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Francisco de Goya: Ein Aufklärer, der religiös war

Er war Maler am spanischen Hof, beherrschte aber ebenso die religiöse Kunst. Zum 275. Geburtstag von Francisco de Goya am 30. März.
Goya malte die Kuppel von San Antonio de la Florida, Madrid.
Foto: Drouve | Der heilige Antonius erweckt einen Getöteten zum Leben: Die von Goya ausgemalte Kuppel mit dem Wunder, San Antonio de la Florida, Madrid.

Ob Inquisitionsszene oder Selbstbildnisse, ob gespenstische Büßerprozession oder Porträts geheimnisvoller Damen – es gab nichts, was der Spanier Francisco de Goya (1746–1828) nicht beherrschte. Er entwarf Wandteppiche mit volkstümlichen Szenen, bannte die Erschießung Madrider Widerständler durch napoleonische Truppen in Öl auf Leinwand und scheute sich als Hofmaler nicht davor, der spanischen Königsfamilie mit voller satirischer Absicht den Stumpfsinn ins Gesicht zu zeichnen. Ein Schwerpunkt seines Schaffens war die religiöse Malerei, sein Meisterstück die Innendekoration des Madrider Kirchleins San Antonio de la Florida. Die Kuppel- und Gewölbemalereien sind einzigartig und gelten als „Sixtinische Kapelle“ der spanischen Hauptstadt. Dort liegt Goya, dessen 275. Geburtstag sich am 30. März jährt, begraben. Geboren wurde er in Aragonien im Ort Fuendetodos.

„Begabter Lieferant fremder Stilausprägungen“

„Wie die Teppichkartons waren auch Goyas religiöse Werke durchwegs Auftragsarbeiten – sehr wahrscheinlich hätte der Künstler ohne diese Aufträge niemals sakrale Kunst geschaffen“, schreibt Fred Licht in seinem Buch „Goya – die Geburt der Moderne“. Goya sei bei den Fresken der Basilika El Pilar in Zaragoza und dem großen Zyklus von Wandgemälden in der Kartäuserkirche Aula Dei ein „begabter Lieferant fremder Stilausprägungen“ gewesen, indem er die zeitgenössischen neapolitanischen und römischen Malweisen übernahm. Originärer war sein Stil bei einem „Christus am Kreuz“, den er um 1780 malte, um die Zulassung zur Madrider Kunstakademie San Fernando zu erlangen; in deren Museum ist bis heute ein kleiner Teil seines Werkes ausgestellt, darunter zwei Selbstbildnisse. Eines zeigt den fülligen Meister in mittlerem Alter an der Staffelei, das andere einen knapp 70-Jährigen, den diverse Schicksalsschläge gezeichnet haben.

Es sei überaus schwierig, so Fred Licht, aus dem Studium von Goyas religiösem Schaffen Schlüsse über seine persönliche Einstellung zur Religion zu ziehen: „Wir gehen sicher nicht fehl in der Annahme, dass er antiklerikal eingestellt war. Doch zu behaupten, er sei nicht religiös gewesen, ist sicher ebenso falsch.“ Der Künstler war, mutmaßt Licht, „wie so viele seiner Zeitgenossen in Spanien, Italien und Frankreich“ daran interessiert, „die Kirche zu reformieren, aber nicht, sie zu zerstören“. Politisch wie auch religiös sei Goya „ein Sohn der Aufklärung“ gewesen, habe aber nachweislich weiterhin die Sakramente empfangen.

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Die Unscheinbarkeit ist Tarnung

Inwieweit Goya bei christlichen Motiven opportunistisch vorging, muss Nährboden für Spekulationen bleiben. Natürlich wusste er, dass ihm die Arbeiten über Geld hin-aus die Anerkennung höfischer Kreise einbrachte. Nach seinem Durchbruch als Hofmaler übertrug ihm König Karl IV. den Auftrag, das 1792–98 erbaute Kirchlein San Antonio de la Florida auszumalen. Der kleine Sakralbau liegt in den Niederungen Madrids nahe dem Flussufer des Manzanares. Es sollte einer der größten Geniestreiche in Spaniens Kunstgeschichte werden.

In Außenansicht wirkt das Kirchlein unscheinbar, doch das ist nur Tarnung. Wer hineintritt, wird vom allesbeherrschenden Fresko hoch oben in der Kuppel überwältigt. Es befreit die Architektur von ihrer klassizistischen Strenge und zeigt in leuchtender Farbgebung ein Mirakel des heiligen Antonius von Padua, konkreter: jenen Moment, in dem er inmitten einer Menge einen Ermordeten zum Leben erweckt. Der Hintergrund war, dass Antonius' Vater unschuldig des Tötungsdeliktes angeklagt worden war. Dank der Wiedererweckung des Toten konnte das Opfer nun selber den Namen des Täters nennen. Dies, so sei nebenbei bemerkt, wäre sicher die Idealform der Verbrechensaufklärung und würde der Kriminalpolizei Ermittlungsarbeiten und Überstunden sparen.

Illusionistische Deckenmalerei

Ob Goya bei der Thematik freie Hand hatte oder ob er Vorgaben befolgen musste, verbirgt sich im Dunkel der Geschichte. Fest steht, dass der Künstler die Ausgestaltung mit der genialen Idee eines Metallgeländers krönte, das er ringsherum ins Rund der Kuppel malte: ein Meisterwerk illusionistischer Deckenmalerei. Der Kunsttheoretiker László F. Földényi hat dazu bemerkt, dies sei trügerisch, denn es wecke den Eindruck, in der Kuppel verlaufe wirklich ein Geländer im Kreis. Andererseits sei es „enthüllend in einem“, denn: „Es handelt sich so eindeutig um eine malerische Lösung, dass man weiß: Der Maler will nicht mogeln. Ein Spiel, durch und durch.“ Am Geländer turnen Kinder, einige Leute stützen ihre Arme auf. Werkanalytiker Licht schlägt Betrachtern vor, sich die Begrenzung wegzudenken: „In diesem Fall würde man glauben, die Figuren jeden Augenblick von ihren Positionen herunterstürzen zu sehen.“

Den Hintergrund der Wunderszene um Antonius bildet eine Berglandschaft. Davor steht ein großer Baum, darüber öffnet sich der aufgemalte Himmel in Graublau. Antonius trägt einen leuchtgelben Heiligenschein, gestikuliert, ist in seine Franziskanerkutte gehüllt. Die rundherum Anwesenden gleichen einer profanen, nicht allzu frommen Festgesellschaft – und das natürlich nicht zufällig. Goya war sich bewusst, ein Gotteshaus auszuschmücken, das die breiten Volksmassen bei Feierlichkeiten anlockte und Antonius als Schutzpatron der Liebenden geweiht war. „Diese Fresken boten alles andere als konventionelle Kirchenmalerei, sondern zeigten vielmehr die ersten ernstzunehmenden, ins Weltliche umgesetzten religiösen Themen“, schlussfolgert Fred Licht.

Über die Kuppelszene mit Antonius hin-aus sind Eingangswölbung und Kuppelbögen bemalt, darunter mit Cherub- und anderen Engelsgestalten. Die hübschen weiblichen Engel „malte Goya mit hohem Vergnügen“, liest man im Roman „Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis“ von Lion Feuchtwanger (1884–1958). Goya, schrieb Feuchtwanger weiter, malte bei den umstehenden und teils ins Gespräch untereinander vertieften Leuten „keine Zeitgenossen des heiligen Antonius“, sondern „Madrilenen seiner eigenen Umgebung“.

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Goya gestaltete die „Sixtinische Kapelle“ Madrids in Rekordzeit. Rechnungen und Materiallisten erlauben den Rückschluss, dass der Meister, der zu dieser Zeit bereits ertaubt war, lediglich sechs Monate für die Arbeiten brauchte, nämlich vom 15. Juni bis 20. Dezember des Jahres 1798. Seit 1905 ist das Kirchlein Nationalmonument, seit 1919 liegen die aus Bordeaux überführten Reste Goyas hier bestattet. Hinter dem Grabmal fällt der Blick auf einen Altarbereich mit einer kleinen Skulptur des Gekreuzigten. Aus der Kuppel hängt eine Lampe aus vergoldeter Bronze hinab, im Unterbereich umzogen von drei Engelsfiguren. Goyas Fresken sind behutsam restauriert worden – man mag sich kaum von ihnen lösen.

Zum Schutz des Originals eine Doppelgängerin

Wer glaubt, er sieht bei San Antonio de la Florida doppelt, täuscht sich nicht. Es gibt ein zweites Kirchlein direkt daneben, das genau gleich aussieht. Des Rätsels Lösung ist, dass 1928 ein Duplikat entstand, um es für Messen und andere Anlässe zu nutzen. Somit wurden die wertvollen Malereien Goyas für die Nachwelt besser geschützt.

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