Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Erneuerung der Kirche

Offen für das Wirken des Heiligen Geistes

Die Kirche muss die Gnade von Pfingsten neu kennenlernen. Der Heilige Geist bringt Dynamik und Vollmacht in die Verkündigung. Und ausgelassene Freude.
Heilig-Geist-Darstellung
Foto: Fred de Noyelle / Godong | "Gott und der Heilige Geist": Saint-Nicolas-de-Veroce, Frankreich.

Mir war etwas mulmig zumute, damals im Herbst 1995. Ich stand am Rande eines großen Raums. Vorne, auf einer Bühne, standen drei Gitarristen, daneben ein Keyboarder. Sie „machten Lobpreis“. „Gar nicht so übel, der Sound“, murmelte ich vor mich hin. Ihnen gegenüber waren ungefähr 200 Personen, alle hatten sie ihre Hände in Richtung Himmel gestreckt. Ganz vorne, in der ersten Reihe, war einer, der seine Baseball-Kappe im Takt hin- und herschwenkte. Weiter hinten trugen Mütter ihre Kinder auf den Armen und wippten fröhlich zur Musik. In der Ecke schwenkte einer eine Fahne. Rosa schimmernd und richtig groß. „Entweder sie sind wirklich frei oder total verrückt“, dachte ich mir. Aber so ganz verrückt konnten sie ja nicht sein. Schließlich gab es ja dieses nette Fußballturnier am Nachmittag. Fußballturnier?

Die „charismatischen Gebetskreise“ der Stadt Wien kickten damals bei einem Turnier gegeneinander. Es war ein sonniger, warmer Sonntag, dieser 15. Oktober 1995. Ich spielte für den „Loretto Gebetskreis“, zentrales Mittelfeld, eher defensiv, vor der Abwehr. Und wir waren nicht schlecht. Zwei Siege, ein Unentschieden, eine Niederlage. Ins Finale kamen wir nicht. Mein Kopfball im Halbfinale ging leider knapp über das Tor. Aber hey, die Stimmung war gut, es waren viele junge Leute da. Gegrillt wurde auch. Das Leben war schön.

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Vier Wochen zuvor war ich als Student in die Donaumetropole übersiedelt und war mit ein paar Leuten befreundet, die einmal die Woche „zu den Lorettos“ zum Beten gingen. Sie hatten mich zu diesem Turnier geschleppt – zu diesem Turnier mit anschließendem Lobpreisabend. Und da stand ich nun, am Rande dieses großen Raums, als Zuschauer. Meine Arme waren verschränkt, ich zögerte. Soll ich jetzt wirklich da reingehen? Ich kann doch auch anders beten. Einen Rosenkranz zum Beispiel. Oder einen Psalm. In die Messe gehe ich ja auch gerne. Muss ich mich jetzt wirklich auf etwas Neues einlassen? Ich grübelte vor mich hin. Letztlich zog mich diese ausgelassene Fröhlichkeit an. Und diese Freiheit. Da war niemand, der Anweisungen gab. Vielmehr war es so, als würden uns im Lobpreis Wellen von Freude überrollen. Wieder und wieder und wieder. Dann, aus der Mitte der Versammlung, erhob sich ein ungemein harmonischer Gesang, vielstimmig, verwoben und klangvoll. Es fing an wie von selbst. Es hörte auch wieder auf wie von selbst, in wunderschöner Ordnung. Ich war fasziniert und betört. Gerade auch von diesen Lobpreisern. Sie wirkten auf mich wie normale junge Leute. Aber sobald sie dem Herrn im Lobpreis die Ehre gaben, war es so, als würde sich die Atmosphäre verändern, hinein in eine größere Gefasstheit und Dichte. Ich kannte damals schon viele Schätze der Katholischen Kirche, lebte aus den Sakramenten und dem Wort Gottes. Aber das kannte ich nicht. Diese Dynamik. Diese Freude. Diese Freiheit.

Unsere Reaktion auf die Heiligung ist die Freude!

Die Kirche von übermorgen ist… offen für das Wirken des Heiligen Geistes. Und zwar für sein Wirken in uns und durch uns. Am Abend des Ostersonntags, als sich die Jünger aus Furcht hinter verschlossenen Türen versammelt hatten, „kam Jesus“, wie es bei Johannes 20,19 heißt, „trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!“ Und fast im selben Atemzug spricht der Herr dann folgende Worte: „Empfangt den Heiligen Geist!“ (Joh 20,22) Jedes Mal, wenn wir die Kommunion empfangen, tritt der Herr durch die verschlossenen Türen unserer menschlichen Existenz in uns hinein und sagt: „Friede sei mit dir!“ Und fast im selben Atemzug schenkt Er uns den Heiligen Geist. Bei einer Beichte ist es genauso. Gott gießt Sein Leben durch den Heiligen Geist in unsere Seele ein, um sie von der Sünde zu heilen und sie zu heiligen (vgl. KKK 1999). Und wie ist unsere Reaktion auf diese – sagen wir es in der Sprache klassischer katholischer Theologie – heiligmachende Wirkweise des Heiligen Geistes? Bei Johannes 20,20 steht dazu ganz schlicht: „Da freuten sich die Jünger.“ Bei mir ist es sehr ähnlich. Gerade nach dem Empfang der Kommunion oder wenn mir die Absolution zugesprochen wird. Da schließe ich meine Augen und freue mich über Seine Gegenwart und Sein Wirken in mir. Vor Oktober 1995 kannte ich dieses Wirken des Herrn in uns. Ich war offen dafür. Ich liebte es und suchte es. Bis zum heutigen Tag. Aber das, was ich nach diesem Fußballturnier bei diesen Lobpreisleitern sah, dieses Wirken des Herrn durch uns auf andere hin und zu deren Heil, das kannte ich in der Weise noch nicht.

Das Pfingstereignis wird folgendermaßen beschrieben: „Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“ (Apg 2,2-4). Und die Wirkung, die mit diesem Erfüllt-Werden mit dem Heiligen Geist einhergeht, ist bezeichnend: Die junge Kirche ist auf einmal dynamisch, so lesen wir es in der Apostelgeschichte. Sie geht auf die Straße, sie predigt, und zwar so, dass es die Leute „mitten ins Herz“ (Apg 2,37) trifft. Mehrere tausend Personen schließen sich ihnen an. 50 Tage vorher, am Abend des Ostersonntags, als der Herr den Heiligen Geist hinter den verschlossenen Türen schenkt, „freuten sich die Jünger“. Und jetzt, zu Pfingsten, werden die Türen geöffnet, und die junge Kirche verkündigt im Heiligen Geist und voll Freude das Evangelium Jesu Christi.

Zwei Wirkweisen: In uns und durch uns

Worauf ich hinauswill: Der Heilige Geist wird zwei Mal geschenkt. Es gibt nämlich zwei Wirkweisen des einen Heiligen Geistes: In uns und durch uns. Das kommt auch in der Liturgie der Kirche zum Ausdruck. Zu Pfingsten, also am Pfingstsonntag (in den Lesejahren A, B und C) ist die erste Lesung aus Apostelgeschichte 2 und das Evangelium ist aus Johannes 20. Kann es sein, dass wir manchmal einseitig sind? Kann es sein, dass wir als Kirche im deutschsprachigen Raum mit Seinem Wirken in uns sehr wohl vertraut sind (Ostersonntag Abend), aber Sein Wirken durch uns auf andere hin und zu deren Heil (Pfingsten) übersehen haben? Die Kirche von übermorgen ist… offen für das Wirken des Heiligen Geistes. Für Sein Wirken in uns und durch uns. Die Kirche von übermorgen muss die Gnade von Pfingsten neu kennenlernen. Denn vom Wirken des Heiligen Geistes durch uns auf andere hin und zu deren Heil kommt Dynamik und Vollmacht in der Verkündigung. Und ausgelassene Freude.

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Unmittelbar nach dem Pfingstereignis wird gespottet: „Sie sind vom süßen Wein betrunken“ (Apg 2,13). Petrus reagiert: „Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint.“ (Apg 2,15) Und rund 300 Jahre später ergänzt Cyrill von Jerusalem diese Schriftstelle kommentierend: „Sie sind nicht betrunken, wie ihr meint. Sie sind zwar trunken, aber mit einer nüchternen Trunkenheit, die die Sünde tötet und dem Herzen Leben schenkt.“ Ausgelassene Freude, Vollmacht in der Verkündigung und Dynamik – das sind nicht die ersten Assoziationen, die ich habe, wenn ich an die Katholische Kirche der Gegenwart im deutschsprachigen Raum denke. Aber brauchen wir nicht genau das? Ich glaube ja.

Vorschlag: etwas Neues wagen

Wie kommen wir da hin? Hier sind zwei Vorschläge: Zum einen, indem wir beginnen, in ein Gebet des Heiligen Papstes Johannes XXIII. vom Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils einzustimmen: „Herr, erneuere deine Wunder in unseren Tagen wie durch ein neues Pfingsten.“ Zum anderen, indem wir uns einlassen auf Initiativen, die uns in einer theologisch ausgewogenen und menschlich reifen Weise die Gnade von Pfingsten vermitteln können. Eine dieser Initiativen ist Encounter Ministries. Dieser Schulungsdienst aus den Vereinigten Staaten hat in den letzten Jahren ein Curriculum entwickelt. An einem Abend pro Woche über zwei Jahre hinweg gibt es Unterricht zu Themen wie Identität in Christus, innere Heilung und den Umgang mit Charismen. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen lernen viel Theologie, gleichzeitig machen sie ihre Erfahrungen mit dem Wirken des Heiligen Geistes durch uns. Weltweit gibt es bereits knapp 40 Encounter School of Ministry Campus, alle wurden erst nach offizieller Einladung des jeweiligen Ortsbischofs eröffnet. Im September 2024 startet der Wiener Campus in den Räumlichkeiten der Loretto Gemeinschaft. Wer nicht das Glück hat, in der Donaumetropole zu leben, findet online einen Encounter School of Ministry Campus, auch auf Deutsch.

Damals, im Herbst 1995, fragte ich mich, ob ich mich auf etwas Neues einlassen will. Kirche im deutschsprachigen Raum, kann es sein, dass es Zeit wird, offen zu werden für das Wirken des Heiligen Geistes, in uns und durch uns?


Der Autor ist seit 2004 Leiter der Loretto Gemeinschaft. Der promovierte Philosoph und Familienvater lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Wien. Zu den Veranstaltungen der Loretto Gemeinschaft kommen pro Jahr etwa 25 000 Personen; zu Pfingsten lädt Loretto an 30 Orten zu Pfingstfestivals ein, die von Gebet, Lobpreis, Beichte, Messe und Gebet um den Heiligen Geist geprägt sind.
Mehr Infos: www.pfingsten.at

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