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Die Geburtsfehler zeigen ihre Wirkung

Unwissenschaftliche Verabsolutierung der MHG-Studie und kein kirchenrechtlicher Rahmen: Das sind laut dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer die zwei „Geburtsfehler“ des Synodalen Weges.
Synodale Weg war von Anfang an systematisch fehlerhaft konzipiert
Foto: Mohssen Assanimoghaddam (dpa) | Der Synodale Weg war von Anfang an systematisch fehlerhaft konzipiert.

Der „Synodale Weg“ der Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) ist am 11. März 2023 in Frankfurt am Main zu Ende gegangen. Als Ergebnis steht ein Textkorpus von 15 Texten da. An deren Spitze steht die Präambel, die vom Präsidium eingebracht und von der Vollversammlung mehrheitlich beschlossen wurde. Sie gibt Aufschluss über Anlass und Intention des „synodalen Weges“.

Dass dabei ein besonderes Augenmerk den Betroffenen und Opfern des sexuellen und geistlichen Missbrauchs gilt, ist positiv zu würdigen. Denn das Leid, das ihnen von Mitarbeitern der Kirche zugefügt wurde, darf sich nicht wiederholen. Auf zwei kritische Aspekte der Präambel, die meines Erachtens nach als Geburtsfehler des „Synodalen Weges“ bezeichnet werden können, möchte ich näher eingehen.

Zwei Geburtsfehler des „Synodalen Weges“

In Lingen haben die deutschen Bischöfe im Frühjahr 2019 – einstimmig bei vier Enthaltungen – beschlossen, einen „verbindlichen synodalen Weg in Deutschland zu gehen“ (Kardinal Reinhard Marx, Pressebericht zur Frühjahrs-Vollversammlung der DBK am 14. März 2019 in Lingen). Der beschlossene Weg stellte in der Diskussion der DBK eine Alternative zu einer vom Apostolischen Stuhl approbierten „Synode“ nach dem Format der „Würzburger Synode“ dar und sollte sich dennoch deutlich vom unverbindlichen Gesprächsprozess „Im Heute glauben“ (2011–2015) unterscheiden. „Verbindlich“ kann in diesem Zusammenhang nicht rechtlich, sondern höchstens in einem weiteren Sinn „moralisch“ gemeint sein.

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Jedenfalls war eine rechtlich geregelte Form des „synodalen Weges“ in der Bischofskonferenzen nicht mehrheitsfähig. Der Versuch von Kardinal Woelki und mir, mit einem alternativen Satzungsentwurf dem Projekt einen kirchenrechtlichen Rahmen zu geben, ist im August 2019 im Ständigen Rat bei 21 zu 3 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) gescheitert. Der zweite Geburtsfehler, der sich auch deutlich in der Präambel niedergeschlagen hat, ist die unwissenschaftliche Verabsolutierung der MHG-Studie.

Auf kritische Anmerkungen wurde mit Empörung reagiert

Von Anfang an war der „Synodale Weg“ gedacht als direkte Konsequenz aus der MHG-Studie und somit als Mittel zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Das Wort von den systemischen Ursachen des Missbrauchs ist hier zu verorten. Zwischen dem sexuellen Missbrauch in der Kirche und den Themen Macht und Gewaltenteilung, priesterliche Lebensform und der Sexualmoral der Kirche wurde ein Kausalzusammenhang gesehen, der als von der MHG-Studie bewiesen betrachtet wurde. In der oben genannten Pressekonferenz sprach Kardinal Marx noch von Fragen, die von der MHG-Studie aufgeworfen worden seien: „Es liegt an uns, diese sogenannten übergreifenden beziehungsweise systemischen Fragen in aller Offenheit auf den Tisch zu legen und miteinander nach Wegen zu suchen, wie wir sie künftig besser und klarer behandeln können“, so der Kardinal laut dem Pressebericht.

Diese Fragen wurden dann aber selbst nicht mehr hinterfragt. Die Debatte, die sich zaghaft nach der MHG-Studie ergab, und teils sehr kritische Anmerkungen aus psychiatrisch-wissenschaftlicher Sicht beinhaltete, wurde vom Synodalen Weg komplett ignoriert.  Die MHG-Studie mit ihren „Fragen“, wie Kardinal Marx es formuliert hat, galt bald als unantastbar in den Diskussionen der Foren und Vollversammlungen. Auf kritische Äußerungen meinerseits wurde dementsprechend mit Empörung reagiert. Dabei geht es ja nicht darum, das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs kleinzureden, sondern die in der Studie in Form von Hypothesen vorgebrachten systemischen Gründe für den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche zu überprüfen. Denn nur auf der Basis einer sachgemäßen Analyse der Ursachen können auch wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung und Prävention ergriffen werden. In der Präambel des „Synodalen Weges“ schlagen sich beide Aspekte deutlich nieder: Der rechtsfreie Raum und die Nichthinterfragung der MHG-Studie.

Die Öffentlichkeit als Maßstab

Zunächst der Aspekt der Verbindlichkeit. Wie kann erreicht werden, dass ein Beschluss der Synodalversammlung in allen Bistümern umgesetzt wird, obwohl er gemäß Satzung den einzelnen Bischof rechtlich nicht bindet? Bischof Georg Bätzing, der Co-Präsident des „Synodalen Weges“, sagte dazu am 8. September 2022 in der Pressekonferenz zum Auftakt der vierten Synodalversammlung: „Die Entscheidungen, die hier getroffen worden sind, können nicht bindend für jeden einzelnen Bischof sein. Aber Sie können sich natürlich vorstellen, dass aus einem getroffenen Beschluss der Synodalversammlung eine Atmosphäre auch der Erwartung innerhalb der Diözesen entsteht, dass ein Bischof sehr gut begründen muss, wenn er etwa einem Beschluss nicht folgt.“

Auch in der Abschlusspressekonferenz am 10. September 2022 äußerte er sich in ähnlicher Weise. Die Verbindlichkeit sei gegeben, weil sie dann schon vom „Volk“ eingefordert werden würde. Wenn im Präambeltext davon die Rede ist, dass „zu unserem Selbstverständnis [...] die Erfahrungen in einer demokratischen Gesellschaft [zählen]“, dass „die kritische Begleitung der Öffentlichkeit [...] wichtig [ist]“ und dass „viele seit Jahrzehnten mutigere Schritte der Reform erhofften, die aber nicht realisiert wurden”, dann zeigt sich darin das Bemühen, einer möglichst großen Mehrheit der Gesellschaft zu „gefallen“.

Verweltlichung der kirchlichen Lehre

In einer Zeit, in der die Gesellschaft mehr und mehr in einer tiefen Glaubens- und Gotteskrise steckt, beziehungsweise säkularisiert wird, in der das Transzendente immer mehr aus dem Blickfeld verschwindet, ist damit eine „Verweltlichung“ der kirchlichen Lehre vorprogrammiert. Wie soll man dann beispielsweise die Lebensform der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ verständlich machen? Wie soll man generell den Sinn der kirchlichen Lehre verständlich machen, deren Hauptziel darin besteht, den Menschen für das ewige Leben vorzubereiten (etwa Joh 4, 5–42)?

Es gibt viele Anknüpfungspunkte für die Vermittlung zum Beispiel der katholischen Sexualmoral an die Suchbewegungen der jungen Generation nach echter Liebe, nach dem Wahren und Guten. Aber die Präambel, wie der gesamte „Synodale Weg“, haben nicht versucht, sie zu nutzen. Zwar hat der „Synodale Weg“ die Vermittlerrolle zwischen einer weitestgehend säkularisierten Öffentlichkeit und der Kirche übernommen, dabei aber mehr an der Öffentlichkeit Maß genommen als an der Kirche und ihrer Verkündigung. Der Umgang mit der Minderheit in der Synodalversammlung, die der Überzeugung war, dass die kirchliche Lehre nicht geändert, sondern neu erklärt und verständlich gemacht werden sollte, war eine konkrete Auswirkung dieser umgedrehten Vermittlerrolle.

Die MHG-Studie als „Dogma“

Der zweite Geburtsfehler besteht in der Vermischung von Missbrauchsaufarbeitung und kirchlichen Reformwünschen, die seit der Vorbereitungszeit der „Würzburger Synode“ unerfüllt geblieben sind. In der Präambel wird die „Krise der Kirche, die sich in den Verbrechen der sexualisierten Gewalt und deren Vertuschung zeigt”, zur alleinigen Ursache der „tiefen Krise des Glaubens” erklärt. Deshalb werden „institutionelle Veränderungen” mit weitreichenden Folgen gefordert. Ein enger Mitarbeiter von mir, der selbst von einem Priester missbraucht wurde, sagte mir einmal: „Ich bin kein Opfer des Systems Kirche, sondern ein Opfer von Pfarrer N.N. Die zunehmende Überbetonung der systemischen Ursachen des Missbrauchs bei gleichzeitig schleppender Verantwortungsübernahme der einzelnen Täter und derer, die sie geschützt haben, macht mich erneut ohnmächtig. Ich fühle mich in die damalige Situation zurückversetzt.“

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Dieser Fehler führt dazu, dass man weder der Missbrauchsaufarbeitung und -prävention noch der Reform der Kirche gerecht wird. Somit schadet man einerseits den Betroffenen, deren persönliche Leidensgeschichte nicht ernstgenommen wird. Ihnen gilt es größtmögliche Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, in Form von Opferschutz, Aufklärung, Wiedergutmachung, Heilung der Wunden und Prävention. Andererseits schadet man auch der Kirche und ihren Gläubigen insgesamt, weil das „radikale“ (im wortwörtlichen Sinn als „von der Wurzel her gedachte“) Zeugnis der Kirche für Gott als den allmächtigen Schöpfer und barmherzigen Richter, für den Menschen als die Krone der Schöpfung und sündigen Bruder Christi und für die Kirche als lebendiger Raum der Anwesenheit Gottes in der Welt verdunkelt wird. Die Kirche wird damit ihrer Heilsfunktion schwerer gerecht werden können. Im Ergebnis wurde jeder, der nicht dem „synodalen Mainstream“ zustimmte, der Missbrauchsbegünstigung verdächtigt und ins moralische Abseits gestellt.

Selbstimmunisierung gegen kirchliche Autorität

In dem vorliegenden Text des Präsidiums kulminieren die beiden Geburtsfehler des „Synodalen Weges“ in einer Selbstimmunisierung gegen Einsprüche der kirchlichen „Kontrollinstanzen“: „Es widerspricht Gottes Geist, die Einheit autoritär durchzusetzen. Auch wenn ein solcher Weg für manche verlockend sein mag, er ist und bleibt eine Versuchung, der die Kirche nicht nachgeben darf“. Damit wird dem Papst de facto das Recht abgesprochen, zur Wahrung der Einheit der Weltkirche in einzelnen kirchlichen Vorgängen zu intervenieren.

Diese Gefahr haben die beiden zuständigen Kurienkardinäle Luis Ladaria und Marc Ouellet erkannt und in ihren kritischen Stellungnahmen beim Ad-limina-Besuch (November 2022) benannt. Es bleibt zu hoffen, dass die Gespräche mit Rom nach dem Abschluss des „Synodalen Weges“ fruchtbar verlaufen, damit eine dringend notwendige Erneuerung der kirchlichen Praxis in Deutschland in die Wege geleitet werden kann, eine Erneuerung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und ihn ernstnimmt als ein zur Heiligkeit berufenes Geschöpf Gottes.

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