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Schwester M. Lisianne Braunbeck: „Evangelisierung ist nichts Kompliziertes“

Schwester M. Lisianne Braunbeck, Theologin und Mitglied der Internationalen Leitung des Säkularinstituts der Schönstätter Marienschwestern, erläutert, warum der Beitrag der Frauen für die Erneuerung der Kirche wichtig ist.
Schwester Lisianne Braunbeck ermutigt zur Demut vor der biblischen Botschaft.
Foto: Privat | Schwester Lisianne Braunbeck ermutigt zur Demut vor der biblischen Botschaft.

Frauen, Gemeinschaft, hörendes Gebet, persönliches Wachstum: Schwester M. Lisianne Braunbeck spricht mit der Tagespost über die Voraussetzungen der Evangelisierung. Für sie geht es darum, Christus neu zur Welt zu bringen, und zwar nach dem Vorbild Marias - mit dem Heiligen Geist.

Papst Franziskus hat kürzlich mit Blick auf die selige Pauline Jaricot die Bedeutung der Mission unterstrichen: Mit welchen Talenten können Frauen auch in Zeiten der Kirchenkrisen wuchern, um den Glauben zu verbreiten?

Heute werden alle Lebensfelder zu missionarischen Feldern, denn der Glaube hat kaum noch Bodenhaftung in unserem Leben. Die Fühlung mit grundlegenden Glaubensinhalten geht auch Getauften immer mehr verloren. Da braucht es Menschen, die in ihrer Person relativ unkompliziert im Alltagsleben einen Zugang, einen Durchgang zur übernatürlichen Wirklichkeit schaffen. Dass Glaube mitten im Leben „normal“ wird. Und ich meine, gerade Frauen haben hier besondere Stärken, die dem Heiligen Geist die natürliche Grundlage bieten.

Ein Beispiel?

Was nicht im Gespräch ist, existiert irgendwann in der Wahrnehmung nicht mehr. Deshalb hängt für unseren Glauben viel davon ab, ob überhaupt darüber geredet wird. Aber eben in Alltagsgesprächen und mitten in Lebensfragen. Ich habe oft beobachtet, dass Frauen fast beiläufig und selbstverständlich Erlebtes gläubig deuten und durchsichtig machen können. Von einem nur abstrakten Glaubensgebäude kann niemand leben. Die Menschen suchen im Glauben ein Zuhause für die Seele und das beginnt im Zwischenmenschlichen. Und da sind wir Frauen gefragt, vor allem natürlich die Mütter und Großmütter. In den Gemeinden sind oft Frauen die Beziehungsknüpferinnen. Und authentische persönliche Beziehungen sind durchlässig auf Gott hin. Evangelisierung, die bei Menschen heute ankommen soll, braucht Alltagsnähe und den persönlichen Kontakt. Ich meine, alles das liegt Frauen. Evangelisierung ist nichts Kompliziertes, wenn der Heilige Geist sich mit einer Frau verbindet – wie bei Maria.

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Wie bewerten Sie die These, die Kirche müsse erst Strukturen ändern, ehe das Evangelium wieder bei den Menschen ankommen kann?

Die Notwendigkeit von Reformen, auch strukturellen Reformen in der Kirche, steht außer Frage. Aber Strukturen in der Kirche sind nicht einfach eine Spiegelung gesellschaftlicher Formen; da spielen geistliche Zusammenhänge und nicht zuletzt grundlegende Willensäußerungen Jesu eine Rolle.
Wir sind ja nicht die Macher des Evangeliums und weder unsere Organisation noch unsere pastoralen Pläne garantieren, dass Menschen für Gott entzündet werden. Das Evangelium ist Gottes Botschaft und wir sind nur deren sehr bescheidene Träger und Vermittler. Was uns zuerst nottut, ist eine neue innere Haltung, eine demütige Haltung dem Evangelium gegenüber.

Neue Strukturen werden uns nicht glaubwürdiger machen, wenn wir nicht diese Demut aufbringen, uns zu Dienern des Evangeliums zu machen. Und – das vergessen wir leicht: Das Leben aus dem Evangelium hat zu allen Zeiten etwas Prophetisches; das darf nicht einfach in einer allgemeinen Anpassung eingeebnet werden. Offensichtlich will der Heilige Geist in dieser Umbruchszeit die Kirche von innen her zukunftsfähig machen. Er tut es durch die Erfahrung eines dramatischen Zusammenbruchs. Darin liegt aber auch die Chance eines neuen Aufbruchs im Heiligen Geist, wenn wir uns ihm öffnen.

In Deutschland fordern kirchliche Vertreter die Zulassung von Frauen zum Weiheamt mit der Begründung, dies entspreche dem Willen Gottes. Wie ist das Klima in Ihrer Gemeinschaft der Schön-stätter Marienschwestern gegenüber dieser Forderung?

Zunächst möchte ich sagen: Die Kirche sollte in keinem Bereich ihres Wirkens auf Frauen verzichten – nicht in der Lehre, nicht in der Leitung, nicht im Dienst am Menschen, nicht in der Feier ihres Gottesdienstes. Hier authentische Aufgaben zu eröffnen, ist kein Entgegenkommen gegenüber den Frauen, sondern eine Notwendigkeit für die Kirche zur Erfüllung ihres Auftrags. Als Schönstätter Marienschwestern sind wir Teil einer Bewegung, die zum größten Teil Weltchristen – „Laien“ im kirchlichen Sinn – erfasst und als Ganze unter dem Auftrag der christlichen Weltgestaltung steht. Das bestimmt auch das Klima in unserer Gemeinschaft: Prägend ist für uns die gemeinsame Sendung als Getaufte.

Die Frage nach dem Zugang von Frauen zur Priesterweihe ist nicht unser existenzielles Interesse. Ich denke, hier braucht es in der Kirche ganz sicher einen Perspektivenwechsel: So groß das Geschenk der amtlichen Repräsentation Christi für die Kirche in der Zeit ist, steht der Amtsträger doch eindeutig im Dienst der Gläubigen – und nicht umgekehrt. Und wenn wir weiter nach möglichst vielen „amtlichen“ innerkirchlichen Aufgaben für Laien suchen, tragen wir selber bei zu der Schieflage, die wir eigentlich beseitigen wollen.

Welche Frage steht für Sie im Vordergrund?

Die drängende Frage heißt meines Erachtens eher: Wo muss nachgebessert werden, dass die Kirche wieder mehr Seele der Weltgesellschaft sein kann? Das Christentum verliert ja rasant an Boden – räumlich und vor allem im gesellschaftlichen Lebensgefühl. Muss nicht gerade deswegen die Zukunftskirche stärker als bisher laikalen Charakter haben, damit sie die Menschen da erreicht, wo sie sind? Die Berufung der Weltchristen, die am Anfang der Kirche ganz präsent war, muss neu in den Blick kommen. Dass in diesem Kontext der Beitrag von Frauen besonders wichtig ist, ist klar – aber eben nicht in der Linie des sakramentalen Amtes.

Die Theologie hat in den zurückliegenden Jahrzehnten immer wieder auch die marianische Dimension der Kirche hervorgehoben, die noch grundlegender ist als die petrinische, da Maria selbst Petrus und den Aposteln gegenüber den Vorrang hat. Oder anders gesagt: Gott gegenüber sind wir alle zuerst hörend, empfangend, schöpferisch mitwirkend – wie Maria. Das Amt ist wichtig, aber dieser christlichen Urberufung zugeordnet. Christus heute neu zur Welt zu bringen, wie Maria, im Heiligen Geist – darum geht es.

Was müsste sich innerhalb der Kirche ändern, damit mehr Frauen den Schatz des Evangeliums entdecken?

Für alle Menschen, aber ich glaube vor allem für Frauen ist wichtig, dass ihre Würde und ihre Originalität geachtet werden, dass authentische Beziehungen gelebt werden, dass das normale Leben durchsichtig werden kann auf den Glauben, auf Gott hin: ihre Ehe, die Kindererziehung, ihre Arbeit, ihre Entscheidungen,dass Glaube nicht nur eine schöne Dekoration ist, sondern Sinn gibt, zum persönlichen Wachstum im Umgang mit Stärken und Schwächen hilft, dass Glaube eine tiefe Bindung anbietet, die zu größerer Freiheit befähigt und zur Initiative von innen her, dass sie mit ihren menschlichen und intellektuellen Kompetenzen angesprochen werden.

Welches Ereignis oder persönliche Erlebnis fanden Sie in jüngster Zeit besonders wertvoll für die Neuevangelisierung?

In den letzten Tagen haben wir in unserer Gemeinschaft auf 25 Jahre zurückgeschaut, wie sich eine besondere pastorale Initiative der Schönstatt-Bewegung in Deutschland entwickelt hat: das Projekt der pilgernden Gottesmutter. In Brasilien durch den Familienvater und Diakon João Pozzobon angestoßen, hat diese Pastoral in ganz Südamerika und anderen Teilen der Welt bereits reiche Früchte der Evangelisierung getragen. Das Gnadenbild Schönstatts wird monatlich in einer überschaubaren Gruppe von Person zu Person, von Familie zu Familie weitergegeben. Eine Initiative, die in die Gemeinden zurückgebunden ist, aber gleichzeitig keine kirchliche Bindung der Teilnehmenden voraussetzt. Weltweit sind dadurch mehrere Millionen Menschen erfasst, viele von ihnen haben dadurch erst wirklich glauben gelernt.

Am Anfang gab es in Deutschland viele Bedenkenträger: So etwas wird in unseren Breiten nicht angenommen! Unsere Gemeinschaft hat es damals trotzdem gewagt. Und innerhalb von 25 Jahren hat Maria bei vielen Familien und Einzelnen offene Türen und Herzen gefunden und etwas bewegt.  Ich kann nur staunen über manche Zeugnisse aus diesen Jahren. Die ganze Initiative wird von vielen Ehrenamtlichen getragen, die vor allem die Begegnung mit Menschen in ihrem Umfeld suchen und ihnen mit wenigen und einfachen Worten, mit Gebet und menschlicher Aufmerksamkeit nahe sind. Unser Gründer Pater Josef Kentenich nannte diese Art der Evangelisierung eine Pastoral der Zukunft. Und ich glaube, das ist sie.

Der Bischof von Trier hat das Seligsprechungsverfahren für den Gründer der Schönstattbewegung ausgesetzt. Welche Konsequenzen ziehen die Marienschwestern daraus?

Die Tagespost“ hat die Aussetzung des Verfahrens durch die Diözese Trier unter anderem mit der „Komplexität der Causa Kentenich“ in Zusammenhang gebracht. Tatsächlich ist die Vielschichtigkeit des Charismas Pater Kentenichs nach wie vor von der kirchlichen Autorität bisher wenig wahrgenommen worden. Der Gründer selbst hat mehr als einmal zum Ausdruck gebracht, dass das Werk auch studiert und kritisch bewertet werden sollte. Ihm war klar, dass ohne eine solche Auseinandersetzung der Kirche mit dem neuen geistlichen Lebensimpuls in Schönstatt seine Gründung nicht ihre volle Fruchtbarkeit entfalten kann.

Die ausdrückliche Aufforderung von Bischöfe Ackermann zu vertiefter Forschung ist hier ein positives Signal. Eine Reihe von Forschenden verschiedener Fachrichtungen aus unserer Gemeinschaft und aus dem Raum Schönstatts arbeitet bereits intensiv und wir hoffen, dass auf diesen Anstoß des Bischöfe hin ein breites wissenschaftliches Studium außerhalb Schönstatts einsetzt. Eine Seligsprechung Pater Kentenichs macht nur Sinn, wenn dahinter auch für die Kirche die Einsicht steht, welche Innovationen der Heilige Geist durch diesen Gründer der Kirche anbietet. Ganz offensichtlich ist diese Forschungsetappe ein Schritt dazu. Wir erleben uns geführt und das macht uns ruhig und zuversichtlich, dass wir hier unseren Beitrag für die Zukunftsfähigkeit der Kirche leisten können.

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