelle Wiedergeburt Europas

Er hätte nach den Worten Goethes ein Imperator des geistigen Lebens in Deutschland werden können und sollen. Doch seine poetische Laufbahn brach früh – zu früh – ab. Der romantische Dichter Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis, starb infolge von Tuberkulose am 25. März 1801 im Alter von nur 28 Jahren. Zu seinen Lebzeiten war er außerhalb seines engen Freundeskreises kaum bekannt. Erst nach seinem Tod begann die eigentliche Wirkungsgeschichte seines Werkes, nämlich dann, als seine Mitstreiter Ludwig Tieck und Friedrich Schlegel einige der Schriften aus seinem Nachlass herausgaben.

Novalis, der Nachfahre eines alten niedersächsischen Adelsgeschlechts war, ist zum Sinnbild der deutschen Romantik geworden, also jener Bewegung, die das Mittelalter verklärte. Novalis' Werk ist aber nicht mit einer faden Nostalgie nach einer verlorenen Epoche gleichzusetzen. Es will vielmehr dem „Herzschlag der neuen Zeit“ Ausdruck verleihen. Novalis greift den idealistischen Impuls Fichtes auf, der mit seiner Theorie der Subjektivität Kants Begrenzung der Erkenntnis überwinden will, und formt diesen auf eigene Weise um. Zentral ist für ihn die Idee des „Absoluten“, in dem der letzte Grund der Wirklichkeit erfassbar wird. Im „Absoluten“ wird das zwischen Vernunft und Sinnlichkeit gespaltene Selbst zur Einheit gebracht und seine Entfremdung sowohl vom Anderen als auch von der Natur überwunden. Der Grund des Bewusstseins ist nach Novalis nicht direkt zugänglich, sondern stellt eine Art diffuses „Selbstgefühl“ dar, das nur die Poesie ans Licht bringen kann. So wird Novalis' Idealismus magisch, weil nicht in „Zahlen und Figuren“, sondern in einem „geheimen Wort“ der Schlüssel zum Geheimnis des Universums liegt.

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Im Licht der Vernunft

Der Grund des Bewusstseins wird von Novalis durch die Metapher der Nacht im Gedichtzyklus „Hymnen an die Nacht“ versinnbildlicht. Die Nacht ist das Unendliche, das alles Umfassende und das alles Zeugende. Sie steht dem Licht der Vernunft und dem Tag des begrenzten sichtbaren Lebens gegenüber. Und eben dieses endliche Leben, polemisiert Novalis gegen Schiller, hat der antike Mensch durch seine Göttervorstellungen gefeiert. Aber erst durch den Tod Jesu am Kreuz wird das Endliche überwunden und so die Nacht in den Tag, der Tod ins Leben integriert.

Diese biblisch-christliche Sinngeschichte verschmilzt sich im Gedicht mit Novalis' persönlichen Erfahrungen und wird damit zu seiner privaten Mythologie. Die Wallfahrt zum Grab seiner geliebten 13-jährigen Verlobten Sophie von Kühn stellt seine persönliche Offenbarung dar. So übernimmt Novalis' Poesie die Funktion des Evangeliums und lässt das Christentum auf eine ästhetische Weise erneuern.

„Es waren schöne glänzende Zeiten,
wo Europa ein christliches Land war,
wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten
Weltteil bewohnt“

Nach dem Absoluten sehnt sich „Heinrich von Ofterdingen“ im gleichnamigen Roman, wenn er in seinem Traum eine blaue Blume sieht. Heinrichs Reise von Eisenach nach Augsburg ist eine Reise in sich selbst, die unterwegs gemachten Erfahrungen lassen ihn zum Dichter reifen. Novalis, der selbst nur einige Länder in der deutschen Mitte bereist hatte, hat in der bezaubernden Metapher der Blauen Blume das Wesen der ganzen abendländischen Kultur erfasst. Das zunächst im Traum gesehene Mädchen trifft Heinrich später in der Wirklichkeit, ihre Liebe lässt das Goldene Zeitalter anbrechen. Die Erwartung wird zur Erfüllung und die eschatologische Einheit der Welt lässt alles wieder in Einem sein.

Was im Roman als Verwirklichung des Traums geschieht, steht in der geschichtlichen Welt noch bevor. Mit seinem Essay „Die Christenheit oder Europa“ will Novalis zu einer neuen Urversammlung aufrufen. Inmitten des Aufstrebens in die Moderne, die von Individualismus, Ökonomismus und Nationalismus geprägt ist, sucht er nach einem heiligen, unsterblichen Sinn. „Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnt“ – lautet der erste Satz des Aufsatzes. In Gestalt einer religiösen Predigt veranschaulicht Novalis ein Projekt zur Realisierung des Friedens zwischen den Staaten und Völkern Europas, das durch die Epoche des christlichen Mittelalters inspiriert wird. Im Unterschied zu Kant, der im Zusammenspiel von öffentlicher Vernunft, republikanischer Verfassung und Welthandel dieses Ziel verwirklicht sieht, hebt Novalis die Idee der Kirche hervor, die nicht nur an die Erde, sondern auch an den Himmel geknüpft ist.

Als Novalis seine Europa-Reden im November 1799 seinem engen Freundeskreis vorträgt, stößt er auf Unverständnis und Spott. So attestiert Dorothee Schlegel Novalis beinahe Tollheit; Schelling verfasst dazu ein höhnisches Gedicht. Der Essay erscheint erst 1826 vollständig. Aber schon einige Jahre nach dem Tod von Novalis konvertieren Dorothee wie auch ihr Mann Friedrich Schlegel zum Katholizismus. Schelling wiederum kommt zur Einsicht, dass die Geschichte eine Offenbarung Gottes darstellt. Eichendorff bezeichnete diesen Prozess der Wendung hin zum Katholizismus als Rückführung der Romantik von einem Irrweg zu ihrem Ursprung. Der seinerzeit unverstandene Novalis war unter seinen Mitstreitern der erste und der jüngste, der diesen Weg einschlug.

Novalis' Europa-Utopie blieb jedoch auch nach ihrer Veröffentlichung faktisch ungehört und die katholische Spätromantik wurde ihrerseits von den meisten Zeitgenossen als Obskurantismus abgetan. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrat ein radikaler Atheismus und Materialismus die Bühne. „Wo aber keine Götter sind, da walten Gespenster“ – so mahnte einst Novalis.

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Wagner Verachtung: „welscher Dunst und welscher Tand“

Die neugeborenen Gespenster entsprangen Richard Wagners Meistersingern, die den „welschen Dunst“ und „welschen Tand“ ausdrücklich verachteten, und Nietzsches archaischen „blonden Bestien“, deren ursprüngliche Herrenmoral das Christentum pervertiert hätte. Der Siegesflug dieser Dämonen hat schließlich zur gesamteuropäischen Katastrophe geführt.

In Novalis' Idee von der deutschen Kulturnation gab es hingegen eine glückliche Koexistenz des Nationalen und des Universalen, die im Geiste der christlichen Poesie begründet war. In dieser Größe ist Novalis noch nicht wirklich verstanden worden, auch nicht von Thomas Mann, der in seiner Rede „Von deutscher Republik“ Novalis' Verpflichtung zur Idee der Humanität her-ausstellt, aber ihre transzendent-religiöse Grundlage als überflüssige „fromme Schwärmerei“ des Dichters abstuft. In Anknüpfung daran bedeutet das Novalis-Vermächtnis für das heutige Deutschland vor allem die Aufgabe, neben der politisch-wirtschaftlichen Integration auch die kulturelle Wiedergeburt des Abendlandes herbeizuführen, das in spiritueller Leere der Gegenwart von der neuen konsumistischen Romantik abgelöst wird.

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