Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Tagebücher

Heimo Schwilk: Als Autor muss man bereit sein zum Risiko

Heimo Schwilk wurde als Kriegsreporter und Schriftsteller-Biograf bekannt. Nun hat er den ersten Teil seiner Tagebücher veröffentlicht. Darin ist Platz für Gut und Böse.
Heimo Schwilk (69)
Foto: Archiv | Mann der Worte und der Tat: Heimo Schwilk (69).

Herr Schwilk, Ihre Leser schätzen Sie als Autor hoch gerühmter Biografien. Hervorgetreten sind Sie unter anderem als Biograf von Ernst Jünger. Nun haben Sie Ihre Tagebücher unter dem Titel „Mein abenteuerliches Herz“ den ersten Band Ihrer Tagebücher aus den Jahren 1983-1999 veröffentlicht. Viele Menschen schreiben Tagebücher und bewahren sie sicher in der Schublade. Warum drängt es Sie ins Rampenlicht?

Mein Vorhaben, eine Tagebuch-Edition zu publizieren, hat natürlich auch mit Ernst Jünger zu tun – aber nicht nur. Jünger war einer der großen Tagebuchautoren des 20. Jahrhunderts. Die Lektüre dieser einmaligen Mischung aus präziser Beobachtung und pointierter, kenntnisreicher Reflexion hat mich sehr geprägt. Seit gut fünfzig Jahren führe ich selbst Tagebuch, zumal es für mich als Journalist und politisch interessierter Zeitgenosse viel zu beobachten und festzuhalten gab. So habe ich die deutsche Einheit lange vor dem Fall der Mauer antizipiert und viel die DDR bereist. Ich schrieb im Vorwort, dass meine Aufzeichnungen – es handelt sich im Übrigen gerade mal um ein Zehntel, das ich veröffentliche – eine Art „Gegengeschichte“ der Bundesrepublik darstellen. Also aus einer gegenläufigen, kritischen Position heraus geschrieben sind.

Ihre erste Stelle traten Sie 1986 als junger Journalist bei der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur/Christ und Welt“ an. Die traditionsreiche Zeitung gibt es heute nicht mehr. Ist der christliche Journalismus am Ende?

Er ist sicher nicht am Ende, aber deutlich marginalisiert. Man schreibt heute fast nur noch über Kirchenaustritte, die widersprüchlichen Äußerungen des Papstes, die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Ihre Zeitung ist eine positive Ausnahme, ein Fels in der Brandung. Ich wünschte mir, einflussreiche Blätter wie die FAZ oder die WELT hätten – wie einst DIE ZEIT mit der Beilage „Christ und Welt“ – den Mut, eine extra Abteilung einzurichten, die regelmäßig über die Interna der Kirchen berichtet. Ohne Schaum vor dem Mund.

„Meine Reisen nach Moskau und in die „rote Arktis“ nach dem Zerfall der Sowjetunion
zeigten mir, was aus einem Land wird, das sich von seinen Wurzeln abschneidet.
Das droht nun auch uns“

Als Journalist sind Sie den großen Schriftstellern des letzten Jahrhunderts begegnet, Martin Walser, Günter Grass, Walter Kempowski. Was hatten sie Ihnen damals – und was haben sie uns heute noch zu sagen?

An Martin Walser und Walter Kempowski schätze und schätzte ich das Widerständige, den Mut, den eigenen Weg zu gehen, sich einzumischen und auch Unbequemes zu Protokoll zu geben. Walser, den ich mehrfach traf, war einer der wenigen, die sich für die Einheit des Landes einsetzten. Kempowski büßte zehn Jahre im DDR-Gefängnis und wusste aus eigener Erfahrung, was Freiheit und innere Unabhängigkeit sind. Zusammen mit meinem Freund Ulrich Schacht bin ich ihm oft begegnet. Günter Grass dagegen verstand sich, lange bevor er den Nobelpreis bekam, als Präzeptor Germaniae und belehrte uns, dass mit der Wiedervereinigung ein neues Auschwitz drohe. Dieser Absurdität bin ich im persönlichen Gespräch vehement entgegengetreten. Grass zeigte sich einsichtig, paffte in meinem Wagen eine Zigarre – und hörte zu.

Während Ihrer Zeit als Soldat haben Sie eine Ausbildung zum Fallschirmjägeroffizier und Einzelkämpfer gemacht. Braucht der Journalismus Einzelkämpfer?

Der Journalismus heute ist sehr stromlinienförmig. Alle schreiben ähnlich, der Meinungskorridor ist eng geworden. Am bedenklichsten aber ist die sogenannte „Schere im Kopf“, die vorauseilende Unterwerfung. Man hat das lange vor der Migrationskrise 2015/16 gesehen, meine Tagebücher sind, auch aus eigener Anschauung, voll davon. Ob Wiedervereinigung, Bildungsniedergang, Europa und der Euro, die Energiepolitik: Wer anders als der Mainstream argumentierte, wurde ausgegrenzt. Als ich 1994 zusammen mit Ulrich Schacht den Sammelband „Die selbstbewusste Nation“ herausbrachte, wurde uns (Ulrich Schacht war DDR-Dissident und wurde zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, ich war Klosterschüler in Maulbronn, bin stark christlich-konservativ geprägt) das Etikett „rechtsextrem“ aufgeklebt. Von Leuten, die 1989 von der Geschichte widerlegt wurden! Einsichten oder gar Entschuldigungen gibt es bis heute keine. Journalisten sollten, auch wenn sie in Redaktionsgemeinschaften arbeiten, bei Recherchen immer Einzelkämpfer sein.

Lesen Sie auch:

Berichterstattung ohne Moralisieren

Literaturredakteure kämpfen mit gespitzten Federn. Sie aber haben sich freiwillig als Kriegsberichterstatter gefährlichen Begegnungen ausgesetzt. Was hat Sie am Golfkrieg gereizt?

Man kann das eine tun ohne das andere zu lassen. Natürlich hat mich der Golfkrieg als Abenteuer gelockt. Zum anderen bot er die Möglichkeit, einen Weltkonflikt vor Ort zu besichtigen, ohne moralistische Absichten, rein phänomenal. Jeder Journalist will seine eigene Geschichte, ohne Ehrgeiz funktioniert Kriegsberichterstattung nicht. Man muss bereit sein zum Risiko. Da hat mir meine soldatische Ausbildung geholfen. Nicht zu vergessen das Vorbild Ernst Jünger. Liselotte Jünger fragte mich nach meiner Rückkehr 1991 aus Saudi-Arabien in der ihr eigenen ironischen Art, ob ich nun meine eigenen „Stahlgewitter“ niederschreiben würde. Es hat dann nur zu dem Golfkriegsbuch „Was man uns verschwieg“ gereicht. Kein Pour le Mérite, aber immerhin der Theodor-Wolff-Preis.

Sie haben als Journalist nicht nur über deutsche Verhältnisse geschrieben, sondern sind auch viel gereist, mehrmals nach Moskau und sogar in die Arktis. Warum Russland?

Für uns Deutsche ist Russland ein Schicksalsland. Nicht nur wegen Gorbatschow, ohne den die deutsche Einheit nicht gekommen wäre. Napoleons Niederlage war nur durch die Hilfe der russischen Armee möglich, der nationale Aufbruch der Deutschen nach 1815 ebenso. Der Erste Weltkrieg und danach Rapallo waren weitere Schicksalsetappen, Stalingrad ein Menetekel für vieles, was uns heute beunruhigt. Russen und Deutsche sind sich sehr ähnlich, was das Geistig-Religiöse betrifft. Meine Reisen nach Moskau und in die „rote Arktis“ nach dem Zerfall der Sowjetunion zeigten mir, was aus einem Land wird, das sich von seinen Wurzeln abschneidet. Das droht nun auch uns. Kommunismus und Kapitalismus sind zwei Seiten einer Medaille. Es kommt auf die metaphysische Verankerung des Menschen an.

Lesen Sie auch:

Auch Journalisten haben ein Beziehungsleben, das ihre Arbeit beeinflusst

In Ihrem Tagebuch berichteten Sie auch über sehr Privates. Einige der Eintragungen lesen sich wie Szenen aus Ingmar Bergmanns Film „Szenen einer Ehe“. Darf man das? Derartig Privates der Öffentlichkeit servieren?

Ich möchte noch einmal mein Vorwort zitieren. Darin schreibe ich, dass das Genre des Tagebuchs gerade dadurch, dass es ungeschminkt von Tag zu Tag aufzeichnet, authentischer ist als jede Autobiografie, die dazu neigt, die eigene Vita retrospektiv späteren Ein- und Ansichten gefügig zu machen. Der Tagebuchschreiber hat den Mut zur Schwäche, er ist der conditio humana, dem Menschlich-Allzumenschlichen verpflichtet. Dazu gehören auch Beziehungskrisen. Erst durch ihre Offenlegung erfährt der Leser, welch schwierigen, oft menschlich prekären Bedingungen die Bücher des Autors abgerungen sind.

„Für alle, die meine Wege kreuzten. Im Guten wie im Bösen.“ Dieses Motto haben Sie Ihren Tagebüchern vorangestellt. Wer waren denn die Bösen?

Als böse habe ich jene empfunden, die meine Artikel oder Bücher bewusst falsch gelesen, ihre eigenen Obsessionen und Vorurteile hineingelesen haben. Und manche Zeitgenossen, denen die menschliche Aura fehlt, das Verständnis für den andersgearteten Anderen, dessen abweichende Positionen ja auch ein Gewinn sein könnten.

Protestantismus ist streng vom Lutherischen zu unterscheiden

Zu den Guten zählte sicher Ernst Jünger, mit dem Sie einen engen Kontakt pflegten. Jünger konvertierte spät zum Katholizismus. Wie lange wollen Sie noch warten?

Die Begegnung mit Ernst Jünger hat mein Leben verändert. Ich stellte schon in jungen Jahren eine gewisse Wahlverwandtschaft fest, habe aber auch enorm viel von ihm persönlich gelernt. Übrigens auch im Umgang mit denen, die alles, was ich verkörpere und schreibe, ablehnen. Er habe gar nichts dagegen, notierte Jünger im Tagebuch „Siebzig verweht“, dass man ihm das Etikett „umstritten“ anhefte. Das bedeute doch auch, dass man Freunde habe. Das ist doch souverän!

Was die Konversion anbetrifft, so hat das Zeit.Vor einigen Jahren habe ich mit „Luther. Der Zorn Gottes“ ein Kompendium meiner Annäherung an den lutherischen Glauben vorgelegt. Ich poche darauf, das Protestantische streng vom Lutherischen zu unterscheiden, bin der Überzeugung, dass Martin Luther die Katholische Kirche nur reformieren, keineswegs spalten wollte. Da Ernst Jünger erst im Alter von 101 Jahren zum Katholizismus konvertierte, bleibt mir noch genügend Zeit.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Uwe Wolff Ernst Jünger Günter Grass Katholische Kirche Martin Luther Martin Walser Päpste Ulrich Schacht

Weitere Artikel

Das Leiden, die Ungerechtigkeit, die historisch wie menschlich Gescheiterten waren bis zum Schluss Themen der Werke Walsers. Ein Nachruf.
29.07.2023, 18 Uhr
Marc Stegherr

Kirche

Der Kurienkardinal meint, die Aussagen des Papstes zu Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland aus dem Kontext gerissen worden seien.
18.03.2024, 14 Uhr
Meldung
Wir sind gerufen, Fürsprecher zu sein für die Welt. Dazu spornt uns die Geschichte des Mose an, erklärt Papst Franziskus in seinen Gebetskatechesen.
17.03.2024, 17 Uhr
Papst Franziskus