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Aus dem Leben eines nicht-linken Journalisten

Ein deutscher Zeitspiegel: Heimo Schwilk hat den zweiten Band seiner Tagebücher veröffentlicht.
Nonkonformist, neugierig, nicht links: Heimo Schwilk.
Foto: Privat | Nonkonformist, neugierig, nicht links: Heimo Schwilk.

 Es können nicht viele Journalisten von sich behaupten, dass sie das politische Denken einer ganzen Generation geprägt haben. Heimo Schwilk könnte es. Als er 1994 zusammen mit seinem Kollegen bei der „Welt am Sonntag“, Ulrich Schacht, den Sammelband „Die selbstbewusste Nation“  herausgab, lösten die beiden damit ein Beben im deutschen Geistesleben aus. Im Rückblick kann man sagen: Der Band mit seinen Beiträgen war so etwas wie ein Gründungsmanifest der demokratischen Rechten im wiedervereinigten Deutschland, der Titel war dabei Programm: Die verschiedenen Autoren versuchten auszuloten, wie Deutschland nach seiner Wiedervereinigung zu einer „selbstbewussten Nation“ werden könne. Dabei waren die Beiträge völlig frei von Nationalismus, Revanchismus oder Extremismus. Wenngleich die Kritiker aus der linken und linksliberalen Ecke, die sofort lautstark auf die Bühne traten, genau diese Vorwürfe nun anführten.

Mut zum Nonkonformismus

Gefährlich schien dem Establishment, wie dort gedacht wurde. Die Deutungshoheit über die politische Kultur war plötzlich nicht mehr selbstverständlich, es gab Konkurrenz. Dabei versammelte der Band Vertreter aus ganz unterschiedlichen Spektren, die Bandbreite reichte von Michael Wolffsohn und Rüdiger Safranski über Klaus Rainer Röhl und Ernst Nolte bis hin zu Karlheinz Weißmann und Rainer Zitelmann. Der Historiker und Publizist Arnulf Baring stellte damals in der für ihn typischen Pointierung fest: „Die Autoren unterscheiden sich wohltuend von all den hoffnungslos der Entwicklung hinterherhinkenden linkelnden Meinungsführern.“ Das ist nun ziemlich genau drei Jahrzehnte her. Und seitdem war Heimo Schwilk auch ein Meinungsführer, aber eben ein anderer. Dabei ist es gar nicht so leicht, das passende Attribut für diesen Journalisten zu finden. „Rechts“ wäre zu einfach, „konservativ“ zu schwammig, ziemlich sicher kann aber gesagt werden: Heimo Schwilk ist ein nicht-linker Journalist. Der aber freilich, Jahrgang 1952, zeit seines journalistischen und publizistischen Lebens mit einer linken bis linksliberalen Übermacht im Medienbetrieb konfrontiert ist. Freilich mag genau diese Konstellation dazu beigetragen haben, dass Schwilk vor allem zwei journalistische Tugenden verinnerlicht hat: den Mut zum Nonkonformismus und die Neugierde. 

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Beides zieht sich auch wie ein Leitmotiv durch den zweiten Band seiner Tagebücher, der mit der Jahrtausendwende einsetzt und bis in die unmittelbare Gegenwart hineinreicht. Wir haben es hier also mit der Zeit nach der „selbstbewussten Nation“ zu tun. Schwilk war freilich seither endgültig zu einer journalistischen Marke geworden. Kurz: Es gab jede Menge Schwilk-Leser. Nicht wenige von ihnen kauften vor allem wegen ihm Woche um Woche die „Welt am Sonntag“. Sie schätzten seine Essays und Reportagen, vor allem aber auch seine kritischen Anmerkungen zum Zeitgeist, der ja immer noch links imprägniert war. Schwilk, das wird in den Tagebüchern deutlich, wusste um seine Ausstrahlungskraft, erkannte aber auch die Verantwortung, seinen Lesern das zu bieten, was sie von ihm erwarteten.

Schwilk blieb bei seiner Linie

Sein Arbeitgeber, der Springer-Verlag, sah das freilich nicht immer ähnlich. Unter der Chefredaktion von Christoph Keese, 2004 bis 2008 an der Spitze der „WamS“, nahm das Blatt deutlich einen eher neoliberalen Kurs. Die Sensibilität für die kulturellen und geistigen Themen, die Schwilk bearbeitete, und das auch noch aus einer konservativen Perspektive, hatte die Redaktionsspitze nicht. Verkannte freilich dabei aber genau die Themen, die ihre Stammleserschaft umtrieb. Schwilk jedoch ließ sich nicht verunsichern, er blieb bei seiner Linie und schuf sich den notwendigen Freiraum. Dass solche Kämpfe nicht gerade vergnüglich sind, Kraft kosten und damit zusätzliche Energie einfordern, die für die eigentliche journalistische Arbeit notwendig ist, davon kann man in den Tagebüchern an vielen Stellen lesen.

Interessant sind auch die Einblicke in die vielen Porträt- und Interview-Termine mit bedeutenden Persönlichkeiten: Sei es ein Besuch bei Otto von Habsburg am Starnberger See oder Gespräche mit Walter Kempowski und Martin Walser. Hervorzuheben ist dabei die besondere Beziehung Schwilks zu Papst Benedikt XVI. Schon zu dem Kardinal Joseph Ratzinger hatte Schwilk Kontakt gesucht. Der Protestant, der später einmal mit einer Luther-Biographie Furore machen wird und an den evangelischen Klosterschulen Maulbronn und Blaubeuren Abitur gemacht hat, ist fasziniert von der intellektuellen Ausstrahlungskraft des Chefs des Glaubenskongregation. Als Ratzinger Papst wird, ist Schwilk live in Rom dabei und berichtet für seine Zeitung.

Das große Leitbild: Ernst Jünger

 Die Tagebücher sind aber nicht nur ein Kalendarium der Arbeit. Der Autor gibt vielmehr einen umfassenden und sehr persönlichen Einblick in sein Leben. Er lässt weder seine Eheprobleme weg, noch werden andere Schwierigkeiten verschwiegen. Dies geschieht aber in einer so unaufdringlichen Weise, dass der Leser nicht peinlich berührt ist. Ganz im Gegenteil: Über die Jahre, im wahrsten Sinne des Wortes, gewinnt man als Leser selbst die Protagonisten des Privatlebens lieb, die Ehefrau, Schwilks Töchter, aber auch Freunde, Nachbarn, Bekannte. Freilich merkt man dem Tagebuch-Schreiber den erfahrenen Journalisten an, der weiß, dass auch solche Tag für Tag-Aufzeichnungen nicht in der bloßen Chronologie aufgehen. Sie verdichten sich vielmehr zu einem Gesamtbild. Und so sind Heimo Schwilks Tagebücher tatsächlich zu einem deutschen Zeitbild geworden. Was in den letzten zwei Jahrzehnten in diesen Land gedacht worden ist, in irgendeiner Form findet es sich hier wieder. Schwilk, der eine große Ernst-Jünger-Biographie verfasst hat, steht hier ganz deutlich in der Tradition der „Siebzig verweht“-Tagebücher des Schriftstellers. Von den Mühen und Anstrengungen, die diese Biographie gekostet hat, so etwas wie Schwilks Lebenswerk, berichten die Tagebücher übrigens auch.

Schließlich setzt Schwilk in seinen Aufzeichnungen aber auch vielen Weggefährten und Freunden ein Denkmal: Wie dem schon verstorbenen Ulrich Schacht und Thomas Kielinger, der einst sein erster Chefredakteur beim „Rheinischen Merkur“ war. Denn auch das ist wichtig in einem geglückten Journalistenleben: Freunde.

Heimo Schwilk, Mein abenteuerliches Herz. Band II. Aus den Tagebüchern 2000-2022. 924 Seiten. Landt Verlag, 69,- EUR.

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