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Martin Brüske: Synodaler Weg betreibt Religionsverwaltung statt Heilsökonomie

Der Theologe konstatiert eine radikale Anpassung an die Gegenwartskultur und eine fehlende Anerkennung der Heilsgeschichte.
Eine LGBTQ-Fahne beim Synodalen Weg
Foto: Maximilian von Lachner (Synodaler Weg / Maximilian von L) | Eine LGBTQ-Fahne beim Synodalen Weg: Martin Brüske kritisiert eine Anpassung an die Gegenwartskultur bei der Initiative von ZdK und DBK.

 Oikonomia – so nannten die griechischen Kirchenväter die „Hauswirtschaft“ Gottes. Das kommt von griechisch „oikos“, „Haus“, und griechisch „nomos“, „Gesetz“. Das Wort ist älter als sein christlicher Gebrauch und bedeutet eben ursprünglich die „Führung eines Haushalts“, „Hauswirtschaft“. Auch unser Fremdwort „Ökonomie“ leitet sich davon ab. Das Haus Gottes ist aber der ganze Kosmos. Dieses Haus will sein Schöpfer Schritt für Schritt mit seiner Gegenwart erfüllen. Der Weg zu diesem Ziel, den Gott mit seinem Schöpfungshaus dabei durchläuft – das ist zugleich die „Story“, die Grunderzählung des christlichen Glaubens, biblisch bezeugt, tausendfach variiert, aber immer mit demselben Plot. Skizzieren wir die Erzählung, um sie dann mit der Frage zu konfrontieren, was wir in den Dokumenten und Impulsen des Synodalen Weges davon finden:

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Der Dreifaltig-Eine setzt sich das Haus der Schöpfung in jedem Augenblick gegenüber, um sofort zu beginnen es mit seiner Gegenwart zu erfüllen. Am Ende stehen die neue Schöpfung und das neue Jerusalem, das keinen Tempel und keine Sonne mehr braucht, weil Gottes Gegenwart unmittelbar darin leuchtet. Die Bewohner des Hauses allerdings – als Personen berufen zu liebender Freiheit und freier Liebe – ließen sich beschwatzen („Hat Gott wirklich gesagt…?“), den Besitzer des Hauses für einen bloß am eigenen Gewinn interessierten metaphysischen Immobilienhai zu halten. Ihr scheel gewordener Blick verkannte die Güte Gottes und im tödlichen Projekt der absoluten Selbsterhaltung durch Zivilisation (Turmbau zu Babel) versuchten sie in grotesk-lächerlicher Weise Gottes Schöpfungshaus in eine Festung gegen den ursprünglichen Besitzer zu verwandeln. Als Schöpfungshausbesetzer und Turmbauer bis zum Himmel („was Transzendenz ist, bestimmen wir“) fürchteten sie sonst Autonomie und Identität zu verlieren.

Der definitive Anfang vom Ende ist Ostern

Verrückterweise hört der Hausbesitzer nicht auf, die Hausbesetzer mit närrischer Intensität zu lieben. Er liebt ihre Sehnsucht nach Freiheit, auch wenn die Schlange sie in die Falle der Selbstbewahrung gelockt hatte. Er liebt ihre Sehnsucht nach Leben, auch wenn die hausbesetzenden Narren ihre selbstgegrabene löchrige Zisterne (mit der immer zu knappen und faden Brühe) verwechselten mit den Quellen der köstlich frischen Wasser Gottes. Weil der närrisch liebende Gott die trotzigen Kinder seiner Schöpfung nicht durch seine Heiligkeit erschlagen wollte – das wäre die Konsequenz gewesen, wäre er unvermittelt in die Unmittelbarkeit zu seiner Schöpfung eingetreten –, ließ er sich die Befreiung aus der Torheit die Kreuzeshingabe seines Sohnes Jesus, des menschgewordenen und gebenedeiten Mittlers, kosten. 

Der definitive Anfang vom Ende ist Ostern. Im auferstandenen und erhöhten Jesus ist die Bresche ins himmlische Jerusalem definitiv geschlagen. Wer sich von seinem Geist erfassen lässt und auszieht durch die Bresche, erlebt das größte Wunder: Das Babel der Verwirrung und Torheit beginnt sich zu verwandeln. Im Exodus des Glaubens gelangt man nicht an einen weltlosen Ort, sondern der, der umkehrt zum lebendigen Gott durch Christus im Heiligen Geist, dem wandelt sich das verwirrte Babel zum neuen Jerusalem, zur erneuerten Schöpfung, zum Ort wahren Lebens und wahrer Freiheit an dem Gott wohnt. Dort verstummt der Lobpreis über dieses Wunder und über den, der es bewirkt hat, nicht mehr.

Das also – in Skizze – ist die Oikonomia, die Hauswirtschaft des dreifaltigen Gottes und die Story, die das Christentum erzählt in tausend Varianten. Sie macht seine Identität aus. Verbindliche Lehre sichert, dass die Story richtig erzählt und die Grundbewegung der göttlichen „Hauswirtschaft“ von der Schöpfung zur Vollendung richtig erfasst wird. Wer diese Story und diese Oikonomia verlässt, der hat das Christentum verlassen. Und im christlichen Glauben sind alle neuen Herausforderungen in ihrem Licht zu buchstabieren.

Statt Oikonomia eine machtförmig durchgesetzte Agenda

Die Tragik des Synodalen Weges: Von dieser Oikonomia weiß er nichts mehr. Völlige Amnesie! Nicht einmal Spurenelemente finden sich. Allenfalls vage Anklänge, Zierzitate, ornamentaler Schmuck, der allerdings – in einer ganz anderen Ökonomie und Story, der Story des autonomen Subjekts und seiner Selbstbestimmung – den Charakter von religiösem Kitsch bekommen hat: Phrasen, die durch keinerlei Substanz mehr gedeckt sind. Vage Erinnerungen daran, dass hier irgendwo und irgendwann einmal etwas anderes gewesen sein muss. Man lasse sich deshalb durch sie nicht bluffen und blenden, mache das Experiment, suche die Oikonomia – und finde: nichts!

Die wohlfeile Ausrede, man habe ja ganz andere Themen zu verhandeln gehabt, zieht nicht. Die echten Herausforderungen, denen sich der Synodale Weg hätte stellen sollen, Anthropologie, Ethik und Kirche heute, hätten zwingend angegangen werden müssen im Licht der Oikonomia, wenn man denn für die Gegenwart relevante Antworten in der Identität des christlichen und katholischen Glaubens hätte finden wollen.
Aber darum ging es ja nicht. Als jemand, der durch das infame Machtheater des Synodalen Weges schweren Schmerz und schwere Depression durchleiden musste, in der Erkenntnis, dass er keine kirchliche Gemeinschaft mehr mit denen hat, die ihn aktiv aus ihrer willkürlichen Neudefinition von Kirche exkludiert haben, bleibe ich dabei: Das Konstrukt des Synodalen Weges diente zu keinem Zeitpunkt zu etwas anderem, als der Kirche in Deutschland eine Agenda vorgeblich unabdingbarer liberaler Kirchenreformen aufzunötigen – durch ein ZdK, das dazu nicht die geringste theologische Legitimation besitzt, ermöglicht durch schwache Bischöfe, die nichts anderes wollten, als ihre Haut retten angesichts ihres kläglichen Versagens in der Missbrauchskrise. Und dies definitiv jenseits der Story, jenseits der Oikonomia.

Das infame Machtspiel jedoch verband sich mit einem ebenso infamen, beständig wiederholten Narrativ: Missbrauchsaufarbeitung durch Beseitigung systemischer Ursachen. Wissenschaftlich ist das alles haltlos. Und die komplette Verweigerung, die Suggestionen des Narrativs noch einmal zu überprüfen – was ja eine Kleinigkeit gewesen wäre, wenn man sich der eigenen Sache sicher gewesen wäre – sagt schon alles: Es handelt sich um die menschenverachtende Instrumentalisierung des furchtbaren Übels klerikalen Missbrauchs und des kirchlichen Versagens vor diesem Übel. Dabei bleibt es. Und dafür werden sich die Protagonisten einmal verantworten müssen. Die Willkür dieses infamen Machtspiels jedenfalls kommt der geistlichen Vergewaltigung derer gleich, die nicht zustimmen. Und für die Kirche in Deutschland wird es in fürchterlichen, zerstörenden Explosionen enden – wie sich im Blick auf dieses Jahr 2024 immer deutlicher abzeichnet.

Martin Brüske
Foto: privat |

Sehen wir weiter: Im Grundmodell der Heilsökonomie hat Kirche im Kern nur eine einzige Aufgabe in zwei Momenten. Wie Andreas seinen Bruder Simon zu Jesus führt, wie die Freunde des Gelähmten das Dach aufbrechen, um ihn zu Jesus zu bringen, so liegt der mystagogische Dienst der Kirche einzig darin, Menschen in den heilsamen Kontakt mit Jesus Christus hineinzuführen und dann mystagogisch zu helfen, dass sie in Jesus Christus wachsen. Alles andere ist strikt sekundär (was nicht heißt: unwichtig). Dies alles aber heißt, dass Menschen Jüngerinnen und Jünger Jesu, dass sie geistlich selbständig, dass sie Subjekte ihres Glaubens werden – und nicht Objekte pastoraler Betreuung bleiben.

Religionsverwaltung statt Heilsgeschichte

Und nun wiederum die Beobachtung: An dieser Frage der geistlichen Selbständigkeit, der Jüngerschaft und Subjektwerdung im Glauben zeigt sich der Synodale Weg vollständig uninteressiert. Es gibt nicht einmal einen Hinweis darauf, dass sich seine Protagonisten diese Frage auch nur gestellt haben. Dabei ist es unmittelbar evident, dass sie im Blick auf die Missbrauchskrise elementare Bedeutung hat. Neben solider Prävention ist die Förderung einer Kultur geistlicher Selbständigkeit grundlegend, um die Milieus geistlichen und sexuellen Missbrauchs auszutrocknen. Wenn es eine wirkliche systemische Ursache für Missbrauch gibt, dann die Selbstreferentialität einer klerikalen Betreuungskirche, die das Gefälle von Betreuern und Betreuten zementiert, anstatt dem eigenen, selbständigen geistlichen Leben der Glaubenden zu dienen. Diese Frage nicht einmal im Ansatz gesehen zu haben – kein einziges Dokument ließe sich nennen, kein Handlungsimpuls, kein Projekt – ist erschütternd. 

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Man sieht hier, was mit dem Wort „Theo-Soziologie“ gemeint ist. Die Wahl des theologischen Grundmodells steht in starker wechselseitiger Beziehung mit dem, wie man die Sozialgestalt von Kirche zuerst innerlich imaginiert und dann äußerlich realisiert. Welches Grundmodell wählt der Synodale Weg? Nimmt man die Dokumente insgesamt und kontrastiert sie zum Beispiel mit den großen Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils, dann wird der Bruch sehr schnell deutlich. Machen Sie das Experiment und vergleichen: Die Dokumente des Konzils sind geprägt von einem tiefen heilsgeschichtlichen Denken, von der Vorstellung dessen, was oben „Oikonomia“ genannt wurde, von dem, was man in anderer, modernerer Sprache „canonical story“ genannt hat, von jener Grundbewegung also zwischen Schöpfung und Vollendung, deren narrative Struktur dem biblischen Kanon die Gestalt gegeben hat. Der Weg der Christwerdung besteht dann darin, die kleine Story des eigenen Lebens in die große Story einzufügen und dies immer tiefer zu realisieren.

Davon weiß der Synodale Weg nichts und damit hat er gebrochen. Statt dessen, wie im liberalen Protestantismus des 19. Jahrhunderts, nur viel langweiliger als bei Schleiermacher, Ritschl, Troeltsch und Harnack, die bei allem nötigen Widerspruch aufregende Denker sind, heißt das Paradigma des Synodalen Weges: „Religion“: Nicht mehr Heilsgeschichte und Offenbarung, sondern ein anthropologisch gegebener, vager Transzendenzbezug des Menschen als Menschen, den die Vertreter des Synodalen Weges gerne noch ein paar Jahrzehnte verwalten möchten. Das Projekt heißt: Radikale Anpassung an das, was man meint, recht oberflächlich, als Gegenwartskultur erkannt zu haben – das ist die erbärmliche theo-soziologische Bilanz des Synodalen Wegs. 

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