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Seewald über Benedikt: Ein Erneuerer des Glaubens

„An Benedikt XVI. schieden sich die Geister“, denn „nie verließ Ratzinger der Mut, sich gegen das ‚man‘ zu stellen“. Die Tagespost bringt exklusiv auf Deutsch einen Nachruf aus der Feder seines Biografen.
Papst Benedikt XVI. bei seiner letzten Generalaudienz, 2013
Foto: Christian Gennari | Papst Benedikt XVI. bei seiner letzten Generalaudienz auf dem Petersplatz im Vatikan am 27. Februar 2013.

Mit Benedikt XVI. verliert die Welt eine der bedeutendsten Persönlichkeiten unserer Zeit. Er galt nicht nur als brillanter Denker, sondern auch als der größte Theologe, der jemals auf dem Stuhl Petri saß. Mehr noch: Mit ihm legte erstmals ein Pontifex in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche eine Christologie vor. Am Ende seines Pontifikats gab der Akt seiner Demission dem Papstamt jene geistliche Dimension zurück, mit dem es ursprünglich beauftragt war. Und mit seinem hohen Alter wurde er zu guter Letzt gar noch der am längsten lebende Pontifex aller Zeiten.

Joseph Ratzinger, der Sohn einfacher Leute aus der bayerischen Provinz, hat Geschichte geschrieben. Als Mitgestalter des Konzils, als der meistgelesene Theologe der Neuzeit, dessen Werke Millionenauflagen erreichten, als Glaubenshüter, der an der Seite Karol Wojtylas dafür Sorge trug, dass im Sturm der Zeit das Schiff Kirche auf Kurs blieb. Erstmals wurde mit ihm nach einem halben Jahrtausend wieder ein Deutscher zum Oberhaupt der größten Religionsgemeinschaft der Welt berufen. „In diesem Moment der Geschichte“, erklärte der spätere Papst Franziskus, „war Ratzinger der einzige Mann mit der Statur, der Weisheit und der notwendigen Erfahrung, um gewählt zu werden.“

Ratzinger zählt zu den Genies der Deutschen

Nicht von ungefähr zählt ihn der britische Historiker Peter Watson zu den „Genies“ der Deutschen, neben Giganten wie Beethoven, Hölderlin und Kant. Neben Karol Wojtyla wurde freilich auch kein anderer Kirchenführer härter angegriffen wie der Mann aus Bayern. Manchmal zurecht. Meist zu Unrecht. Sobald die Rede auf Ratzinger komme, merkte der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy an, beherrschten „Vorurteile, Unaufrichtigkeit und sogar die glatte Desinformation jede Diskussion“. 

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An Benedikt XVI. schieden sich die Geister. Für seine Gegner war er die Personifizierung eines rückschrittlichen Kurses der Kirche, für seine Anhänger eine Ikone der Rechtgläubigkeit, ein Leuchtturm der Cattolica, an dem man sich orientierten konnte. Bereits an der Universität bestand der Theologe darauf, dass die biblische Grundlage nicht zur Disposition gestellt werden dürften. Das Wort Gottes, wie es das Evangelium überliefere, sei zwar interpretierbar und enthülle immer neue Geheimnisse. Der Grundgehalt jedoch sei nicht verhandlungsfähig.

Er stieg raketenhaft zum Stern am Himmel der Theologie auf

Nie verließ Ratzinger der Mut, sich gegen das „man“ zu stellen. Gegen das, was „man“ zu denken, zu sagen und zu tun habe. Erst recht in einer Zeit, die im Begriff steht, aus der Botschaft Christi eine Religion nach den Bedürfnissen der „Zivilgesellschaft“ zu machen. Es sei ein grandioser Irrtum, mahnte er, zu denken, man müsse sich nur ein anderes Mäntelchen umhängen, schon würde man wieder von jedermann geliebt und anerkannt. Schon gar nicht in einer Zeit, in der viele gar nicht mehr wüssten, von was man spräche, wenn man vom katholischen Glauben rede. 

Die hautnahe Erfahrung des Nationalsozialismus prägte seine Wachsamkeit gegenüber jedweder Manipulation der Massen und der Selbstherrlichkeit des Menschen. Widerstandskämpfer wie der protestantische Theologe Dietrich Bonhoeffer wurden ihm Vorbild. Als junger Professor stieg er raketenhaft zum neuen Stern am Himmel der Theologie auf, ein frischer Geist, der eine nicht gekannte Sprache und Intelligenz im Erkennen der Geheimnisse des Glaubens verkörperte. Ein guter Theologe, brauche den „Mut des Fragens“, befand er, aber genauso die „Demut, auf die Antworten zu hören, die uns der christliche Glaube gibt.“

Keine Preisgabe des Wahren und Gültigen

Erst durch seine Initiativen als 35-jähriger Theologieprofessor konnte das Zweite Vatikanum zu jenem öffnenden, wegweisenden Ereignis werden, das die katholische Kirche in die Moderne katapultierte. Wie Johannes XXIII., den er verehrte, kämpfte er für eine Erneuerung nach den Erfordernissen der Zeit. Aber genau wie der Konzilspapst bestand er darauf, die Suche nach dem Zeitgemäßen dürfe niemals zu einer Preisgabe des Wahren und Gültigen. „Die Kirche hat von Christus her ihr Licht“, beharrte er, „wenn sie dieses Licht nicht auffängt und weitergibt, dann ist sie nur ein glanzloser Klumpen Erde.“

Mehrfach stand er vor dem Untergang. Als Doktorand, weil ein missliebiger Professor seine Habilitation verwarf. Als Theologe, der plötzlich verfemt war, weil er sich der Umdeutung und Verfälschung des Konzils entgegenstellte. Den Streit um die Kirche betrachtete er dabei als den Normalzustand. Der christliche Glaube sei nun mal die stete Provokation für ein rein weltlich-materielles Denken und Handeln. Im übrigen habe es der Kirche noch nie geschadet, ihre Güter aufzugeben. Letztlich sei das nachgerade die Voraussetzung, um ihr Gut zu bewahren.

Konsequent im Kampf gegen den Missbrauch

Man hat Benedikt XVI. zuletzt vorgehalten, er habe im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche vertuscht und verheimlicht. Tatsache ist, dass es Versäumnisse und Fehler gab, die er offen einräumte. Als Präfekt der Glaubenskongregation traf er allerdings früh Maßnahmen, um konsequent aufzuklären, die Täter zu bestrafen, den Opfern gegenüber Sühne zu leisten. Unvergesslich seine Mahnung beim Kreuzweg des Karfreitags 2005: Wieviel Schmutz gebe es in der Kirche, und gerade auch unter jenen, die ihr ganz zugehören sollten. Als Papst verschärfte er die entsprechenden Gesetze und entließ rund 400 Priester aus dem Dienst. Der italienische Enthüllungsjournalist Gianluigi Nuzzi gab zu Protokoll, Benedikt habe „den Mantel des Schweigens weggezogen und seine Kirche gezwungen, den Blick auf die Opfer zu richten“.

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Fest steht: Mit seinem Beitrag zum Konzil, der Wiederentdeckung der Väter und der Verlebendigung der Lehre kann Ratzinger als ein Erneuerer des Glaubens gelten, der, wie alle wahren Reformer, dazu beitrug, zum Kern des Christentums zu führen, nicht zu seiner Entkernung. Man muss nicht mit allen Positionen Benedikts einverstanden sein, aber niemand kann bestreiten, dass hier jemand mit allem, was er sagte, verlässlich der Botschaft des Evangeliums, der Lehre der Väter, der Schätze der Tradition und den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils entsprach. „Mein Grundimpuls war“, erklärte sich Ratzinger, „unter den Verkrustungen den eigentlichen Glaubenskern freizulegen und diesem Kern Kraft und Dynamik zu geben. Dieser Impuls ist die Konstante meines Lebens.“

Der Pontifex zwischen den Welten

Alles in allem verstand sich Benedikt XVI. als der Pontifex zwischen den Welten. Als der letzte einer alten und der erste einer neuen, die gerade dabei ist, den Erdball kräftig durchzuschütteln. Die Menschheit stehe an einem Scheitelpunkt, warnte er vor vielen Jahren. Viel zu wenig beachtet werde dabei die Wechselwirkung zwischen der Spiritualität einer Gesellschaft und ihren Standards. Gerade auch die Kirche stehe vor dem Beginn einer neuen Epoche. In ihr werde werde das Christentum eher wieder im Senfkorn-Zeichen sichtbar, „in scheinbar bedeutungslosen, geringen Gruppen, die aber doch intensiv gegen das Böse anleben und das Gute in die Welt hereintragen; die Gott hereinlassen.“

„Warum könnten Sie nicht sterben, Papa Benedetto?“, hatte ich den emeritierten Papst vor zehn Wochen bei meinem letzten Besuch bei ihm gefragt. Seine Antwort war, er habe noch aushalten müssen. Als ein „Zeichen“. Ein Zeichen für den Kurs, für den er stand; für die Botschaft Jesu, dessen unverfälschter Weitergabe er sich zeitlebens gewidmet hatte. In einer Zeit der Gottesferne müssten die Menschen wieder mit Jesus Christus bekannt gemacht werden, mahnte er, mit seiner Gnade, seiner Barmherzigkeit, auch mit seinen Vorgaben. Wer heute Christ sein will, müsse den Mut zur Unmodernität haben. Reform bedeute nichts anderes, als das Zeugnis des Glaubens mit neuer Klarheit in die Dunkelheit der Welt zu bringen.

Benedikts Vermächtnis wird bleiben. Als das eines Glaubenszeugen des Jahrhunderts, der versuchte, in der Erneuerung zu bewahren, in der Bewahrung zu erneuern. Sein Nachfolger sieht in ihm bereits einen „Heiligen“. Die Lehre Benedikt XVI., so Papst Franziskus, sei unverzichtbar für die Zukunft der Kirche. Sie werde „von Generation zu Generation immer größer und mächtiger in Erscheinung treten“.

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