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Armin Laschet: Ein Brückenbauer als Kanzlerkandidat

Armin Laschet ist der Kanzlerkandidat der Union. Der Aachener stammt aus einer rheinisch-katholischen Welt. In seiner Kirchengemeinde wurde er als Jugendlicher politisiert. Er war gegen die "Ehe für alle" und zeigt auch in anderen gesellschaftspolitischen Fragen diese Prägung. Aber er sucht auch immer das Gespräch und will diskutieren - mit dem Kirchenkritiker genauso wie mit Thilo Sarrazin.
Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der Union
Foto: David Klammer (KNA) | Laschets katholische Welt ist modern, in ihr herrscht der Geist des Zweiten Vatikanums. Es ist aber eben keine gebrochene Welt. Sondern eine Welt ohne Generationenkonflikt zwischen gläubigen Eltern und hadernden Kindern.

Brückenlockdown - der Begriff ist zum Synonym für die Probleme Armin Laschets geworden. In ihm verdichtet sich sein Anspruch, der Corona-Politik einen eigenen Stempel aufzudrücken. Gleichzeitig steht das Schlagwort aber auch für seine Unfähigkeit, seinen eigenen Ansatz der Öffentlichkeit verständlich zu erklären. Dabei bietet das Bild von der "Brücke" tatsächlich einen Zugang zum Denken des CDU-Vorsitzenden. Von welchem Punkt aus ist Laschet in die Politik gestartet und in welche Richtung würde er als Kanzler das Land führen? Eine Brücke verbindet zwei gegenüberliegende Ufer.

Das Heimat-Ufer: Sicherheit, Geborgenheit, Zuhause - Armin Laschet ist nicht nur in Aachen geboren und lebt immer noch dort, Aachen - das ist für ihn Familie und Kirche. Und beides gehört zusammen. Wie sehr Laschet in seiner  Herkunftswelt wurzelt, hat er in seiner Bewerbungsrede beim CDU-Parteitag bewiesen: Freilich musste man genau hinhören, um in der Geschichte vom Vater Heinz, dem ehemaligen Bergmann, der unter Tage gelernt hat, was Solidarität ist, mehr als einen bloßen Kitsch-PR-Coup zu erkennen, der auf das Gemüt der Delegierten zielte und Laschet erlaubte, die schneidige Rhetorik von Friedrich Merz zu parieren.

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Loyale Staatsbürger der Bonner Republik

Tatsächlich war seine Rede eine Lobeshymne auf die alte Bundesrepublik und auf ihr soziales Aufstiegsversprechen -  für das  Laschet senior beispielhaft steht, der als Bergmann begann und als Grundschulrektor pensioniert worden ist. Diese Entwicklungsmöglichkeiten  machte die Familie Laschet nicht nur zu loyalen Staatsbürgern der Bonner Republik, die Laschets fühlten sich auch in die Pflicht genommen: Auf den neuen Wohlstand stolz sein, ihn genießen, gewiss, aber das darf nicht alles sein. Die Dankesschuld gilt es, konkret abzutragen, durch Engagement. Und den Rahmen dazu bildete die Kirchengemeinde. Die Mutter gibt Töpferkurse, die Kinder sind Messdiener, singen im Kirchenchor und arbeiten im Liturgiekreis mit. Laschets Biographen Tobias Blasius und Moritz Küpper haben in ihrem im letzten Jahr erschienen Buch "Der Machtmenschliche"diese tiefen kirchlichen Spuren in der Vita Laschets nachgezeichnet.

Grundsätzlich fällt bei den Laschets auf: Das Engagement gilt nicht als Ausdruck eines preußischen Pflicht-Ethos, sondern zeigt sich in jener typischen rheinisch-katholischen Grundhaltung, die Geselligkeit mit gesellschaftlichem Engagement aus dem Glauben zu verbinden weiß. Musste die Elterngeneration diesen Status noch erarbeiten, so können Armin Laschet und seine Geschwister die Früchte dieses Aufstiegs pflücken: Sie erleben die Selbstverständlichkeit, in der hier die eigene Freizeit nahezu vollständig im Gemeindeleben aufgeht, nicht als Last, sondern vielmehr als Chance. Denn diese Aachener katholische Welt hat Strukturen und die bieten, das erkennt schon der Schüler Armin, Freiraum, eigene Talente zu entwickeln.

Er kann reden und schreibt gerne

Wer reden kann, gerne schreibt, sich für Geschichte und Politik interessiert wie der junge Laschet, der findet dort viele öffentliche Bühnen und sein Publikum. Blasius und Küpper zitieren Laschet aus einer Grundsatzrede von 2017: "Die Bibel sagt nichts zum Bau der Leverkusener Brücke oder wie genau ein Gesetz gemacht werden soll. Aber das Menschenbild hat man im Kopf, im Herzen, im Glauben   das kann man nicht übertragen", erklärt er da. Und: "In der Politik gibt es zu wenige Christen." Und: "Christen sollten viel öfter sagen: Wir haben eine Überzeugung, die sogar Mauern zum Einsturz bringen kann, wenn wir den Mut dazu haben."

1991 wird Laschet Chefredakteur der Aachener Kirchenzeitung - sein erster richtiger Job. Heute erscheint es schwer mit der journalistischen Unabhängigkeit vereinbar, dass der Chefredakteur Laschet parallel an seiner politischen Karriere weiter strickt. Doch es wäre zu einfach, hier nur rheinisch-katholischen Klüngel zu sehen: Man kennt sich, man hilft sich. Gewiss, Laschets Schwiegervater Heinz Malangré ist Geschäftsführer des Verlages, dessen Bruder Kurt, beim Opus Dei aktiv, Oberbürgermeister und Europaabgeordneter. Alle diese Verbindungen sind sicherlich förderlich, aber stehen nicht für einen Automatismus für seinen weiteren Lebensweg. Vielmehr belegt dieses Netzwerk, wie sehr Armin Laschet hier zuhause ist. In diesem Milieu fühlt er sich wie der Fisch im Wasser.

Gemäßigt reformerisch

Als Chefredakteur gibt er sich in seinen Editorials gemäßigt reformerisch. Einen anderen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen mahnt er an. Frauenpriesterweihe, Aufhebung des Zölibats - das fordert er nicht. Aber ihm ist wichtig, dass die Zeitung nicht zum Verlaurbarungsorgan des Bistums wird. Er schafft Freiraum für Debatten. Als symptomatisch für Laschets Verhältnis zur katholischen Hierarchie führen Blasius und Küpper ein Erlebnis aus seiner Zeit als NRW-Integrationsminister an: Damals kritisierte Laschet Kardinal Meisner, der sich gegen multireligiöse Feiern für Schüler aussprach. Als  Meisner dann einige Jahre später starb, fand Laschet aber würdigende und wertschätzende Worte für den Kardinal. Auch hier ist Laschet kein Mann des Entweder-Oder, sondern des Sowohl-als-auch.

Laschets katholische Welt ist modern, in ihr herrscht der Geist des Zweiten Vatikanums. Es ist aber eben keine gebrochene Welt. Sondern eine Welt ohne Generationenkonflikt zwischen gläubigen Eltern und hadernden Kindern. Seine Heimat Aachen-Burtscheid ist frei von Kulturkämpfen. Katholisch gilt hier nicht als Synonym für rückständig. Ganz im Gegenteil: Die Kirche öffnet als Weltkirche den Blick über Grenzen: Der junge Laschet interessiert sich vor allem 
für Entwicklungshilfe. Man ist katholisch und trotzdem modern - in dem Sinne, dass man sich den Fragen der Zeit öffnet. Gleichzeitig gilt hier das traditionelle Familienbild ganz selbstverständlich weiter. Diese Welt der Einfamilienhäuser und des Pfarr-Karnevals scheint auch heute noch weit weg vom Babylon Berlin und seinen Kulturkämpfen um LGBT-Rechte, Genedersternchen und Identitätspolitik zu liegen. Das mag erklären, warum Armin Laschet stets von sich weist, ein Konservativer zu sein.

Seine katholische Milieu-Welt empfindet er nicht als gefährdet

Seine katholische Milieu-Welt empfindet er nicht als gefährdet. Sie muss nicht bewahrt werden, für Armin Laschet ist sie lebendig. Er will nicht Aachen-Burtscheidt verteidigen, sondern Aachen-Burtscheid für alle. Laschets Abendland geht nicht unter. Deswegen will er keine Festungen bauen, sondern Brücken. Und für ihn ist klar: Das, was im Gemeindeleben geschieht, hat einen Eigenwert. So erklärt sich, warum in NRW wegen Corona nicht einfach Gottesdienste vom Land verboten worden sind, sondern der Ministerpräsident das Gespräch mit den Religionsgemeinschaften gesucht hat.

Das andere Ufer: 1994 wird Armin Laschet in den Bundestag gewählt. Auf einem seiner Wahlplakate ist ein Ohr abgebildet - der Slogan seiner Kampagne damals schon: "Hören, entscheiden, handeln". Das Ohr ist Laschets politisches Organ Nummer eins. Das prädestiniert ihn dazu, schon bald eine führende Rolle in einem mittlerweile legendär gewordenen Gesprächszirkel junger grüner und schwarzer Abgeordneter zu übernehmen: der Pizza Connection. Sicher mag dabei auch Provokationslust mit gespielt haben. Schließlich war die Öko-Partei für die Altvorderen der Kohl CDU damals noch eine Art Gott-sei-bei uns. 
Aber es ist noch mehr: Diese jungen CDU-Abgeordneten verstehen sich als eine Art christdemokratische Avantgarde. 

Inspiriert durch den ehemaligen CDU-Genersekrteär Heiner Geißler, der zwar einige Jahre zuvor mit seinem Putsch gegen Kohl gescheitert ist, der aber seiner Partei eine programmtische Innovation verordnete: Emanzipation der Frauen, neue soziale Frage und auch schon die Integration von Einwanderern. Und dann natürlich auch Rita Süssmuth, der Laschet einige Zeit als Redenschreiber dient. Bei Laschet ist es noch nicht einmal in erster Linie die inhaltliche Stoßrichtung, die ihn für Süssmuth begeistert. Es ist vor allem der Modus, in dem hier Politik gemacht wird: Diskussion, Debatte, hinhören - und nachdenken. So kannte er es aus der Aachener Gemeindewelt, so stellt er sich christdemokratische Politik wohl noch immer vor. In dieser Weise  will Laschet Anschluss finden an die Fragen der Zeit - so würde er wohl selbst ganz im Geiste des Zweiten Vatikanums sagen, bei Laschets Kritikern heißt es: Anschluss an den Zeitgeist. 

Heute zieht sein Jargon medial nicht mehr

Das Selbstbewusstsein dieser CDU-Generation zog sich daraus, der Partei als dem "Kanzlerwahlverein" und der "Machtmaschine" etwas entgegenzusezen. Laschets Biographen Blasius und Küpper haben es schon richtig auf den Punkt gebracht: Laschet und seine Freunde - von denen eben jetzt auch viele in den Parteigremien sitzen, die sich nun hinter ihn stellen - wollten genaus das sein: "Machtmenschliche". Dazu gehört auch ein bestimmter Jargon. Dass der heute aber nicht mehr wirklich medial zieht, zeigte die Häme, die Laschet entgenschlug, als er ankündigte, er wolle übers Wochenende über neue Corona-Maßnahmen nachdenken. "Laschet denkt nach" - was in den 90er vielleicht noch zur Überschrift bei einer Veranstaltung beim Katholikentag getaugt hätte, wird heute zum Witz-"Hashtag" und das ganze Netz lacht. Dabei wird verkannt, dass das Zuhören-Können ihm als Ministerpräseident durchaus geholfen hat. Und sein Ohr neigt sich nicht nur nach links, sondern auch nach rechts. 

Es war der NRW-Integrationsminister Laschet, damals von manchen Parteifreunden als "Türken-Armin" verspottet, der auf dem Höhepunkt der Debatte um Thilo Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" davor warnte, dass Buch einfach zu ignorieren, wie es etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel angeregt hatte. Es sei vielmehr wichtig, es zu lesen und ja, er selbst sei auch zur Dikussion mit Sarrazin bereit. Ein anderes Thema, das die deutschen Katholiken aktuelll bewegt: der Umgang mit Homsexuellen. In einem Interview mit dem sich als "queer" verstehenden Magazin "Fresh" erklärte er 2017: Er sei gegen Diskrimnierung jeder Art, aber nicht jede Form von Unterscheidung sei schon Diskriminierung. Das Grundgesetz habe die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau definiert. Und das Bundesverfassungsgericht habe diese Position bestätigt. Laschet spricht sich also gegen die "Ehe für alle" aus, hat aber keine Scheu, dies auch in einem Magazin zu tun, das der LGBT-Szene nahe steht. Man erkennt wieder das Leitmotiv, das Laschets Politik seit 40 Jahren kennzeichnet:  Brücken bauen, aber ohne mit den Grundsätzen zu brechen, die am heimatlichen Ufer gelten. Es wird wohl auch sein Leitbild für die Zukunft bleiben.

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