Herr Blasius, noch bevor Ihre Laschet-Biographie veröffentlicht worden ist, hat bereits eine Information aus dem Buch für Aufmerksamkeit gesorgt: Ein Bruder von Armin Laschet betreibt Ahnenforschung und hat festgestellt, dass sich die Familie auf Karl den Großen zurückführen lässt. Nur eine Skurrilität oder steckt hier auch ein Schlüssel zum Verständnis von Laschets Politik?
Die Abstammung an sich sollte man nicht so ernst nehmen. Es gehört eben zum Lokalpatriotismus, dass eine Aachener Familie natürlich stolz ist, wenn sie sich auf den großen Kaiser zurückführen lässt. Das wird aber mit einem Augenzwinkern vorgetragen. Man darf die rheinische Ironie hier nicht übersehen. Trotzdem ist Karl der Große für die Europapolitik Laschets schon ein Leitbild. Dass eine Büste des Kaisers in seinem Büro steht, ist nicht nur Folklore.
"Die Vorstellung vom vereinten Europa
ist für ihn selbstverständlich und nicht verhandelbar"
Wie wichtig ist ihm „Europa“?
Er war ja einige Jahre Mitglied des Europaparlamentes; damals habe ich ihn auch kennengelernt. Die Vorstellung vom vereinten Europa ist für ihn selbstverständlich und nicht verhandelbar. Das zeigte sich auch in den letzten Jahren etwa in der Flüchtlingskrise: Er gehörte zu denen, die 2015 nationale Egoismen kritisiert und eine Lösung im europäischen Kontext gefordert haben. Und jetzt in der Corona-Krise hat er die Grenzen zu den Nachbarländern von NRW offen gelassen. Das hängt auch damit zusammen, dass diese offenen Grenzen für ihn ganz selbstverständlich sind. Laschet ist im Aachener Dreiländereck aufgewachsen. Er ist als Jugendlicher mit seinen Freunden im Freibad in Belgien schwimmen gewesen und mit seinen Eltern am Wochenende in den Niederlanden spazieren gegangen.
Aachen scheint im Laschet-Kosmos eine entscheidende Rolle zu spielen ...

Ohne Aachen, aber auch ohne die katholische Kirche, wie er sie dort kennengelernt hat, gäbe es den Politiker Armin Laschet so nicht. Er hat praktisch als Kind und Jugendlicher sein gesamtes soziales Leben in der Kirchengemeinde verbracht. Die Mutter gab Töpferkurse, der spätere Schwiegervater leitete den Kirchenchor, in dem Laschet auch seine Frau Susanne kennengelernt hat. Dann gab es eine Laientheater-Truppe, bei der er mitgespielt hat. Und auch seine politische Prägung fand hier statt. Der erste Jugendpfarrer, zu dem er engeren Kontakt hatte, war ein Mitbegründer der Aachener CDU. Dass er sich zuerst auch stark für Entwicklungshilfe interessiert hat, hängt damit zusammen. Und auch eine Sensibilität für die Bewahrung der Schöpfung. Was ihn schon früh auf die Grünen aufmerksam gemacht hat. Diese Zeit spiegelt sich noch heute darin wider, dass er sich darum bemüht, aus einer grundsätzlich menschenfreundlichen Perspektive an Aufgaben heranzugehen.
"Bei Laschet ist auffällig, dass er in der Politik keine Feinde hat"
Warum gelingt es ihm aber so schlecht, diese Prägung positiv auf dem politischen Markt zu verkaufen? Laschet gilt nicht als charismatisch, anders als sein Konkurrent Friedrich Merz, der auch in den Umfragen führt.
Bei Laschet ist auffällig, dass er in der Politik keine Feinde hat. Ob politische Gegner, Parteifreunde oder Mitarbeiter: Von allen wird er als integrer, netter Kerl beschrieben. Die Kehrseite davon ist, dass viele sagen: Der ist zu liberal, zu nett. Und das entspricht offenbar nicht dem Charisma, das sich viele Deutsche für Führungspersönlichkeiten vorstellen. Aber Armin Laschet sagt dazu: „Ich bin wie ich bin. Ich will mich nicht verstellen.“ Und ich glaube auch, dass das tatsächlich nicht funktionieren würde, weil die Menschen ihm das nicht abnehmen würden.
Es gab schon einmal einen Ministerpräsidenten, dem man Charisma abgesprochen und ihn als provinziell abgetan hat, der aber dann Bundeskanzler geworden ist: Helmut Kohl. Gibt es Ähnlichkeiten?
Es gibt zwei Parallelen: Das unbedingte Eintreten für Europa. Und der Blick auf die CDU: Laschet sieht die Partei, ähnlich so wie Kohl, als Familie. Es gibt auch Unterschiede: Anders als Kohl hat Laschet nicht bewusst eine Tafelrunde von klugen Beratern wie Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf um sich geschart, die ihn auf die Kanzlerschaft vorbereiten sollen. Laschet denkt hier nicht so strategisch, er ist ein rheinischer Bauchpolitiker. Ihm ist vor allem wichtig, dass er sich mit den Mitarbeitern menschlich versteht.
Mit dem Leiter der NRW-Staatskanzlei, Nathanael Liminski, verfügt er aber doch ohne Zweifel über einen engen Berater. Und zwar einen mit klarem katholischen Profil: Liminski war Begründer der „Generation Benedikt“.
Hier spielt sicherlich eine Rolle, dass Laschet weiß, dass Liminski, der ja früher etwa für Roland Koch gearbeitet hat, Gruppen anspricht, die er nicht erreichen kann. Hinzu kommt aber eben, dass sich beide menschlich verstehen. Die intellektuelle und ironische Art von Liminski liegt Laschet. Und wenn er als Kanzler nach Berlin gehen sollte, nimmt er ihn bestimmt mit.
"Wer NRW regieren kann,
der kann auch Bundeskanzler werden"
Der erste CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Karl Arnold hat einmal gesagt, das Bundesland sei so etwas wie die Bundesrepublik im Kleinen. Heißt das dann, wer NRW regieren kann, ist automatisch auch dazu in der Lage, Bundeskanzler zu werden?
NRW mit seinen rund 18 Millionen Einwohnern wäre, auch wenn es nicht zur Bundesrepublik gehören würde, innerhalb der EU ein bedeutendes Land. Wer dieses Land regieren kann, der kann in der Tat auch Bundeskanzler werden. Trotzdem ist auffällig, dass seit Konrad Adenauer kein Kanzler aus NRW stammte. Ein Ministerpräsident aus NRW muss Moderator sein und ständig ausgleichen, zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zwischen Stadt und Land. Armin Laschet gefällt diese Rolle gut und sie passt auch zu ihm. Das Beispiel Johannes Rau zeigt aber – dessen Motto lautete „Versöhnen statt spalten“ –, dieser war ein sehr beliebter und erfolgreicher Ministerpräsident, Bundeskanzler ist er nicht geworden. Der Zwang zum Ausgleich geht damit einher, sich weniger stark profilieren zu können.
In der CDU gibt es einen Flügel-Streit zwischen Reformern und Konservativen. Wäre Laschet hier als Moderator einsetzbar? Oder gilt er den Konservativen zu sehr selbst als Reformer, um für sie hier glaubwürdig zu sein? In einem Interview mit der FAZ hat er schließlich noch 2018 betont, konservativ sei nicht der „Markenkern der CDU“.
Ich glaube, dass er das so heute nicht mehr sagen würde. Er ist auch nach diesem Interview in dieser Frage bedeutend zurückhaltender geworden. Ich denke, er weiß schon, dass er auch die Stammwähler der CDU ansprechen muss. Bei den Konservativen hat er als ehemaliger NRW-Integrationsminister einen schweren Stand. Auch wenn ihm heute sicherlich immer noch etwa der interreligiöse Dialog mit den Muslimen wichtig ist, stellt er das nicht mehr so sehr heraus. In seiner Regierung räumt er der inneren Sicherheit mit Herbert Reul, der sich zu einem der profiliertesten Landesinnenminister entwickelt hat, einen großen Raum ein. Etwa mit Blick auf die Bekämpfung der Clankriminalität.
"Laschet hat sich immer für eine Öffnung
der CDU zu dem Grünen stark gemacht"
Laschet regiert in Düsseldorf mit der FDP und spricht auch immer von Schwarz-Gelb als Wunschkoalition. Schlägt sein Herz aber nicht vor allem für Schwarz-Grün?
Laschet hat sich immer für eine Öffnung der CDU zu dem Grünen stark gemacht. In seiner Heimatstadt gab es ja auch eine schwarz-grüne Koalition. Er hat sich dort vor Ort in dieser Frage aber nicht besonders eingesetzt. Laschet kommt aber menschlich mit ihnen gut aus.
Gibt es denn irgendeine Vision Laschets für eine christlich-demokratische Politik der Zukunft? Er war kürzlich zum dritten Mal bei Papst Franziskus, wäre der ein Inspirator für ihn?

Er schätzt den Papst und vor allem dessen ja schon fast christ-sozialen Ansatz. Aber eine große Vision formuliert Laschet nicht. Er konzentriert sich darauf, die Position der CDU als stabile und breite Volkspartei zu sichern. „Ich bin vielleicht Durchschnitt, aber ich kann den Laden zusammenhalten“, ist seine Devise. Das Rennen auf den Parteivorsitz halte ich im Moment noch für offen. Laschet wirkt zwar oft fahrig, man darf aber nicht unterschätzen, dass er, wenn es darauf ankommt, Beharrungswillen und Durchsetzungskraft zeigen kann.
Tobias Blasius hat im September zusammen mit Moritz Küpper, NRW-Korrespondent des Deutschlandfunks, die Laschet-Biographie „Der Machtmenschliche“ (Klartext, 2020) veröffentlicht. Der promovierte Historiker, Jahrgang 1974, ist seit 1999 für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) tätig. Er war unter anderem politischer Korrespondent in Berlin und Brüssel. Seit 2010 ist er landespolitischer NRW-Korrespondent für die Funke-Mediengruppe in Düsseldorf. Er ist Vorsitzender der Landespressekonferenz NRW.
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