Spätestens seit der Messerattacke in Aschaffenburg ist sie das bestimmende Thema des Wahlkampfs: die Migrationspolitik. Und wie praktisch überall in den westlichen Demokratien stehen auch in der Bundesrepublik tendenziell diejenigen Parteien bei den Wählern hoch im Kurs, die klar für eine Reduktion irregulärer Migration stehen. Darunter zählen mittlerweile nicht mehr nur die AfD, sondern auch BSW, FDP, vor allem aber CDU und CSU. So finden sich die Vertreter der Kirchen, die in den vergangenen Jahren stets als Fürsprecher großzügiger Asylregelungen auftraten, unversehens mit SPD und Grünen in einem Minderheitslager wieder, das vom politischen Zeitgeist überrollt zu werden droht.
„Sehr befremdet“ seien die Kirchen von Zeitpunkt und Tonlage der aktuellen CDU-Vorstöße zur Begrenzung der Migration, heißt es denn auch in einer aktuellen Stellungnahme mit Begleitschreiben der beiden großen Kirchen, über die die Katholische Nachrichtenagentur KNA berichtet. Schließlich hätte die von Friedrich Merz ins Auge gefasste Verschärfung „nach aktuellem Wissensstand keinen der Anschläge verhindert“, habe es sich doch bei den Tätern um psychisch Kranke gehandelt. „Massiven Schaden“ für die Demokratie erwarten die Kirchen gar, sollten AfD-Stimmen im Bundestag den Ausschlag geben. Überdies sei die Debatte dazu geeignet, „alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu diffamieren, Vorurteile zu schüren und trägt unserer Meinung nach nicht zur Lösung der tatsächlich bestehenden Fragen bei“.
Frings: Union hat sich gewandelt
Hier allerdings ließe sich einwenden: Konkrete Vorschläge, wie sich Migration, die in diesem Ausmaß von immer weniger Wählern gewollt wird, unter Wahrung der Menschenwürde reduzieren ließe, haben auch die Kirchen nicht im Angebot. Und die „adäquate Versorgung“, die die Kirchen für psychisch Erkrankte fordern, wird gerade angesichts des Zustroms Hunderttausender Traumatisierter immer illusorischer. Folge der Positionierung, die wie etwa auch beim Thema Klimaschutz zwischen ehrenwertem christlichem Idealismus und realitätsblinder Naivität changiert, ist jedenfalls, dass die Entfremdung von den Unionsparteien, schon vom Namen her Heimat politisch denkender Christen, wohl nie so groß war wie heute.
Fragt man beim politisch umtriebigen Zentralkomitee der deutschen Katholiken, lange mit den C-Parteien personell eng verbandelt, nach, wie es kommt, dass die „politischen Empfehlungen“, die die Laienorganisation anlässlich der Bundestagswahl erstellt hat, vor allem mit grünen Politikvorstellungen harmonieren, so wird auf einen christlichen Wertekanon verwiesen. Auf dessen Basis habe man „nur zu diesen Überzeugungen“ kommen können, gerade beim Thema Migration. Auf der anderen Seite habe sich die Union gewandelt. Man beobachte seit dem Ende der Ära Merkel eine Orientierungssuche, aus der momentan der „konservative Flügel“ – anders als der christlich-soziale und der liberale – als „stark dominant“ hervorgegangen sei, so erklärt es der ZdK-Generalsekretär Marc Frings. Eine bedauerliche Entwicklung, findet der Politikwissenschaftler, sei die Union doch am stärksten gewesen, solange ihre drei Strömungen sich im Gleichgewicht befunden hätten. Christlich-soziale und liberale Stimmen, Frings erwähnt namentlich den auch im ZdK engagierten schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther, hätten es derzeit schwer, Gehör zu finden. Aber auch im ZdK, so Frings, herrsche heute mehr Binnenpluralismus, sodass die vormals enge Verbindung zwischen Positionen der Union und dem Laiengremium kein Selbstläufer mehr sei.
Ganz ist dem ZdK-Flügel innerhalb der CDU das Selbstbewusstsein freilich noch nicht abhandengekommen: Der CDU-Politiker, der eine schwarz-grüne Koalition führt, hat angekündigt, im Bundesrat gegen Merz‘ restriktive Asyl-Anträge zu stimmen, falls diese im Bundestag nur mit AfD-Unterstützung angenommen würden. Bleibt abzuwarten, wer sich durchsetzt.
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