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Markus Christoph: Die Einheit ist zerbrochen

Nach dem Synodalen Weg droht die Auflösung der Kirche in Deutschland, schreibt der Moraltheologe.
Krise der Kirche in Deutschland: Die Einheit ist zerbrochen
Foto: IMAGO/Mehmet Dilsiz (www.imago-images.de)

Herbst 2023, ich sitze in einem Vortrag zur Krise der Kirche in Deutschland, der Saal ist voll, der Referent ist Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz, er spricht offen und freimütig. Bei der DBK-Vollversammlung im März 2019 habe er für den Synodalen Weg gestimmt. Unter dem Eindruck der MHG-Studie sei ihm wichtig gewesen, ein Signal des Neuanfangs zu setzen. Doch inzwischen… 

Ein Blick zurück

Bei der Abschlusspressekonferenz im März 2019 wurde als Ziel des Synodalen Weges die „Orientierung am Vorbild Jesu Christi“ benannt; man suche „geeignete Formate zur Klärung“, um „gemeinsam als Volk Gottes voran[zu]gehen.“ Orientierung, Klärung, Gemeinsamkeit – dieselben Stichworte apostrophierte Papst Franziskus kurz darauf in seinem Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland: „Alle Bemühungen des Hörens, des Beratens und der Unterscheidung zielen darauf ab, dass die Kirche im Verkünden der Freude des Evangeliums […] täglich treuer, verfügbarer, gewandter und transparenter wird. […] In meinem Heimatland gibt es ein zum Nachdenken anregendes und kraftvolles Sprichwort […]: ,Vereint seien die Brüder, denn das ist das erste Gesetz; sie mögen die Einheit wahren zu jeder Zeit, denn wenn sie untereinander kämpfen, werden sie von den Außenstehenden verschlungen.‘ […] Achten wir auf die Versuchung durch den Vater der Lüge und der Trennung, den Meister der Spaltung, der beim An-treiben der Suche nach einem scheinbaren Gut oder einer Antwort auf eine bestimmte Situation letztendlich den Leib des heiligen und treuen Volkes Gottes zerstückelt!“ 

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Inzwischen ist der Synodale Weg offiziell zu Ende. Wurde die Verkündigung des Evangeliums treuer, gewandter, transparenter? Ist die Einheit unter den Brüdern erstes Gesetz?  „Die Bischöfe sind gespalten“, stellte Bischof Oster am 30. November 2023 fest. „Das ist eigentlich eine Katastrophe für das gläubige Volk in Deutschland. […] Die Tragödie ist aus meiner Sicht, dass wir deutschen Bischöfe uns in entscheidenden Fragen der Anthropologie und der Ekklesiologie so wenig einig sind.“ 

Verwirrung in Pastoral und Liturgie

In den vergangenen Jahren haben sich innerkirchliche Spannungen verschärft, Spaltungstendenzen beschleunigt, Verwirrungen vervielfältigt: in Pastoral und Liturgie, in Lehre und Verkündigung, beim Profil kirchlicher Mitarbeiter, beim Umgang mit römischen Interventionen. Mit ungewissem Ausgang. In Pastoral und Liturgie herrschen oft chaotische Verhältnisse. Die Beispiele sind Legion. Der Synodale Weg forderte Predigt und Taufspendung durch Laien. Beides ist vom Kirchenrecht untersagt, abgesehen bei Nichterreichbarkeit eines geweihten Taufspenders. Trotzdem wurde in den Bistümern Essen und Rottenburg-Stuttgart Ende 2022 die Laientaufe eingeführt. Auch für die Laienpredigt in der Eucharistiefeier zeigen sich Bischöfe aufgeschlossen, teils ist sie längst eingeführt. Im Bistum Rottenburg-Stuttgart predigen Laien, so Bischof Fürst, „mit der offiziellen Unterstützung von mir als Bischof. Es ist diözesanes Recht, dass Laien predigen dürfen und damit auch Frauen. Die Pfarrer sind angewiesen, das zuzulassen.“ Als Reaktion auf den sich anbahnenden deutschen Eigenweg sprach Rom im März 2023 ein Veto zu den beiden Missbräuchen. 

Wörtlich schrieb Kardinal Roche, Präfekt des Dikasteriums für den Gottesdienst, an Bischof Bätzing: „Angesichts der in einigen Pfarreien eingeführten Praxis, dass Laien die Aufgabe übernehmen, die Homilie in der Eucharistiefeier zu halten, muss daran erinnert werden, dass die derzeitige Gesetzgebung bekanntlich Laien […] nicht erlaubt, die Homilie in der Eucharistiefeier zu halten.“ Entsprechendes gelte für Laientaufen, die nur in Notsituationen erlaubt seien. Diese „scheinen in keiner Diözese im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz vorzuliegen, wenn man die Daten des Päpstlichen Jahrbuchs über die zur Verfügung stehenden Kleriker zugrunde legt.“ 

Der Brief führte zu heftigen Reaktionen im ganzen Land. „Wir sind Kirche“ sprach von „ständigen Bevormundungsversuchen des Vatikans für die Teilkirchen.“ Auch Bischof Bätzing zeigte sich wenig beeindruckt: „Wie kaum sonst irgendwo gibt es in Deutschland seit Jahrzehnten theologisch qualifizierte und pastoral kompetente Frauen und Männer neben Priestern und Diakonen. Und in unserem Bistum (wie in einigen anderen Bistümern) predigen diese Seelsorge-rinnen und Seelsorger schon lange auch in der Eucharistiefeier. […] Ich möchte gerne, dass diese Frauen und Männer wissen dürfen: Sie tun diesen Dienst mit Zustimmung des Bischofs.“ Was in der einen Diözese gefördert wird – Laienpredigt, Laientaufe, aber auch liturgische (rituelle) Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare – bleibt im Nachbarbistum verboten, wird unterbunden. Während Kardinal Woelki in Köln bei entsprechenden Verstößen Sanktionen gegen Seelsorger verhängt, betonen die Bischöfe von Münster und Aachen, bei ähnlichen Fällen nichts zu unternehmen.

Verwirrung in der Lehre und Verkündigung

Der Synodale Weg fordert eine veränderte Bewertung gleichgeschlechtlicher Akte und die Zulassung von Frauen zu Weiheämtern. Eine Mehrheit des deutschen Episkopats hat sich beide Anliegen zu eigen gemacht. Bischof Dieser aus Aachen erklärt: „Homosexualität ist – das zeigt die Wissenschaft – keine Panne, keine Krankheit, kein Ausdruck eines Defizits, übrigens auch keine Folge der Erbsünde.“ Für ihn ist die aktuelle kirchliche Lehre zur menschlichen Sexualität „unterkomplex“, „Homosexualität [ist] gottgewollt wie Schöpfung selbst.“ In einer Broschüre des Bistums Limburg heißt es: „Die sexuelle Orientierung eines Menschen steht niemals im Widerspruch zum Glauben.“ 

Dass sie ganz offensichtlich im Widerspruch zum christlichen Menschenbild stehen kann, ficht die Verantwortlichen in Aachen oder Limburg nicht an. Auch nicht, dass dieser pauschale Orientierungsoptimismus ein erschreckend unterkomplexes Bild der Fragilität menschlicher Sexualität zeichnet. Bischof Oster vertritt hier die gegenteilige Position: „Der Mensch ist nicht mehr so, wie Gott ihn geschaffen und gemeint hat […] Sexualität und sexuelle Orientierung […] entwickeln sich aus christlicher Sicht immer auch unter den Bedingungen menschlicher Gebrochenheit – ausnahmslos bei jedem.“ „Jede Sexualität [ist] in diesem Sinn ,gebrochen‘, also dem unterworfen, was wir die Folgen der ,Erbsünde‘ nennen.“ Was also: Gottgewollt oder Folge der Erbsünde?

Auch beim Thema Frauenweihe finden sich im deutschen Episkopat Pro und Contra zugleich. Bischof Bätzing erklärt: „Ich wünsche mir, dass alle Dienste und Ämter in naher oder nicht allzu ferner Zukunft für Frauen offen stehen.“ Bischof Meier von Augsburg dagegen sieht ausdrücklich keinen Spielraum für eine Frauenweihe. Ein völliger Umbau des „Systems Kirche“, bei dem kein Stein auf dem anderen bleibe, sei nicht möglich. Die bischöfliche Meinungsvielfalt führte im Herbst 2023 zu einer neuerlichen römischen Intervention. Kardinalstaatssekretär Parolin stellte am 23. Oktober 2023 klar, dass sowohl Frauenweihe als auch eine Änderung der Sexualmoral ausgeschlossen sei.

Die Reaktionen aus Deutschland: ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp zeigte sich unbeeindruckt; sie erwarte ein baldiges Einlenken Roms. „Ich möchte die Dynamik innerhalb der Kurie in Rom, und auch zwischen Kurie und Papst, in Erinnerung rufen.“ Der Fundamentaltheologe Matthias Remenyi interpretierte die Kritik Roms sogar als Indiz für besonders gute Arbeit beim Synodalen Weg, andernfalls wäre die „Besorgnis entsprechender Kreise“ nicht so hoch, „die Aggression nicht so scharf“.  Es ist nicht bekannt, dass das römische Stoppschild irgendwo zum Umdenken geführt hätte. Bekannt wurde lediglich, im Laufe von 2024 erwarte Rom Vertreter des deutschen Episkopats, um im direkten Austausch zu (er)klären, was in Lehre und Disziplin der Kirche unveränderlich ist.

Pater Markus Christoph SJM
Foto: privat | Pater Markus Christoph SJM ist Dozent im Studienhaus der Servi Jesu et Mariae/Blindenmarkt(A).

Verwirrung beim Profil kirchlicher Mitarbeiter 

Verwirrung herrscht auch bei den Anforderungen an kirchliche Mitarbeiter, von denen die Kirche bislang die Übereinstimmung von persönlichem Leben und kirchlicher Lehre verlangte. Laut Synodalbeschluss soll dieser „personenorientierte Ansatz“ einem „institutionenorientierten Ansatz“ weichen; die Verantwortlichkeit für das kirchliche Profil obliege der Institution, dem persönlichen Zeug-nis des Mitarbeiters komme eine untergeordnete Rolle zu. Die Forderung wurde mit der Neufassung der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ vom 22. November 2022 umgesetzt. Dort heißt es jetzt: „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre, bleibt rechtlichen Bewertungen entzogen.“ Irreguläre Beziehungen wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder geschieden-wiederverheiratete Paare spielen bei kirchlichen Arbeitsverhältnissen zukünftig keine Rolle mehr. Mit einer Ausnahme: „Besondere kirchliche Anforderungen an Kleriker, Kandidaten für das Weiheamt, Ordensangehörige sowie Personen im Noviziat und Postulat bleiben hiervon unberührt.“ In diesen Fällen soll der kirchliche Arbeitsgeber weiterhin den „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ in Blick nehmen.

Die Klausel ist bemerkenswert, da die Grundordnung bei Laien den Verzicht auf die rechtliche Bewertung der privaten Lebensgestaltung mit der Menschenwürde begründet. „Die in der Gottebenbildlichkeit des Menschen gründende Würde kommt uneingeschränkt allen Menschen zu – unabhängig von ihrer individuellen Prägung, ihrer Herkunft, ihrem Alter, ihrer körperlichen oder geistigen Verfassung, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Identität oder ihrem Aussehen. Die Kirche kann es deshalb nicht hinnehmen, dass Menschen wegen ihrer Andersartigkeit geringgeschätzt, benachteiligt oder bedroht werden. […] Jede Form der Diskriminierung muss daher überwunden und beseitigt werden, da sie dem Plan Gottes widerspricht.“

Wenn bei Laien die rechtliche Bewertung der privaten Lebensgestaltung als Diskriminierung gilt, ist es absurd, bei Klerikern und Ordensangehörigen diese Bewertung aufrechtzuerhalten. Nimmt man das Diskriminierungsnarrativ ernst, missachtet das neue Arbeitsrecht deren Menschenwürde. Theologisch gesehen mag der Vorwurf unsinnig sein; es ist keine Diskriminierung, wenn ein Arbeitsgeber ein Anforderungsprofil definiert. Einmal mehr offenbart das Beispiel die innere Widersprüchlichkeit manch synodaler Forderung. 

Verwirrung bezüglich römischer Klärungsversuche

Völlig überraschend veröffentlichte am 18. Dezember 2023 das Glaubensdikasterium das Schreiben „Fiducia supplicans“ zur Weiterentwicklung des kirchlichen Segensverständnisses. Ziel war die Klärung, in welchem Sinn Paare in irregulären Situationen gesegnet werden können beziehungsweise nicht.  Das römische Dokument, das – bei unvoreingenommener, sorgfältiger Lektüre – durchaus als Klärungsversuch einer vom Synodalen Weg aufgeworfenen Problematik verstanden hätte werden können, führte im Gegenteil zu neuen innerkirchlichen Verwirrungen. Manch Anhänger der Forderungen des Synodalen Wegs begrüßte das Dokument euphorisch (Bischof Timmerevers: bin „sehr froh und sehr überrascht“) – andere lehnten es entrüstet ab (als „Armutszeugnis“ und „pastorale Zumutung“).Gleichzeitig sahen sich auch Kritiker der synodalen Forderungen sowohl bestätigt (Bischof Oster: bin „dankbar für diese Erklärung, weil sie uns in den polarisierten Debatten um dieses Thema in mehrfacher Hinsicht weiterhelfen kann“) – als auch zu scharfer Kritik herausgefordert (Kardinal Müller: „Gotteslästerung“).

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Eine aus Rom nachgereichte Präzisierung am 4. Januar 2024 verstärkte Zustimmung und Ablehnung gleichermaßen – bis hin zur geschlossenen Ablehnung der vorgeschlagenen Segnungen durch die Kirche in Afrika am 11. Januar 2024, nach Pressemeldungen mit ausdrücklicher Zustimmung von Papst Franziskus und Kardinal Fernández! Teils wechselten Kommentatoren innerhalb weniger Tage ihre Meinung. So twitterte der BDKJ-Vorsitzende Podschun erst begeisterte Zustimmung („Ich glaube es ja nicht… Ich bin überrascht und freue mich darüber sehr!“), dann scharfe Kritik („Pontifex und Vatikan sind mit Fiducia supplicans menschenfeindlich und diskriminierend. […] Ich kann einfach nicht glauben, dass dies evangeliumsgemäß ist.“) Mit „Fiducia supplicans“ hat das Ausmaß innerkirchlicher Verwirrung – quer durch die „Lager“ – zweifelsohne einen neuen Höhepunkt erreicht.

Man fürchtet eine Auflösung

Zurück zum Vortrag des Bischofs über die Kirchenkrise in Deutschland: „Ist diese Unruhe in der Kirche nicht grausamer als das Gewoge des Meeres? In ihr ist jede Grenze, die von den Vätern gezogen wurde, in Bewegung geraten, jeder Grundstein, jede Sicherheit der Lehre ist erschüttert. Das Übermaß an Streitsucht untereinander raubt jede Besinnung. Es droht die Furcht vor einer allgemeinen Auflösung. Überall ist die Liebe erkaltet, die Einigkeit unter den Brüdern verschwindet.“ Mit diesen Worten habe Basilius der Große im vierten Jahrhundert die chaotischen Zustände der Kirche seiner Zeit beschrieben – durchaus übertragbar auf die heutige Situation in Deutschland. 

Ja, inzwischen bereue er, im Frühjahr 2019 für den Synodalen Weg gestimmt zu haben. Papst Franziskus hatte anschließend zur Einheit gemahnt und vor dem „Vater der Lüge und der Trennung“, dem „Meister der Spaltung“ gewarnt. 2024 sehen wir, wie berechtigt seine Warnung war.

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