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Die Weiche falsch gestellt

Bischof Stefan Oster über Realpräsenz, Sakramentalität und den Synodalen Weg in Deutschland.
Handweiche und Gleis der Inselbahn, Wangerooge, Ostfriesische Insel
Foto: imageBROKER/Wilfried Wirth | Schon zu Beginn des synodalen Weges wurden die Weichen falsch gestellt.

Im Oktober 2018 hatte ich die Gelegenheit, an der Weltbischofssynode in Rom teilzunehmen, die sich unter dem Titel: „Die Jugendlichen, der Glaube und die Erkenntnis der Berufung“ versammelt hatte. Zahlreiche Bischöfe und Ordensobere aus der ganzen Welt, Beraterinnen und Berater und vor allem auch junge Menschen haben einen Monat lang darüber beraten, wie es heute möglich ist, mit jungen Menschen zusammen Kirche zu sein und zu leben und ihnen Wegbegleiter zu sein auf dem Weg ins Leben, in den Glauben und in das Finden ihrer Berufung. Papst Franziskus war in den meisten Plenarversammlungen anwesend und hat mehrfach erläutert, wie er Synodalität versteht.

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Lernen zu hören

Wichtig war ihm in den Plenarsitzungen, dass nach jeweils fünf vierminütigen Redebeiträgen ein dreiminütiges Schweigen eingelegt wird. Wir sollten mit ihm lernen, Hörende zu werden. Zuhören, so der Papst sei nicht nur eine natürliche Fähigkeit, Zuhören sei auch ein theologischer Begriff, denn Gott hört nach der Schrift die Klage seines Volkes (vgl. Ex 3,7). Wichtig war dem Papst auch folgendes: Die Synodalversammlung sei ein geschützter Raum.

Als Medienvertreter waren daher nur die eigenen von Radio Vatikan anwesend, alle anderen Berichterstatter aus der ganzen Welt sind jeweils nach den unterschiedlichen Etappen der Versammlungen in Pressekonferenzen informiert worden. Die Eröffnung eines geschützten Raums war für den Papst deshalb wichtig, weil jeder die Gelegenheit bekommen sollte, aus freiem Herzen zu sagen, was ihm wichtig ist. Und zwar nach Möglichkeit ohne das Schielen auf Zustimmung oder auf Mehrheiten oder auf Medien, ohne politisches Kalkül, ohne Taktik.

Warum? Weil nach der Auffassung des Papstes nur dann der Heilige Geist wirken und leiten kann. Er kann auf diese Weise so wirken, dass eine hörende Gemeinschaft entsteht, in der einer den anderen in Wohlwollen wahrnimmt, eine Gemeinschaft, die sich einüben kann in der Unterscheidung; die sich in Richtung Einmütigkeit bewegen kann, weil sie sich vom Geist führen lässt, der Liebe ist und zur Einheit drängt. Eine Synode, so der Papst immer wieder und überdeutlich, ist kein Parlament. Synodalität bedeutet gerade nicht: Politik!

Entscheidungsvollmacht beim Papst 

Zudem hat der Papst immer wieder auch betont, dass er selbst in seinem Amt einheitsstiftendes Prinzip ist: sub Petro und cum Petro. Am Ende liegt die Verantwortung für Entscheidungen bei ihm selbst (decision taking) im Unterschied zum Diskussions- und Findungsprozess (decision making). Abstimmen über Textabschnitte des Abschlussdokumentes konnten zuletzt nur die ordentlichen Synodenteilnehmer, also vor allem die Bischöfe, die Hirten – und zum Beispiel nicht die Beraterinnen und Berater.

Papst Franziskus macht damit deutlich, dass die Kirche Weggemeinschaft aller ist. Alle sind zur Mitsprache und zum Mitwirken eingeladen, aber zugleich ist diese Kirche hierarchisch, episkopal verfasst, weshalb wesentliche Entscheidungen dann von den Bischöfen oder eben dem Bischof von Rom zu treffen sind.

Auch der Wegcharakter sollte schließlich deutlich werden, so sehr, dass sich die meisten Synodenteilnehmer auf eine gemeinsame halbtägige Fußwallfahrt begeben haben und dazu auch noch zusätzlich viele Jugendliche von außen eingeladen waren, aus Rom und Umgebung. Gemeinsam auf dem Weg – mit jungen Menschen und für sie, offen für das Wirken des Geistes, der immer wieder überrascht und Kirche jung sein lässt. Alle sind eingeladen mitzugehen in dieser Kirche, die mit Jesus geht, die miteinander betet, die zuhört und auf sein Wort hört – und in der Menschen ein solidarisches Miteinander leben. (…)

Bischof Oster im Video zu den Themen des Synodalen Weges

Bekehrung des Herzens?

(…) Ich glaube, dass sich die inhaltlichen Weichenstellungen beim Synodalen Weg in allen vier Foren direkt oder indirekt auf Sexualität und/oder das Verhältnis der Geschlechter zueinander beziehen – und dass sie damit womöglich, ohne es deutlich zu sagen oder auch ohne es zu sehen (oder ohne es sehen zu wollen?), letztlich die sakramentale Verfassung der Kirche wenigstens antasten oder in der Konsequenz auf lange Sicht sogar aushöhlen. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist in den bisherigen Überlegungen und Texten des Synodalen Weges der weitgehende Ausfall der Formulierung eines Anspruchs des real präsenten Gottes. Ist Gottes Selbstgegenwart zugleich Selbstmitteilung, dann ist sie immer zuerst Zuspruch, immer zuerst Gabe – und dann aber notwendig auch Anspruch an den Menschen, weil sie eben immer Gabe ist, die Annahme erhofft und damit Aufgabe ist.

Es gibt aber keine echte Annahme der liebenden Selbstmitteilung Gottes ohne Umkehr, ohne die Rückwendung und neue Zuwendung des Menschen zu dem sich offenbarenden und schenkenden Gott. Es gibt auch keine sich als wirksam erweisende eucharistische Kommunion ohne das aus dem Herzen kommende, antwortende „Amen“ des empfangenden Menschen. Gott ist Liebe – und Liebe kann per Definition niemanden zwingen. Daher ist „Vergebung der Sünden“ biblisch auch die nicht zu eliminierende, zentrale Wirklichkeit der Erlösungstat Christi: Befreiung aus der Macht der Sünde, aus der Macht des Begehrens nur dieser Welt (vgl. 1 Joh 2,16) und Hineinholen in die neue, wieder real präsente Beziehungswirklichkeit der Gottesfamilie, Befähigung zur fortwährenden und existenziellen Antwort, Lernen einer Liebe, die absichtslos, nicht manipulativ und nicht besitzergreifend – die also in diesem weiten Sinn verstanden: keusch ist.

Fixiert auf Strukturen

Meines Erachtens fehlt in den Texten des Synodalen Weges vielfach diese Perspektive – und damit wird ein Hauptproblem seiner Zielrichtung deutlich. Es wird zwar immer wieder von Umkehr gesprochen, aber verstanden wird damit in der Regel zuerst eine Art Umkehr der Kirche in ihren Strukturen. Kirche müsse verstehen, dass ihre Strukturen zur Ermöglichung von Sünde (besonders von Missbrauch) geführt hätten und Evangelisierung verhinderten, daher müssten sich die Strukturen verändern. Diese fehlerbehafteten Strukturen seien insbesondere die alleinige Macht in Händen der Kleriker, demgegenüber die Ohnmacht der Frauen und der Laien, und eine Sexualmoral, die entweder nur noch relevanzlos für die Menschen sei oder aber beim Versuch, sie zu beachten, zu seltsamen Pervertierungen führt – und damit ebenfalls Missbrauch begünstigt. Daher müsse insbesondere die Sexualmoral an die heutige Lebenswirklichkeit samt den Erkenntnissen der Humanwissenschaften angepasst werden.

Der individuelle Glaube der Menschen wird dagegen immer schon vorausgesetzt, und kaum angefragt, weder inhaltlich noch in seiner Entschiedenheit oder Intensität. Fehlende Einheit inhaltlicher Positionen mit dem Lehramt werden grundsätzlich als positive Erscheinung von Pluralität gerechtfertigt; Heiligkeit oder gar Martyrium als Vollendungsgestalt christlichen Lebens kommen im Grunde nicht mehr vor.

Allerdings: Richtig an einer solchen Analyse der Strukturen, die möglicherweise Missbrauch begünstigen, ist aus meiner Sicht tatsächlich dies: Wenn die Kirche in allen ihren Gliedern weitgehend des Glaubens an die verändernde Kraft der realen und den Menschen heiligenden Präsenz Gottes verlustig geht, dann neigen in der Folge davon Strukturerscheinungen, zu leeren Hüllen und Fassaden zu werden; dann bleibt auch kirchliche Lehre vor allem überforderndes Gesetz und bloße Moral; dann bleibt der kirchliche Apparat immer nur geneigt zum Selbst- und Machterhalt und versucht, besonders das zu vertuschen, was diesen Selbsterhalt gefährden könnte. Und dann streben diejenigen in Verantwortung ebenfalls zu einem größeren Interesse an Selbst- und Machterhalt und weniger zur von Jesus geforderten Selbsthingabe für ihn und die Menschen. Es ist im Grunde das Bild einer narzisstischen Kirche, die zuvorderst um sich selbst besorgt ist. Und wenn wir ehrlich sind, ist vieles an dieser Diagnose richtig.

 

Sakramentalität der Kirche
Foto: Matthias Petersen | Anbetung auf dem Internationalen Forum Altötting (August) 2003.

Verlust der Sakramentalität

Nicht zuletzt deshalb sind in den letzten Jahren gerade auch die Strukturen der Kirche in Deutschland unter dem Eindruck des Missbrauchs bereits in vielfacher Hinsicht angepasst und verändert worden: So gibt es allerorts umfangreiche und durchgreifende Präventionsmaßnahmen, eine immer neu angepasste Interventionsordnung, Aufarbeitungskommissionen und Betroffenenbeiräte in den Bistümern, Maßnahmen zur Anerkennung des Leides, der nach Rom eingesandte, ausgearbeitete Vorschlag, eine eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit, Disziplinarordnung und Strafkammern einzurichten; die Verabschiedung einer Ordnung für die Führung von Personalakten, unabhängige Ansprechpartner und anderes mehr.
Zielt der Synodale Weg aber als mögliche Antwort auch auf eine aufrichtige Umkehr, auch von jedem persönlich? Eine Bekehrung, die lernt, ihre Sünden zu bekennen und ihr Herz der Gegenwart des Auferstandenen so zuzuwenden, dass Menschenherzen verändert werden?

Oder ist unsere gläubige Vorstellungskraft dafür inzwischen in der Breite des Kirchenvolkes so gering, dass wir noch mehr vor allem äußere strukturelle Bedingungen so verändern müssen, dass sie einer uns vertrauten liberalen, demokratischen Gesellschaft ähnlicher werden und dann eben auch der persönlichen Lebenswelt der vielen in so einer Gesellschaft? Um durch mehr Kontrolle der Mächtigen, durch garantierte Mitbestimmungsmöglichkeiten von allen und Liberalität in Liebesdingen womöglich einige missbrauchsbegünstigende Faktoren zu eliminieren? Aus meiner Sicht wäre gerade dann aber noch nichts von der Anziehungskraft sakramentaler Gegenwart Gottes gewonnen. Vielmehr droht gerade deren Verlust. Warum? Weil in den Themen der vier einzelnen Foren des Synodalen Weges die Frage nach der verändernden und heiligenden Realpräsenz Gottes direkt mit der gewünschten Veränderung der Themenstellungen zusammenhängt. Dies sei im Folgenden noch im Ansatz gezeigt.

Die Foren und ihre Themen

Das Forum „Macht und Gewaltenteilung“ kreist unter anderem oder auch vordringlich um die Frage, inwiefern im Bischofsamt und bei Pfarrern die Leitungsmacht etwa im Blick auf Verwaltung, Jurisdiktion, Personal und Finanzen ihre Grundlegung hat von den drei geistlich konnotierten Diensten (munera) des Lehrens, Leitens und Heiligens her, die bei der sakramentalen Weihe in den Ordo übertragen werden. Oder ob sie auch davon gelöst werden und so etwa auch Bischöfe und Pfarrer einer größeren Kontrolle unterzogen werden könnten. Müssen letztverantwortliche Leiter immer und für alles Bischöfe und Pfarrer (in den Pfarreien) sein? Oder können sie auch kontrolliert werden? Kann Leitung und Verantwortung besser geteilt, delegiert und auch abgegeben werden? Ich bin persönlich selbstverständlich dafür, dass diese Fragen offen diskutiert werden, und sehe hier guten Spielraum für erweiterte und neue Formen der Teilhabe und nötiger Kontrolle. Weiten Teilen des schon verabschiedeten Grundtextes aus Forum I kann ich daher zustimmen, anderen nicht.

Allerdings ist es aus meiner Sicht nun kein Zufall, dass dann im Forum II („Priesterliche Lebensform“) durch das Votum der Synodalversammlung erstens die grundsätzliche Frage diskutiert werden soll, ob und wozu es überhaupt den priesterlichen Dienst benötige. Zudem wird deutlich, dass die Debatten im Forum I („Macht und Gewaltenteilung“) auch in die anderen Forumsthemen hineinreichen – und eben dadurch deutlich machen, dass es letztlich doch um die Sakramentalität als von Gott geschenkte Realpräsenz geht: In den Abschnitten 8.2. und 8.3. geht es nämlich um die Zugangsvoraussetzungen zum Ordo, angesprochen werden hier explizit Zölibat und Frauenordination. Zölibat ist eigentlich Thema des Forums II und der Zugang von Frauen zu Ämtern Thema des Forums III.

Bedingung für Zölibat

Tatsächlich erleben wir unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen im Westen nicht so selten ein Scheitern zölibatären Lebens unter Priestern. Und dort, wo er nicht von innen her wirklich angenommen wird, sondern womöglich als Ausweich-Lebensform von unreifen Personen gesucht wird, die sich ihrer Sexualität oder ihrer wie auch immer gearteten sexuellen Orientierung nicht stellen wollen oder können, kann der Zölibat wohl tatsächlich sexuellen Missbrauch begünstigen. Geistlich gesprochen ist der Zölibat deshalb aus meiner Sicht nur plausibel unter der gläubigen Einsicht, dass ein Leben aus der realen Gegenwart Christi im eigenen Leben erfüllt und fruchtbar sein kann.

Ein geweihter Priester ist im gelingenden Fall ein Zeuge, mithin ein Zeuger, ein Vater (Pater, Father, Padre, wie Priester in vielen Ländern der Welt genannt werden); ein Zeuger jenes neuen Lebens, das der Auferstandene in Person ist und ins Herz der Menschen bringen will. Das heißt: Damit ein Priester gelingend zölibatär leben kann, muss er in der Lage sein, seine innere Personmitte, sein Herz in der realen Präsenz des Herrn zu verankern und sehr konkret aus ihr zu leben. Die Standesbezeichnung eines „Geistlichen“ kommt aus dieser ursprünglichen Wahrnehmung des „Stehens“ im Raum dieser geistlichen Wirklichkeit. Gelingt diese Lebensform, ist sie ein positiv provokatives Zeichen dafür, dass Gott tatsächlich im Leben eines Menschen wirkungsvoll da ist und es zur Erfüllung bringen kann. Der Zeuge wird inmitten der Kirche zum zeugenden Mitwirker des göttlichen Lebens im anderen Menschen.

Die Sorge um Klerikalismus ist berechtigt

Umgekehrt: Dieser gemeinsame Verzicht unter Priestern auf gelebte Partnerschaft, verbunden mit Macht und Privilegien, lässt ohne die aufrichtig gelebte innere Mitte die Kleriker leicht dazu geneigt werden, untereinander zur „geschlossenen Kaste“ zu werden, die meinen, ihre Privilegien durch ihren Lebensstil zu verdienen – und dann die Dinge ausschließlich unter sich „zu regeln“ – und damit eben unter anderem auch Missbrauch zu vertuschen oder im schlimmsten Fall gegenseitig zu begünstigen.

Hier sieht das gläubige Volk völlig zu Recht die Gefahr einer dramatischen Verweltlichung, die fast notwendig Macht und Menschen missbraucht: „Corruptio optimi pessima“. Wieder stellt sich die Frage: Wie lebt ein Mensch, der die Lebensform Jesu für sich übernimmt, konkret aus der realen Präsenz seines Herrn? Und inwiefern sind die weibliche konnotierte Kirche und „ihre Kinder“ (vgl. Offb 12,17) dafür auch ein Gegenüber, realer Ort seiner Hingabe als betender und liebender Mensch?

Was die Frage nach dem Zugang zum sakramentalen Priestertum für Frauen angeht (Forum III): Wenn die innere Form des Erlösungsgeschehens eingezeichnet ist in das Verhältnis von Bräutigam und Braut, wenn es also kein nur biologischer Zufall war, dass Christus als Bräutigam Mann und die Urgestalt von Kirche als Braut eine Frau ist (Maria), sondern in das Geheimnis von Schöpfung und Erlösung hineingehört, dann wird die Kirche auch in Zukunft als Vorsteher bei der Eucharistie, dem „Hochzeitsmahl des Lammes“, keine Frau weihen können – während die Frage nach dem Diakonat der Frau aus meiner Sicht offen ist und lehramtliche Klärung braucht. Aber gerade in der Eucharistie zeigt sich, wie oben schon ausgeführt, die ursprünglichste Form der sakramentalen Gegenwart Gottes als Selbstmitteilung von Christus an seine Braut, die Kirche. Wie gesagt: Die ursprüngliche Form schöpferischer, sakramentaler Realpräsenz ist dialogische, insbesondere bräutliche Realpräsenz – Hingabe Jesu an seine Kirche!

Freiheit nicht ausnutzen

Schließlich ein letztes, die Sexualmoral (Forum IV): In der Schrift wird vielfach bezeugt, dass die reale Begegnung mit Jesus verändert. Und sie wirkt diese Veränderung auch im Bereich des Lebens der Sexualität. Der „neue Mensch“, als die „neue Schöpfung“ (2 Kor 5,17) kann die Sprache des Leibes so leben lernen, dass er mitten in einer gebrochenen Welt dem Liebesgebot Gottes und seiner Gegenwart entspricht (vgl. 1 Kor 6,15–20). Das heißt: Er wird von Gott her mehr und mehr „ganz“ und lernt im Leben mit Gott seine Sexualität mit ihrer Sehnsucht und Begierde so zu integrieren, dass er sie in dem Ort lebt, in den sie ursprünglich ganz gehört, in der Ehe mit ihrer Hinordnung auf Bindung, Treue, gegenseitige Freude und Offenheit auf Nachkommen. Oder eben so, dass er auf ihr Ausleben verzichtet.

 

Sakrament der Ehe
Foto: Stefan Redel | Auch die Ehe ist ein Sakrament und ist damit keine Verfügungsmasse einer Kirchenreform.

 

Der vorgeschlagene Grundtext des Synodalforums IV spricht sich nun aber dafür aus, die verschiedenen Dimensionen von Sexualität (etwa Bindung, Lust, Transzendenz, Zeugung) jeweils für sich zu nehmen und in ihr je eigenes Recht zu setzen, ohne ihren inneren Zusammenhang allzu notwendig erscheinen zu lassen. Aus meiner Sicht wird hier die Erkenntnis zur nötigen Umkehr in ein durch die Realpräsenz Gottes erneuertes und in größere Ganzheitlichkeit berufenes Leben verdrängt durch vor allem horizontal gewonnene humanwissenschaftliche Erkenntnisse und die Berücksichtigung lebensweltlicher Normalität: Also Bestätigung der vorfindlichen Desintegration des Menschen als eine Art von Normalität in diesem Bereich. Dazu kommt ein Verständnis von der Freiheit des Menschen, das sich vorwiegend an modernen philosophischen Konzepten oder faktisch gelebten Freiheitsvollzügen orientiert, aber nicht an ihrer biblischen beziehungsweise paulinischen Auffassung: „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe!“ (Gal 5,13).

Läuterung nötig 

Wird aber von hier in den Anträgen des Synodalen Weges der Segen, das heißt der Zuspruch Gottes, gefordert ganz generell für alle möglichen „Paare, die sich lieben“ und die den Segen wünschen, was selbstverständlich sexuelle Aktivität ausdrücklich einschließt, dann bleibt meines Erachtens von dem biblischen Aufruf zur Umkehr, zur Integration, zur Teilhabe am neuen Leben auch in diesem Bereich nicht mehr allzu viel übrig.

Was „Liebe“ ist und welche Formen von Liebe Läuterung brauchen, erschließt sich uns als Christen ja gerade erst von der gekreuzigten Liebe her, also von diesem hochzeitlichen Hingabegeschehen, das das Herz des Neuen Bundes ist. Das heißt, dass so vieles, was in dieser gebrochenen Welt, und damit auch in der viel beschworenen Lebenswelt der Menschen oder auch der wissenschaftlichen Analyse von Sexualität, unter dem Stichwort „Liebe“ verhandelt wird, im Grunde aus der Sicht des Glaubens ebenfalls Läuterung braucht: Von der Besitzergreifung zur Freigabe, von der Begierde „für mich“ zur Hingabe „an dich“, letztlich – im Bild des Paulus auf Christus hin gesprochen – vom Gekreuzigt- und Begrabenwerden zur Auferstehung (vgl. Röm 6,4–6).

Und wenn es den dargelegten inneren Zusammenhang zwischen rechtem Kult und rechtem sittlichen Verhalten gibt, dann fürchte ich, dass sich unsere Gläubigen, die diesen jetzt im Synodalen Weg vorgeschlagenen Begründungsmodellen für menschliche Sexualität folgen, eher noch weiter aus der geglaubten, erfahrbaren Realpräsenz Gottes entfernen und die Antwortversuche womöglich immer noch schwächer werden. Eben weil sich der Mensch selbst von seiner Berufung verabschiedet, „Realsymbol“ der real präsenten, hochzeitlichen Liebe Gottes zu werden.

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Weichenstellung zu einer anderen Kirche?

Dazu noch eine Beobachtung zu den entscheidenden Weichenstellungen. Im Forum IV, dem ich selbst angehöre, konnte ich zu Beginn des Weges mit einigen anderen zusammen einen grundlegenden Text als Diskussionsbeitrag eingeben, der der biblischen Anthropologie nach meinem Verständnis entspricht – und wie ich es hier noch einmal knapp dargelegt habe. Wir haben darin auch ein Freiheitsverständnis formuliert, das dem hier kurz entfalteten entspricht: Der von Christus erlöste Mensch ist in der Lage, in der inneren Nähe und getragen vom real präsenten Christus in seiner Kirche in eine immer größere Freiheit von Sünde und in die Freiheit zur Gotteskindschaft hineinzuwachsen – die ihn dann wieder zur größeren Hingabe befähigt.

Dieser Text wurde diskutiert – wenn auch nicht allzu ausführlich. Die große Mehrheit der Forumsteilnehmer hat sich dann aber schnell für einen anderen Ansatz und ein anderes Kriterium im Blick auf die Freiheit entschieden, der folgendermaßen formuliert wurde: Sie „betonen stärker den Aspekt der ,verantwortlichen Freiheit‘ im gewissenhaften Urteil jeder einzelnen Person. Das Gewissen wird angeleitet und begleitet durch das gemeinsame Suchen und Ringen mit anderen und nicht zuletzt durch die Lehren der Kirche.“ Nichts an dieser Formulierung ist zunächst verkehrt, dennoch bedeutet sie eine Weichenstellung, die den hier entfalteten Aspekt von der erlösenden Realpräsenz Jesu in seiner Kirche letztlich dem persönlichen Gewissensurteil nachordnet und umgekehrt die „Lehre der Kirche“ eben vor allem in der Form von „Lehre“, das heißt in Form von Sätzen auch noch mit berücksichtigt („nicht zuletzt“), wie eben andere auch. Aber ein seinsmäßig tragendes Vorweg von Christus in seiner Kirche, aus dem heraus ich neu werden kann, neu geboren werde, mithin neue Freiheit empfange, ist hier nicht beschrieben. Stattdessen eine schon vorweg eher autonom gedachte Freiheit, die sich aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Erfahrungen und Erkenntnissen ein Gewissensurteil bildet – und dabei das Urteil des Lehramtes auch noch kritisch mit einbezieht.

Raus aus der Debatte

Ist diese grundlegende Weichenstellung in Sachen Freiheitsauffassung aber einmal vorgenommen, wird deutlich, dass sich der fortfolgende Grundtext dann vor allem auf dieses Freiheitsverständnis jenseits von oder unabhängig von der Erfahrung oder dem Bewusstsein von „Realpräsenz in Christus“ stützt. Es gibt dann von hier kein leichtes Zurück mehr. Die grundlegende Bekehrung des Herzens hin zum Neuen Menschen in der Kirche – aufgrund der Erfahrung des Befreit-seins aus Gottesentfernung – kommt daher existenziell kaum mehr zum Tragen und spielt in den weiteren Formulierungen des Textes kaum noch eine Rolle. Das heißt folglich, nach dieser Weichenstellung war die Erfahrung von uns eher konservativen Teilnehmern am Forum: Wir fühlten uns abgehängt.

Jede weitere Form eines intensiveren Mitdiskutierens hätte immer wieder an diesem Grundlegenden ansetzen müssen, der ganze Textentwurf hätte also wieder eine andere Richtung bekommen müssen, als es die weite Mehrheit wollte. Wir waren damit mehr oder weniger raus aus der Debatte. Interessant war dann auch die folgende Erfahrung: Im Gespräch mit Mitgliedern anderer Foren, insbesondere der Foren I (Macht) und III (Frauen und Ämter), erfuhren wir, dass es den Minderheiten in diesen Foren ähnlich erging. Die meisten fühlten sich aus der Diskussion ausgeschlossen, weil die Grundtextentwürfe irgendwann tatsächlich eine Grundentscheidung für eine bestimmte Richtung getroffen hatten.

Nach meinem Verständnis liegt das eben genau an dem, was ich hier zu entfalten versucht habe: An einem sakramentalen und dialogisch-bräutlichen Verständnis von Realpräsenz Gottes in seiner Kirche – als dem uns immer schon voraus liegendem „Raum“ dieser Gegenwart. Das heißt folglich auch: Die Neuformulierungen von Lehre sind daher aus meiner Sicht nicht einfach Weiterentwicklung, schon gar nicht „behutsame“ Weiterentwicklung, wie es auch manche Bischöfe sehen wollen, sondern tatsächlich eher ein Bruch. Sie sind nicht graduell zur bestehenden Lehre Ergänztes, sondern wesenhaft Anderes. Und da es sich im Kern um fundamentale anthropologische Fragen handelt, entfaltet sich aus der Anthropologie folgerichtig eine andere Ekklesiologie und verbunden damit natürlich folglich zum Beispiel auch eine andere Gnaden- und Erlösungslehre.

 

Chagall, Geliebte unter Flieder
Foto: public domain

Anthropologie und Ekklesiologie

Der Zusammenhang zwischen Anthropologie und Ekklesiologie ist aber insbesondere im Konzilstext „Lumen Gentium“ deutlich sichtbar: Wo Kirche von sich selbst gleich zu Beginn (LG 1) als Sakrament spricht, gipfelt der ganze Text am Ende, im achten Kapitel, in einer Mariologie. Die Urgestalt von Kirche ist der heile, personale und bräutliche Ort der Realpräsenz des Herrn, die „Wohnung Gottes unter den Menschen“ (Offb 21,3). Wenn ich recht habe, dann sind diese Weichenstellungen in den Foren, die die Kirche als Ort dieser Realpräsenz übergehen, gerade deshalb so umstritten – und führen bei nicht wenigen Beobachtern (unter anderem bei Papst Franziskus) zu Recht zu den Befürchtungen, hier gehe es am Ende doch um den Weg hin zu einer anderen Kirche.

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Denn tatsächlich haben wir weltweit seit der Reformation Kirchen und kirchliche Gemeinschaften, die ihre Entwicklungen auch unter den Vorzeichen einer anderen Anthropologie (zum Beispiel lutherisch: „natura humana totaliter corrupta“) genommen haben, die wesentlich von der sakramentalen (das heißt auch der marianischen) Dimension des Menschen und folglich auch der Kirche absieht. Und es sind eben diese Entwicklungen, die uns heute im ökumenischen Gespräch auf der Suche nach einem gemeinsamen Verständnis von Sakrament und Kirche so herausfordern.

Eine innere Logik

Meines Erachtens ist das kein Zufall, sondern eben innere Logik als Folge des schwächer werdenden Glaubens an die reale, sakramentale und existenziell befreiende (das heißt heiligende) Präsenz Gottes in seiner Kirche. Das würde aber bedeuten: Die Krise des Glaubens in der Kirche in Deutschland würde letztlich durch den Synodalen Weg nicht behoben, sondern eher verschärft. Denn wo der Glaube, die Erkenntnis und die Erfahrung von realer Gegenwart Gottes in seiner Kirche schwinden, schwindet letztlich auch der eigentliche Faktor ihrer Anziehungskraft – und auch ihrer Widerstandskraft gegen Strömungen, die ihr nicht mehr entsprechen. Und zwar beides unabhängig davon, ob Strukturen gelingend erneuert werden oder nicht.


Gekürzte Fassung eines Aufsatzes, der in der Juli/August-Ausgabe 2022 der Internationalen Katholischen Zeitschrift „Communio“ erschienen ist. Wir danken für die freundliche Genehmigung.

 

 

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