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Schwarz-Rot: Die alte BRD träumt von der rettenden Insel

Das Bündnis zwischen Union und SPD ist das kleinste Übel. Angesichts der internationalen Krise muss Deutschland schnell eine handlungsfähige Regierung haben. Ob es aber noch zu einem echten Politikwechsel kommt, gar in der Gesellschaftspolitik, das bleibt erst einmal offen.
Borius Pistorius und Friedrich Merz
Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur (www.imago-images.de) | Sitzen wohl bald im selben Boot: SPD-Verteidigungsminister Borius Pistorius und der wahrscheinlich künftige Bundeskanzler Friedrich Merz.

Das Staatsschiff Deutschland droht außer Kurs zu geraten. Es ist noch nicht gekentert, aber das Steuer scheint führungslos. Mal dreht es sich mit Schwung nach links, dann nach rechts. Das Meer wogt, die Wellen werden immer größer, starke Winde blasen in die Segel, aus Russland, aus China, aus den USA.

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Die Befragung der Besatzung darüber, wer denn in dieser Situation am besten den Kompass lesen kann, hat nun einen neuen Kapitän auf die Brücke befördert. Aber ganz alleine kann er das Steuer nicht übernehmen, er braucht Unterstützung, Partner. Da erspäht er eine rettende Insel – aber bietet sie wirklich den sicheren Hafen, an dem das Schiff vor Anker gehen kann und die Besatzung endlich mal wieder festen Boden unter die Füße bekommt?

Mit einem blauen Auge davongekommen

Es wäre doch so schön – das ist die Grundstimmung, die im Moment große Teile zumindest Westdeutschlands erfasst. Eines Westdeutschlands, das tendenziell über 50 ist und in eher arrivierten Verhältnissen lebt. Zur rettenden Insel soll ein Parteienbündnis werden, das in den goldenen Jahren der alten Bundesrepublik „groß“ genannt wurde, das heute aber einfach nur eine Koalition wäre: Schwarz-Rot. Allerdings ist das ein Bündnis, das zumindest ein Stabilitätsversprechen geben könnte. Ob es das auch tatsächlich einhalten kann, wird sich schon schnell zeigen.

Zumindest ist es aber nicht mit der Hypothek belastet, die die sogenannte „Kenia-Koalition“ aus Union, SPD und Grünen, die bis in die Nacht hinein noch denkbar schien, gleich schon bei ihrer Geburt mit dem Makel „Wortbruch“ belastet hätte. CDU und CSU hätten sich trotz anderer Versprechungen auf die Grünen zubewegen müssen, die für ihr Kernklientel der politische Hauptgegner sind. Doch als heute Morgen gegen halb fünf mit dem amtlichen Wahlergebnis auch klar war, dass Sahra Wagenknechts BSW nicht in den Bundestag einzieht, da war auch diese Option vom Tisch. „Sind wir doch noch einmal davongekommen“, mag mancher Stratege im Adenauer-Haus gedacht haben.

Doch jetzt hängt alles an einer Verliererin dieser Wahl, der SPD, die sich zwar gerne „alte Tante“ nennen lässt, aber es gerade nicht schafft, aus der Tatsache, dass es sie schon immer gab, Souveränität und Gelassenheit abzuleiten. Stattdessen durchlebt die deutsche Sozialdemokratie eine Art Midlife Crisis, es ist in ihrer langen Geschichte mindestens schon die vierte, die sie an ihrer Identität zweifeln lässt. Die SPD weiß nicht so recht, soll sie endlich wieder solide werden, vielleicht sogar ein bisschen bieder. Oder doch lieber die Marx-Engels-Gesamtausgabe aus dem Bücherschrank holen und lernen, wie man Revolution buchstabiert – die Linkspartei macht es doch vor.

Der Stolz auf die eigene Geschichte kann auch zur Last werden

Und der Stolz auf die eigene Geschichte kann auch zur Last werden: Das heroische Verhalten der Sozialdemokratie angesichts des beginnenden nationalsozialistischen Terrors, als deren Reichstagsfraktion als einzige Partei gegen das „Ermächtigungsgesetz“ stimmte, sichert ihr einen Ehrenplatz in der deutschen Geschichte. Die Worte von Otto Wels damals – „Das Leben könnt ihr uns nehmen, die Ehre aber nicht.“ – sind seither zu einer Art sozialdemokratischen Credos geworden. Auch das verdient Respekt. Nur leider neigen SPD-Funktionäre auch dann zum Wels-Sound, wenn die Demokratie gar nicht in Gefahr ist. So war es bei der Debatte im Bundestag zum Vorstoß der Merz-CDU in der Migrationspolitik. Da sprach der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich vom „Tor zur Hölle“, das sich aufgetan habe. Und ähnlich klang es dann auch Wochen danach bei den vielen „Demos gegen rechts“, bei denen es vor allem natürlich gegen die Union ging.

Gelingt es der SPD, hier so schnell emotional abzurüsten? Hat sie denn noch wirklich mehr als ihre moralistische Hybris, was hält sie sonst emotional zusammen? Kann sie wirklich auf die Geschichtspolitik verzichten, die ihre Deutungshoheit sichert? Aus dieser Perspektive müsste der SPD ein Bündnis mit der Union so empfinden, als stiege sie mit dem Feind ins Bett.

Aber dann gibt es auch diejenigen in der Partei, die auf die Fakten schauen: Diese moralistische Attitüde verschafft ihr zwar Pluspunkte bei ein paar Oberstudienräten und der „Bionade Bourgeoisie“, die aber wählen, wenn es drauf ankommt, dann doch lieber Grün. Die Arbeiterpartei ist die SPD längst nicht mehr, den Status hat die AfD übernommen. Das muss vor allem die Sozialpolitiker schmerzen, die aus ihrer Sicht – zum Beispiel das Bürgergeld – in der vergangenen Legislaturperiode viele Erfolge erzielt haben. Nur die umworbene Klientel zeigte ihnen die kalte Schulter und schimpfte lieber unter blauer Dunstglocke am Stammtisch über die schlechte Ampel-Migrationspolitik.

Wie die Union die SPD am besten ködern kann

Die Union kann daher die SPD am besten ködern, wenn sie ihr Zugeständnisse in der Sozialpolitik macht. Damit bringt man das rote Herz zum Bumpern. Im Gegenzug – Mützenich, Scholz, wahrscheinlich auch Saskia Esken sind bald Geschichte – gibt es dann Zugeständnisse in der Migrationspolitik. Hier kann sich Friedrich Merz kein Einknicken leisten, ohne jede Glaubwürdigkeit zu verlieren. Im Zweifel wäre für den CDU-Chef dann die Minderheitsregierung die bessere Alternative.

Aber so weit ist es noch nicht. Merz, der trotz seines wirtschaftsliberalen Rufs auf der handwerklichen Ebene mit der SPD ganz gut kann, und auch Markus Söder sehen grundsätzlich einer Koalition mit den Sozialdemokraten positiv entgegen   – man darf nicht vergessen, die CSU hat mit ihrer Sensibilität für die Bedürfnisse der „Leberkäs-Etage“ nicht ohne Grund das „S“ im Namen. Merz muss aber auch wissen, dass er der SPD nicht zu viel Verhandlungsspielraum geben darf. Jetzt wird er beweisen können, ob er nur ein in schwarze Wolle gefärbter Wirtschaftsliberaler ist oder doch ein Christdemokrat mit klassischem Kompass: Bleibt er in der Position zum Paragraphen 218 klar? Wie geht es mit dem sogenannten „Selbstbestimmungsgesetz“ weiter? Es könnte sogar sein, dass einer pragmatischen Sozialdemokratie die Puste für weitere Kulturkämpfe ausgeht. Man kann nicht an zu vielen Baustellen gleichzeitig malochen. Wirtschaft ist wichtiger als Gesellschaftsumbau.

Und genauso wichtig ist natürlich die Sicherheit. Das erklärt, warum nach Umfragen gut die Hälfte aller Deutschen für Schwarz-Rot plädiert. Auch sie hoffen darauf, dass im tobenden Meer der internationalen Krisen eine stabile deutsche Regierung eine sichere Insel darstellt. Der kommende Bundeskanzler wird so außenpolitisch sein müssen wie vielleicht keiner seiner Vorgänger seit Konrad Adenauer. Europa muss sich international neu aufstellen, und ein zentraler Part kommt dabei Deutschland zu. Bei der Sehnsucht nach der alten „Großen Koalition“ mag bundesrepublikanische Nostalgie mitschwingen, aber klar ist auch: Hier wird eine neue Zeit gestaltet. 

Schwarz-Rot kann nur eine Übergangsregierung sein

Genau deswegen kann Schwarz-Rot aber auch nur eine Übergangsregierung sein: Der Notstand innen wie außen verleiht ihr Notwendigkeit. Aber sie kann nur eine Option auf Zeit sein. Die sichere Insel wird von blauen, grünen und gelben „Piraten“ umsegelt. Das Bündnis wird beiden Seiten Kompromisse abverlangen. Und am Ende gibt es immer welche, die mit diesen Kompromissen nicht leben können. Sie springen ins Wasser, und solchen „Schiffbrüchigen“ geben die anderen Parteien gerne Obdach. Vom blauen Schiff aus werden dann besonders viele Rettungsboote in See stechen, falls Union und SPD keinen Politikwechsel in der Migrationsfrage schaffen. Aber auch Grüne und FDP werden auf Insel-Flüchtlinge hoffen. Am Ende aber kann es auf der Insel noch so gut laufen – wenn aus Russland, China oder den USA ein Sturm aufzieht, kann sehr schnell alles verhagelt sein.           

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