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Selbstbestimmte Regeln

Magnus Striets Plädoyer für einen Fußball der Freiheit. 
Fußball
Foto: Shannon Fagan | Ein selbstbestimmter Fußball wäre das reine chaotische Bolzen ohne Sinn und Ziel. Freiheit funktioniert nur innerhalb eines Rahmens aus Regeln.

Jüngst ist ein bemerkenswertes Buch erschienen - „Für einen Fußball der Freiheit“ - in dem der Autor dafür plädiert, den Fußball völlig neu zu denken. Er beruft sich dabei auf niemand Geringeres als Hannah Arendt und ihr Diktum: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen“, um daraus zu folgern: „Gehorchen darf ich nur mir, meinem Gewissen – und damit den Gründen, die ich für belastbar halte.“ Das hat natürlich Folgen für den Fußball – nicht nur in Hinsicht auf Katar. Es geht um den Fußball an sich; wir müssen ihn völlig neu denken.

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Bitte den Verstand nutzen

Wie belastbar ist denn die geschlechterfixierte Trennung in Mann- und Frauschaften, die willkürlich bestimmte Größe des Spielfeldes, die von oben herab aufoktroyierte Größe, das Gewicht und das Material des Balles, die aus der Luft gegriffene Breite zwischen den Torpfosten, die Gehorsam heischende Dauer der beiden gleich langen (sic!) Spielhälften und der beiden gleich langen Hälften der Verlängerung (sic! sic!). Wer sagt das alles? Wer verfügt denn über die exklusive Benutzung von Füßen und die ideologische Ausgrenzung der menschlichen Hand, wobei wir bei Maradona gelernt haben könnten, dass es auch die „Hand Gottes“ sein könnte, die dem Spiel die entscheidende Wendung gibt?

So sind die Fußballer:in und der Fußballer aufgerufen, „sich doch bitte seines eigenen Verstandes zu bedienen und sich aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zu befreien, um so der Würde der Freiheit ihren Ausdruck zu geben.“ Wenn es denn Regeln im Fußball gibt, so müssen sie sich „freiheitssensibel und zugleich so auslegen lassen, dass die Mitspieler nicht in eine intellektuelle Schizophrenie geraten.“ Wer will denn bestreiten, „dass die Vorstellung von dem einen universalen Fußball eine Fiktion ist?“ An der Copacabana wurde schon immer ein anderer Fußball gespielt als in der niederrheinischen Kreisklasse.

"So sind die Fußballer:in und der Fußballer aufgerufen,
,sich doch bitte seines eigenen Verstandes zu bedienen und sich aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zu befreien,
um so der Würde der Freiheit ihren Ausdruck zu geben.' "

Bernhard Meuser
Foto: Archiv | Der Theologe und Publizist Bernhard Meuser war Verlagsleiter des Pattloch Verlages; er initiierte verschiedene katechetische Werke, wie zum Beispiel den YOUCAT.

Kirche und Fußball

In einer kleinen Spielerei habe ich mir erlaubt, „Kirche“ mit „Fußball“ zu vertauschen. Denn natürlich ging es unserem Autor nicht um die freiheitssensible Erweiterung des Ballsports, sondern um eine neue Definition der Kirche, in der es die Kategorie „Gehorsam“ nicht mehr gibt. Sie wird vielmehr ersetzt durch die radikale Autonomie des Subjekts, das sich nur noch aus sich heraus entwirft. Ausgehend von aufgeklärter Selbstgewissheit kommt sekundär eine Sozialform namens „Kirche“ hinzu, in der sich die freien Subjekte wohlfühlen, da sie qua universeller Toleranz in ihrer Diversität nicht kollidieren. Diese neue Kirche (oder Fußball) zu sein, ist ein loser Verband von Individuen, die noch ein gemeinsames Etikett vereinigt.

Da träumt einer eine Kirche, die nicht länger daran festhält, dass ihr Lehramt „den Willen Gottes oder auch Christi (...) in gültiger Weise vorgelegt und damit objektiv zugänglich gibt“; er träumt von alternativen kirchlichen Freiheitskonzepten, „die ihre unbedingte Norm in dem Satz Freiheit soll sein“ finden.
„Und dieser Satz wird verbunden mit einer Lesart des Evangeliums von dem Gott, der selbst Mensch geworden ist, der seinerseits will, dass der Mensch sich in seiner Freiheit entfalten darf, und möglichst glücklich wird, solange nicht die Rechte Anderer verletzt werden.“ Ich teile diese Auffassung weder in Hinsicht auf den Fußball, noch in Hinsicht auf die Kirche. Fußball ist Gehorsam. Und Kirche ist Gehorsam. Besser gesagt: Fußball ist Fairplay in freiwillig übernommener Regeltreue. Und Kirche ist Freiheit im Gehorsam.

Hannah Arendt
Foto: Archiv | Hannah Arendt: "Um sich sophistisch aus der persönlichen Verantwortung für die Holocaust-Verbrechen heraus zu mogeln, bezog sich Eichmann explizit auf Kant"

Kirche ist Freiheit im Gehorsam

Beginnen wir mit dem Bezug auf die Sozialphilosophin Hannah Arendt. Ihre Aussage, dass es kein Recht zum Gehorsam gibt, hatte einen spezifischen Hintergrund; zudem wurde es nur unvollständig wiedergegeben. 1964 hatte man die einst als Jüdin verfolgte Hannah Arendt von Amerika aus nach Jerusalem entsandt, um über den Prozess gegen den Technokraten der Endlösung - Adolf Eichmann - zu berichten. Eichmann baute seine ganze Verteidigungsstrategie darauf auf, dass er ja nur gehorcht habe, - nur „Werkzeug“ war.

Adolf Eichmann
Foto: public domain | Eichmann behauptete, „sein Leben lang den Moralvorschriften Kants gefolgt zu sein, und vor allem im Sinne des kantischen Pflichtbegriffs gehandelt zu haben.“

Was Arendt noch mehr empörte: Um sich sophistisch aus der persönlichen Verantwortung für die Holocaust-Verbrechen heraus zu mogeln, bezog sich Eichmann explizit auf Kant. Eichmann behauptete, „sein Leben lang den Moralvorschriften Kants gefolgt zu sein, und vor allem im Sinne des kantischen Pflichtbegriffs gehandelt zu haben.“ Darauf Hannah Arendt: „Kants ganze Moral läuft doch darauf hinaus, dass jeder Mensch bei jeder Handlung sich selbst überlegen muss, ob die Maxime seines Handelns zum allgemeinen Gesetz werden kann. ... Es ist ja gerade sozusagen das extrem Umgekehrte des Gehorsams!“

Für den Autor unseres Buches ist die sakramental-hierarchisch verfasste Kirche so ungefähr das, was für Eichmann der Führer war: eine absolutistische Instanz, die (von nichts außer ihrer faktischen Macht legitimiert) ihre Souveränität sichert, indem sie Befehle erteilt und damit eine Welt subalterner, subjektloser Subjekte hervorbringt.

So es Christen geben sollte, die sich noch dem aus der Zeit gefallenen Diktat beugen, funktionieren sie zwar - gewissermaßen als katholische Nichtsubjekte. Menschen aber, die einmal die Würde der Freiheit gekostet haben, kann man den abverlangten Fußfall nicht mehr zumuten. Nun muss aber, so unser Autor, niemand der Kirche „gehorchen“, ja man darf es aus Gründen menschlicher Selbstachtung nicht.

"Der Leser fragt sich, wozu man dann noch eine Kirche braucht,
wenn sie nicht mehr sein soll als
die moderierte Anarchie unverbundener Freiheitssubjekte."

Keine selbstvergessene Unterwerfung

Man darf der Gehirnwäsche, dem lückenlosen Kontrollwahn der Kirche und ihren „Techniken der Sozialdisziplinierung“ (Beichtpflicht!) nicht erliegen. Wobei sich die „verinnerlichte Vorstellung, dass die Sakramente heilsnotwendig seien, ... ohnehin im Nebel klerikaler Anmaßung und theologischer Kritik verflüchtigt“ habe. Der Leser fragt sich, wozu man dann noch eine Kirche braucht, wenn sie nicht mehr sein soll als die moderierte Anarchie unverbundener Freiheitssubjekte. Es wäre das Ende des Menschlichen überhaupt, wenn wir nicht mehr aufeinander hören, einander nicht mehr in Freiheit gehorchen wollten.

Die spezifische Freiheit der Christenmenschen muss in der Tat aus einer genauen Reflextion von Autonomie und Heteronomie gewonnen werden. Sie ist nicht Pervertierung von Freiheit durch vernunftvergessene „Unterwerfung“; dann wären wir bei der Übersetzung des arabischen Wortes „Islam“. Menschen werden zu Christen nicht anders, als durch das konstitutive Bekenntnis: „Jesus ist der Herr.“ (2 Kor 4, 5)

Der nur scheinbar heteronome Akt der Hingabe, ist in Wahrheit ein Akt höchster Freiheit. Ich setze ihn, weil ich zu einer Freiheit befreit werden möchte, die ich aus eigenem Vermögen heraus nicht habe. Ich opfere auch nicht meine Vernunft auf, wenn ich nach dem strebe, was ich aus mir heraus nicht wissen kann und mit Anselm von Canterburys sage: Credo ut intelligam – ich glaube, um zu verstehen. Ich gebe mich meinem Herrn hin, um Anschluss zu gewinnen an das Herrschaftswissen Jesu: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.“ (Joh 1, 18) Dass wir im Christlichen nicht von Unterwerfung, sondern von Hingabe sprechen, ist tief in die Wahrheit menschlicher Existenz eingelassen. Hingabe ist die höchste Kumulation von Freiheit und Liebe. Die Ehe wäre „Tyrannis“, gäbe es in ihr nicht das freiwillige Entgegenkommen, ja den wechselseitigen Gehorsam von Mann und Frau. Die Ehe ist kein ausgehandelter Interessenausgleich und kein austariertes Arrangement konkurrierender Autonomien.

Ihr Herzstück ist das Prius des Anderen, wie es im Herzen der Kirche das Prius Gottes gibt. Hier wie dort bedeutet mich hinzugeben nicht meine Selbstauslöschung durch Verrat an die Heteronomie, sondern gerade mein zu mir Kommen, mein Glück, mein Heil. Um die freie Würde des Hörenwollens, von dem sich der Gehorsam herleitet, zu entdecken, kann man auf den weisen König Salomo verweisen, der um nichts Anderes, als ein „hörendes Herz“ (1 Kön 3, 9a) bat.

In der Hingabe gipfeln Freiheit und Liebe

Paradigmatisch wird der Gehorsam aber erst bei Jesus selbst. Wo immer die Essenz seiner Sendung zum Vorschein tritt, ist sie Gehorsam gegenüber dem Vater (Joh 4, 34; 14, 31): Dieser Gehorsam zieht sich durch alles hindurch, um sich in der Einsamkeit der Nacht von Golgatha zu vollenden, wo Jesus den Bitterkelch seines Todesleidens aus der Hand des Vaters entgegennimmt: „Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“ (Lk 22, 42)

Der Philipperhymnus zieht die Summe der freien Selbstentäußerung Christi: „Er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil 2, 8), ohne zu vergessen, diese Summe mit einer Klammer zu versehen: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht.“ (Phil 2, 5). Wozu? Damit „alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen / vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: / Jesus Christus ist der Herr.“ (Phil 2, 10-11) Der rote Faden des erlösenden Freiheitsgehorsams Christi durchzieht in immer neuen Variationen die Zeit der Kirche. Er ist keine äußerliche Imitation einer jesuanischen Geste; er ist die Vereinigung mit Jesus selbst.

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Gehorsam in Freiheit

Der Freiheitsgehorsam der Jünger ist Echo der grenzenlosen Hingabe Jesu, seine horizontale und vertikale Multiplikation in alle Völker der Erde und alle seine Zeitalter bis zur Wiederkunft des Herrn in Herrlichkeit. Die Hingabe Christi am Kreuz, seine eucharistische Selbstentäußerung in der doppelten Hingabe an den Vater und an uns („... mein Leib für euch!“ 1 Kor 11, 24) markiert den Ursprung der Kirche, seinen immer neuen Anfang, wo immer Menschen zum Altar hintreten und sich vereinnahmen lassen in den Gehorsam Christi. „Empfangt“, sagt Augustinus, „was ihr seid: Leib Christi, damit ihr werdet, was ihr empfangt: Leib Christi.“ In der Kirche werden wir ebenso wenig aus der Schule Jesus entlassen, wie die Jünger im Neuen Testament, wo der Begriff „gehorchen“ geradezu austauschbar ist mit „glauben“. „Nur der Gehorsame“, sagt Dietrich Bonhoeffer in seinem Nachfolge-Buch, „glaubt, und nur der Glaubende gehorcht.“


Man könnte sagen: Wer hingebungsvollen, guten Fußball spielen möchte, macht sich am besten mit den Regeln vertraut. Und wer nicht neben der una, sancta, catholica et apostolica spielen, sondern das Spielfeld der universellen Kirche betreten möchte, wird keinen Ball bekommen, solange er sich nicht intensiv hinhörend mit der regula fidei vertraut gemacht hat.

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