Der emotionale Höhepunkt eines Kirchentages ist ein Gottesdienst – so könnte der unbedarfte Laie glauben. Bei der Evangelischen Kirche in Deutschland ist das aber anders. Und spätestens seit der von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner losgetretenen Debatte über politisierte Kirchen, die ihrem eigentlichen seelsorgerlichen Auftrag nicht mehr nachkommen, weiß das auch das ganze Land.
Denn auch wenn es nicht ständig offen ausgesprochen wurde: Die Landeskirchen der EKD sind sozusagen der Inbegriff der politisierten Kirche. Und das auch nicht erst seit heute, sondern eigentlich schon immer. Wenn auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter rechten Vorzeichen, dann in der zweiten Hälfte bis in die Gegenwart eindeutig unter linken.
Die EKD-isierung der katholischen Verbände schreitet voran
Zugegeben, die Katholiken bemühen sich seit Jahren darum, aufzuholen. Und die, wenn man so will, EKD-isierung schreitet vor allem innerhalb der katholischen Verbände von Kolping bis zur KFD beständig voran. Aber noch haben die Protestanten beim Politisierungs-Ranking die Nase vorn. Heinrich Albertz, einst Sozi-Bürgermeister von Berlin und evangelischer Pastor, sagte schon vor Jahrzehnten, im Vergleich zur evangelischen Kirche sei die SPD eine rechte Partei.
Doch zurück zur Ausgangsfrage. Abgesehen davon, dass es bei den Evangelischen kein Hochamt gibt, ist auch der Abschlussgottesdienst nicht der emotionale Höhepunkt. Das, was die Besucher des Kirchentages in Wallung bringt, und zwar im positiven Sinne, zeigte sich heute, als bekannt wurde, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD insgesamt als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft hat.
Ob sich in Hannover wirklich noch viele für Propheten interessieren, es sei einmal dahingestellt. Das aber war so etwas wie das staatliche Sigel für eine „self fulfilling prophecy“. Seit die AfD gegründet wurde, bekam sie schon von dem linksliberalen bis linken Milieu, das sich nun auch hier in Hannover ein Stelldichein gibt, den Stempel „rechtsextrem“ aufgedrückt. Und das auch zu Zeiten von Bernd Lucke und Frauke Petry, deren Ansatz darin lag, mit der AfD eine Repräsentationslücke zu schließen, die sich rechts der Mitte in der Ära Merkel aufgetan hatte.
Völkisches Denken, Systemkritik, latenter Putinismus
Mittlerweile weist die AfD tatsächlich rechtsextremistische Charakterzüge auf, das völkische Denken (hier darf man gespannt sein auf die 1.000 Seiten Gutachten des Bundesamtes), vor allem ihre absolute Systemkritik, mit der sie über die sozialen Medien ihre Anhänger aufwiegelt, sind neben dem latenten Putinismus besorgniserregend. Wenn jetzt also über eine bessere Beteiligung der AfD im Bundestag nachgedacht wird, ist das genau der falsche Zeitpunkt. Der richtige Moment dazu wäre vor einem Jahrzehnt gewesen, als noch moderate Köpfe in der Partei den Ton angegeben haben.

Hätte man damals auf einen pragmatischen Umgang gesetzt, dann hätte die Radikalisierung wahrscheinlich nie in dieser Weise eingesetzt. Nur das juste milieu hatte genau daran nie ein Interesse. Hier stand schon immer jeder, der sich rechts von Heiner Geißler positioniert, unter Faschismusverdacht.
Das fast schon Tragische ist, dass dieses Milieu nun diese selbsterfüllende Prophezeiung als Erfolg feiert. Und vor allem hat man immer noch nicht begriffen, dass die Auseinandersetzung mit der AfD nur politisch zu lösen ist. So sehr die rechtsextremistischen Tendenzen benannt werden und kritisiert werden müssen: Man kann eine Partei, die auf Platz eins mancher Umfragen steht, nicht durch ein Verbotsverfahren entzaubern.
Selbstreflexion ist nicht zu erwarten
Doch obwohl sich die Kirchentags-Szene sonst viel auf die Fähigkeit zur Selbstreflexion zu Gute hält, ist hier wenig bis nichts zu erwarten. Und damit steht dieses Milieu stellvertretend für das linke Spektrum insgesamt: Wenn es um Rechte geht, dann muss nicht mehr differenziert werden.
Dass Angela Merkel am Donnerstag in Hannover als eine Art Stargast aufgetreten ist, unterstreicht nur, wie sehr man sich hier noch in der Ära wähnt, die ihren Namen trägt. „Links ist vorbei“, hat Friedrich Merz im Wahlkampf gesagt. Egal, ob er dieser Einsicht nun auch als Bundeskanzler folgen wird, hier hatte der CDU-Chef recht. Das müsste sich auch in einer neuen Qualität in der argumentativen Auseinandersetzung mit der AfD widerspiegeln.
Einen prominenten Gegenakzent setzte Alt-Bundespräsident Joachim Gauck beim Kirchentag: Der früherer Pastor mahnte, dass auch Konservative zur Gesellschaft gehörten und man eine faire Debatte pflegen sollte. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – der ehemalige ostdeutsche Bürgerrechtler weiß, was das heißt. Doch in Hannover übte man sich lieber in gesinnungsethischer Folklore. Es lebe der Status quo!
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