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Machtverteilung oder -kampf?

Kirchliche Autorität gründet nicht auf bloß menschlichen Übereinkünften und Abstimmungen.
Wer kniet und anbetet, kann nicht Christus mit sich selbst verwechseln.
Foto: KNA/Harald Oppitz | Wer kniet und anbetet, kann nicht Christus mit sich selbst verwechseln.

Der frühere Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher († 2013) schrieb über „Werte im Wellengang. Ungewöhnliche Interviews“. Im geistreichen Dialog mit der Autorität beklagt jene: „Ich musste auf Thronen sitzen und Kronen tragen, auf prächtigen Kathedren unter Baldachinen, zu denen viele Stufen hinaufführen, ich musste immer in eindrucksvollen Posen auf Lehrstühlen, Gerichtspräsidentensitzen und Chefsesseln Platz nehmen. … Ich leide vor lauter zur Schau getragenem Würdebewusstsein an einer Versteifung des Rückgrats - und das hindert mich, mich zu den Menschen hinunterzubücken, … Wenn man so oft die Unbewegliche spielen muss, leidet die Beweglichkeit und der Horizont verengt sich.“

Unsere Zeit hat mittlerweile meines Erachtens ein anderes Problem auf der Horizontebene: Ihr geht immer mehr die Vertikale ab, auch in kirchlichen Gremien. Es scheint Schwierigkeiten zu bereiten, vor Gott das Knie zu beugen durch einen selbstherrlichen Intellektualismus, der einer Anthropologie folgt, in der Offenbarung und Lehre der Kirche keine absoluten Referenzpunkte mehr sind. Wer kann hier noch Orientierung geben, Papst und Bischöfe, oder die Bischöfe mit ihren jeweiligen Nationalsynoden?

Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde gelehrt, dass die Höchstform des kirchlichen Amtes der Bischof sei, dessen erste Aufgabe die Verkündigung ist; dann folgen die Verwaltung der Sakramente und der Einheitsdienst. Alle anderen Amtsträger in der Kirche haben kollegial und gestuft Anteil an diesem einen Amt.

Bestimmung von Laien gegen Kirchenrecht

Anders als Hieronymus, Theodor von Mopsuestia und der Ambrosiaster lehrt das letzte Konzil, dass zwischen Priester und Bischof nicht nur ein rangmäßiger, sondern überdies ein wesensmäßig-sakramentaler Unterschied bestehe. Thomas von Aquin hingegen folgte der Tradition des nur graduellen Unterschiedes. Diese lehramtliche Entscheidung des Vaticanum II, die die Sakramentalität der Bischofsweihe hervorhob, ja vom dreigliedrigen Amt sprach, hat die Ökumene mit den Kirchen der Reformation nicht einfacher gemacht.

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Angesichts dieser konziliaren Vorgaben, die auch im aktuellen Kirchenrecht festgehalten sind, müsste in der Diskussion, die im deutschsprachigen Raum derzeit geführt wird, zunächst einmal geklärt werden, was unter „Synode“ (in der Kirchengeschichte zuweilen synonym mit Konzil verwendet) eigentlich verstanden werden soll. In Deutschland und in Österreich etwa hat jeder Bischof Beratergremien (Domkapitel, Priesterrat, Personalrat, diözesane Kommissionen wie die Ökumenische Kommission usw.), deren „Beschlüsse“ (besser Voten) nur dann Gesetzeskraft erlangen, wenn ihnen der Bischof zustimmt. Eine aktiv-entscheidende und nicht bloß beratende Mitwirkung von Laien an synodalen Beschlüssen, die unter Umständen die verantwortlichen Bischöfe überstimmt, kennt das katholische Kirchenrecht nicht.

Wenn unter „synodal“ oder „synodaler Mitverantwortung“ wie zur Zeit in vielen Wortmeldungen in Frankfurt die Stichworte Anerkennung des Subjektseins aller Glaubenden (LG 9–13: „gemeinsames Priestertum“), „Gleichheit“ aller beim Aufbau des Leibes Christi (LG 32), oder die Aufwertung nationaler oder kontinentaler Zwischeninstanzen (im Gegenüber zu entweder teil- beziehungsweise ortskirchlicher „Synodalität“) und weltkirchlich-globaler Veranstaltungen gemeint sein sollen, müsste deutlicher dargestellt werden, was das für die katholische Ekklesiologie überhaupt meinen soll. Kann man überhaupt das katholische hierarchische Kirchenprinzip und synodale Elemente miteinander vermitteln?

Dienst zum Aufbau des Leibes Christi

Biblische Ansätze finden wir vielleicht in 1 Kor 12,12-27 (ein Leib – viele Glieder) beziehungsweise in der Charismenlehre des Paulus: Für Paulus ist jeder Dienst in der Kirche dann und nur dann ein Charisma, wenn er zum Aufbau des Leibes Christi beiträgt. Auch mittelalterlich-kirchenrechtliche („Quod omnes tangit, ab omnibus tractari debet“, ein Prinzip aus der Ordens- und sogar römisch-kurialen Tradition) und allgemein ekklesiologische Überlegungen wären vielleicht eine Brücke.

Vielleicht könnten auch Anleihen in der östlich-orthodoxen Ekklesiologie helfen, die mehr pneumatologisch geprägt ist, während die westliche eher christologisch begründet wird (vgl. die Titel der Dogmatischen Konstitutionen der beiden vatikanischen Konzilien „Dei filius“ und „Lumen gentium“, die beide Christus meinen). Sollte hier die innere Verbindung von Kirche und Heiligem Geist uns nicht noch mehr bewusst werden, wie dies im Credo zum Ausdruck kommt? Wohin geht der Weg? Zu einem Konziliarismus? Die Dokumente „Haec sancta“ und „Frequens“ des Konzils von Konstanz, die eine Überordnung des Konzils beziehungsweise von Synoden sogar über den Papst implizieren, sind im Westen nie allgemein rezipiert worden.
Im Zusammenhang der momentan geführten Debatte um Vollmacht, Macht und Ohnmacht in der Kirche fühle ich mich als Zisterzienser gewiss meiner eigenen Ordenstradition verbunden. In seinem Spätwerk, dem „Papstspiegel“, „Über die Besinnung an Papst Eugen III.“ schreibt der heilige Bernhard von Clairvaux, dass er für seinen ehemaligen Schüler auf dem Stuhl Petri „kein Gift und kein Schwert mehr [fürchtet,] als die Herrschsucht“. Das entspricht ja durchaus dem Beispiel Jesu, wie wir es aus vielen Worten und Taten des Herrn kennen, der seine Jünger ausdrücklich vor Karrieredenken und unreflektierter Amtsausübung gewarnt hat.

Dementsprechend mahnt Papst Franziskus immer wieder die kirchlichen Amtsträger, sich vor Prestige- und Karrieredenken zu hüten. Der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding gab zu bedenken: „Die Vollmacht Jesu ist die Macht der Wahrheit Gottes, die zu bezeugen er in die Welt gekommen ist. Im Zeugnis Jesu für die Wahrheit meldet Gott selbst seinen Anspruch auf die Menschen-Welt an. Dieser Anspruch ist verbindlich, weil er von Gott stammt. Er ist legitim, weil er den Menschen das Leben schenkt. Er ist überzeugend, weil er der Anspruch der Liebe ist.“

Das Wort „Christ“ existiert nur im Plural

Die ersten Christen nannten sich Anhänger des „Weges“ Jesu Christi. Im Römerbrief (Röm 12,3) schreibt Paulus vom „Maß des Glaubens“ (das Vaticanum II spricht in DH 14,3 vom „Maß der Gnade“), das Gott jedem Menschen „zugeteilt“ habe und davon, dass er sich durch die Begegnung mit der ihm unbekannten Gemeinde erhoffe, dass sein und ihr Glaube füreinander und miteinander gestärkt werde.

Die Kirche sei der Ort, erklärt Papst Gregor I. um das Jahr 600, in der „der eine den anderen trägt und jeder vom anderen getragen wird“ (vgl. Gal 6,2). In diesem Sinn war es immer das Anliegen der großen Konzilien, Entscheidungen nur dann herbeizuführen, wenn auch alle tatsächlich zustimmen können.

Konzilien, auf denen eine Mehrheit eine Minderheit majorisierte, führten in der Regel zu Kirchenspaltungen. Joseph Ratzinger drückt das so aus: „Wenn die Mehrheit – wie etwa im Fall des Pilatus – immer recht hat, dann muss das Recht mit Füßen getreten werden. Dann zählt im Grunde zuletzt die Macht des Stärkeren, der die Mehrheit für sich einzunehmen weiß.“

Der einzige Herr der Kirche: Jesus Christus

Christ ist ein plurale tantum, ein Wort, das nur im Plural existiert. In der Patristik gab es das entsprechende Diktum: „unus christianus, nullus christianus“, ein Christ, wenn er alleine bleibt, oder seine eigenen Interessen gegen alle anderen durchsetzen will, oder unter Umständen nur seine eigene Meinung gelten lässt, ist kein Christ. Die anderen Christen sind für uns Bewährungsort unseres Glaubens, so wie vielleicht wir für die anderen wichtig sind als Bewährungsort ihres Glaubens.

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Grundsätzlich ist aber festzuhalten, dass der einzige Herr der Kirche Jesus Christus ist. Das Christentum ist eine Offenbarungsreligion, der ihre Wahrheit von Gott in Jesus Christus geoffenbart wurde. Das geschieht immer noch, wie es die Abschiedsreden des Johannesevangeliums ausdrücken, durch den von Jesus verheißenen Geist, der in die volle Wahrheit einführt, und nicht durch bloß menschliche Übereinkünfte und Abstimmungen.

Ein Indiz, dass ein konkreter Beschluss einer Synode tatsächlich durch den Heiligen Geist sanktioniert ist, zeigt sich durch seine Früchte (Gal 5,22): Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung. Ich möchte gerade jetzt mit einem Wort Joseph Ratzingers schließen: „Diese Gestalt der Kirche haben nicht wir gemacht, sondern sie ist von Ihm her konstitutiv. Dem zu folgen ist ein Akt des Gehorsams, eines in heutiger Situation vielleicht mühsamen Gehorsams. Aber gerade dies ist wichtig, dass die Kirche zeigt: Wir sind kein Willkürregime, wir können nicht machen, was wir wollen. Es gibt einen Willen des Herrn für uns, an den wir uns halten, auch wenn dies in dieser Kultur und Zivilisation mühsam und schwierig ist.“

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Die Lösung liegt in der Treue zum Herrn

Mit dem Herrn übereinzustimmen fiel schon den Aposteln schwer, wenn sie nach seinen Leidensankündigungen darüber diskutierten, wer von ihnen der erste sei. Diese Machtkämpfe haben ihre Läuterung im Kreuz bekommen. In der Kirchengeschichte bis heute hört dieser Rangstreit nicht auf und macht auch vor Laiengremien nicht halt.

Die einzige Lösung ist die Treue zum Herrn, die die Märtyrer und Heiligen der Kirchengeschichte uns vorlebten. Sie bilden die eigentliche diachrone Mehrheit, denn in einer konkreten Zeit kann es sich durchaus ereignen, dass, wie zur Zeit des heiligen Athanasius geschehen, die Mehrheit vom Glauben abirrt. Wer ist heute die „sanior pars“, der heilere Teil, der wie die Heiligen der geoffenbarten Wahrheit treu bleibt? Unterdrückung und Machtmissbrauch (vgl. Mk 10,42-45) diskreditieren die Macht der Liebe Christi, die uns im Kreuz erlöst.

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