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Laurentius von Brindisi: „Mir hat das Herz gebrannt“

Der Süditaliener Laurentius von Brindisi, der im Veneto Kapuziner wurde und die europäische Geschichte mitprägte, verband Mystik und Politik, christliches Leben und evangelische Lehre. Er wurde 1959 dafür als tatkräftiger Kirchenlehrer und „doctor apostolicus“ anerkannt.
Süditalineischer Kapuziner Laurentius von Brindisi
Foto: Gemeinfrei | Der süditalineischer Kapuziner Laurentius von Brindisi: "Verkündigung gewinnt an Überzeugungskraft, wenn sie zuerst gelebt wird und aus der eigenen Erfahrung spricht."

Lieber Bruder, es freut mich, dass du Zeit zu einem Gespräch findest! Ich hoffe, dass du mit meinem Blick aus 400 Jahren Distanz klarkommst!

Ich spreche mit einem Bruder, der noch auf dem Weg ist. Am Ziel aller Wege blicken wir in der Vollendung auf euch und sind offen für eure Erfahrungen – und für eure Anliegen. Wir tun es, wie Origenes treffend sagte, feiernd in Gottes großer Gemeinschaft und zugleich ausschauend auf die „Hochzeitsgäste“ (Matthäus 22) und Geschwister, die noch kommen (Lukas 15)! Ich habe deine Spuren vielerorts gekreuzt: in deiner Heimat Apulien und in Venedig, in Assisi und Rom, in Innsbruck, Wien und Prag, München und Florenz, Madrid und Lissabon.

Wo hast du dich in deinem bewegten Leben am meisten beheimatet gefühlt?

Lass mich mit dem 1. Petrusbrief antworten: Wir Menschen „sind Pilgernde und Gäste auf Erden“ (1 Petrus 2). Ich bin an viele schöne Orte gekommen – und auch in den Kugelhagel von Schlachtfeldern. In solchen Situationen gehst du gerne weiter. Und wo du Wurzeln schlagen möchtest, ruft dich der Glaube, auf dem Weg zu bleiben. „Jede Nation ist ihnen Heimat, und jedes Vaterland ist ihnen ein fremdes Land“ sagte die Frühe Kirche über ihre Mitglieder (Brief an Diognet 5). Unsere wahre Heimat ist Gottes neue Welt und in seinem „ewigen Haus“ (2 Kor 5)!

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„Apostel auf den Straßen Europas“ nennt dich meine Biografie: Trifft das deine eigene Erfahrung? Europa wurde zur Bühne meines Lebens, ja. Ich war öfter auf der Straße unterwegs als in Klöstern. Die Sendung der Jünger, „Frieden in die Dörfer und Städte zu tragen“ (Lukas 10) und „das Evangelium der ganzen Schöpfung zu verkünden“ (Markus 16), sie gilt es neu wahrzunehmen. Es wurde meine Berufung, und Franz von Assisi  hat vorgelebt, wie radikal und beherzt diese Sendung in jeder Zeit zu leben ist.

Du hast schon als Kind in deiner Heimat Brindisi predigen dürfen! Wer hat deine Talente so früh entdeckt?

Ich bin mit einem wunderbaren Gedächtnis gesegnet. So konnte ich schon sechsjährig ganze Predigtpassagen zu Hause wiedergeben, kannte später viele Seiten der Bibel auswendig und lernte verschiedenste Sprachen. Die Kinderpredigten in Brindisi waren Tradition und erinnerten in der Weihnachtszeit an den 12-jährigen Jesus im Tempel. Ich ahmte da jedoch keinen Prediger nach: Kinder haben ihre eigenen Gotteserfahrungen, eigene Fragen an Gott, und ihre eigenen Antworten. Mir hat, wie ich auf einem Schemel stehend von der Kanzel schaute, „das Herz gebrannt“, wie den Jüngern in der Emmauserzählung (Lukas 22). Und dieses Feuer wurde mit mir erwachsen und begleitete mein Wirken das Leben lang.

Warum bist du, kaum erwachsen, aus Brindisi ausgewandert?

Mit acht Jahren habe ich als kleiner Giulio Cesare meinen Vater Guglielmo Russo verloren und mit 13 meine Mamma Elisabetta Masella. Ohne eigene Geschwister, fand ich als Schüler der Franziskaner meine neue Familie: „Einer ist Euer Vater, der himmlische“ (Matthäus 23) und ihr „werdet Geschwister erhalten, hundertfach!“ (Markus 10) Wie sehr hat sich diese Zusage Jesu in meinem Leben doch erfüllt! Venedig? Mein Onkel Pietro war Lehrer in der Serenissima. Da wollte ich auch hin, nicht nur in die glanzvolle Seerepublik, sondern in ein Zentrum des Wissens und der Bildung.

Und in Venedig hast du die Kapuziner kennengelernt. Warum hast du dich uns angeschlossen? Die Minoriten in der Frari-Kirche und die Observanten von San Francesco della Vigna waren doch weit gebildeter als die schlichten Reformbrüder auf der Giudecca-Insel!

Mich beeindruckte genau das: Wie unser Meister aus Nazareth verzichteten sie auf eigene Häuser (Matthäus 8). Von ihrem kleinen Eremo Santa Maria degli Angeli aus führten sie ein Wanderleben als Boten des Evangeliums. Sie erwarteten nicht, dass die Leute zu ihnen kommen, sondern zogen selber durch die ganze Lagunenwelt, kamen in die Häuser und begegneten Menschen in deren Lebenswelt (Matthäus 10). Jede Verkündigung gewinnt an Überzeugungskraft, wenn sie zuerst gelebt wird und aus der eigenen Erfahrung spricht.

Du bist mit Papst und Fürsten befreundet gewesen – und hast dir als Kapuziner im klösterlichen Alltag das Brot von Haus zu Haus erbettelt. Wie hieltest du die Kluft in der christlichen Gesellschaft aus – zwischen Armen und Reichen, Mächtigen und Machtlosen?

Du nimmst eine enorme Spannung wahr. Tatsächlich hatte ich als diplomatischer Gesandter Zugang zu Königen und Kaiser, und als Bruder schenkte ich meine Zeit einfachen Leuten auf der Straße. Vor Fürsten und Könige trat ich öfter freimütig wie ein Gottesmann in Israel auf und im Beichtstuhl ermutigte ich schlichte Menschen in ihren alltäglichen Sorgen. Ich teilte mein Essen mit Reich und Arm. Wie ich das aushielt? Mit der Überzeugung – und der Erfahrung, dass Gott „unser aller Vater“ ist (Matthäus 6). Wenn Gott selber doch nicht wählerisch ist, warum soll ich es sein? Und als Bruder von Arm und Reich stand ich mit meiner ganzen Existenz für das Verbinden der einen Familie...

... zu der allerdings die evangelischen Söhne und Töchter Gottes nicht gehörten? Du hast unerbittlich gegen sie gepredigt, während du Roms Jüdinnen und Juden deine Geschwister nanntest!

Ertappt! Und da komme ich auf die von dir eingangs genannte zeitliche Distanz zurück. Wir lebten in der Epoche, als die konfessionellen Lager in Europa aufs heftigste aufeinanderprallten. Noch nicht lange in Prag, wurde ich im Jahr 1600 auf der Karlsbrücke von Evangelischen halb zu Tode geprügelt. Ich hatte in der Kirche des Franziskus-Hospitals zur katholischen Gemeinde gepredigt. Ich tat es ebenso aus dem Evangelium wie die Nachfolger von Jan Hus und die lutherischen Prädikanten – und sprach immer mehr Einheimischen aus dem Herzen, auch evangelischen.

Die Folge war ein Mordversuch! Als sich das evangelische Lager 1608 zur Protestantischen Union verbündete, setzte ich alle meine Beziehungen dafür ein, um ein katholisches Defensivbündnis zu formieren. Papst und Fürsten ließen mich als Geheimdiplomaten von Prag bis Madrid und von Rom bis Köln reisen. Dass diese Lagerbildung zum Dreißigjährigen Krieg führte und unsägliches Leid über Europa brachte, hätte ich mir nicht einmal in Albträumen vorstellen können.

Ihr lebt glücklicherweise in einer anderen Zeit. Ökumene lehrt euch, gemeinsam aus den biblischen Quellen zu schöpfen, Pfingsten in verschiedenen Kirchen zu erleben (Apostelgeschichte 2) und miteinander für eine menschlichere Welt einzustehen (Lukas 10).

Du warst in jungen Jahren Dozent für Bibelwissenschaft und wurdest ein gefeierter Volksprediger. Als Generalminister durch Europa wandernd, um die Brüder zwischen Nordsee, Atlantik und Mittelmeer zu besuchen, wollte man dich überall hören. Die gedruckte Ausgabe deines Werkes umfasst 5 800 Foliantenseiten. Welche sollen wir heute bevorzugt lesen?

Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich in diesem Gespräch nie mich selbst zitiert habe. Ich nahm damals und nehme heute ernst, was der Evangelist über Jesus sagt: „Er sandte seine Jünger voraus in die Städte und Ortschaften, in die er selber gehen wollte“ (Lukas 10). Prediger und Jüngerinnen bereiten dem Meister den Weg. Entscheidend ist, was er sagt. Wenn mein Werk zu etwas ermutigen will, dann zu diesem: Euch vom Evangelium ebenso berühren zu lassen, in Christus „den Weg, die Wahrheit und das Leben“ zu finden (Johannes 14) und die Botschaft vom Gottesreich auf Erden in alle Welt zu tragen (Matthäus 28).

Du zitierst die Schrift immer ohne Versangabe. Bewusst?

Ja, denn es gilt jedes Wort in seinem Zusammenhang zu betrachten!

Wenn du den Seligpreisungen der Bergpredigt eine hinzufügen könntest, 2000 Jahre später und nicht für Israel oder die junge Kirche gesprochen: Wie würde sie lauten?

Selig, die in jüdischen Menschen Geschwister entdecken: Offen für Gottes Wirken in anderen Religionen werden sie darüber staunen, dass Gottes Liebe keine Schranken kennt!

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