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Horst Lange: Ein Borderliner sucht die Konfrontation mit Nationalsozialisten

Der Schriftsteller Horst Lange schuf in dunkler Zeit ein großes Werk. Überlebt hat er durch die Solidarität seiner Kollegen und durch innere Emigration. Zu seinem 50. Todestag.
Horst Lange, Schriftsteller
Foto: IN

Am 6. Juli 1971 stirbt von Krankheit, von Verwundung, vom Leben, vom Schreiben ausgezehrt nahezu vergessen der Schriftsteller Horst Lange in München. Sein Hauptwerk, der Roman „Die schwarze Weide“ wird bei Erscheinen 1937 euphorisch gefeiert; Wolfgang Koeppen bezeichnete das Buch als „bedeutendste epische Aussage der Hitlerzeit, die mit dieser Zeit selbst nichts zu tun hatte“. Der Feuilletonist Raimund Pretzel, der wenig später ins Exil nach England geht und sich dort Sebastian Haffner nennt, bezeichnet mit Blick auf den Roman Horst Lange als einen „Dichter europäischen Ranges“. Im Berliner Tageblatt ergänzt Kurt Kron: ein „deutscher Roman muss notwendig ein europäischer und ein Weltroman sein.“

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Man musste die Chiffren lesen könne, um zu verstehen

Die Schriftsteller und die Leser, die damals die Nationalsozialisten ablehnen, verstehen sofort, dass Kron damit den Chauvinismus der Nationalsozialisten unterläuft, denn gemeint ist, dass ein Roman nur dann ein deutscher Roman sein kann, wenn er europäische und weltliterarische Standards erfüllt und eben nicht den provinziellen Vorgaben der Nationalsozialisten zu entsprechen sucht. Gefragt ist nicht nur eine Unabhängigkeit, sondern zugleich die durch das Schreiben, durch die literarische Praxis erfolgte Verteidigung ästhetischer Standards.

Horst Lange, aber auch Elisabeth Langgässer, Werner Bergengruen, Friedo Lampe, Günter Eich, Peter Huchel, Ernst Keuder, Hans Erich Nossak, Felix Hartlaub und Wolfgang Koeppen, um nur einige zu nennen, bilden einen Kreis von Schriftstellern, den man später die innere Emigration nennen wird.

Die Generation der Schriftsteller, die zwischen 1901 und 1908 geboren werden, die ihre Kindheit vornehmlich während des Ersten Weltkrieges und in den ersten Jahren der Weimarer Republik verbringen, die ab Mitte der 20er Jahre zu schreiben beginnen und schließlich in den beginnenden dreißiger Jahren am Anfang ihrer künstlerischen Karriere stehen, geraten im Grunde in der Literaturgeschichte in Vergessenheit, auch weil sich die Vorstellung des kulturellen Kahlschlags durchsetzt, der mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verbunden wird. Diese Vorstellung ist nicht aus der Luft gegriffen, denn schließlich veranstalten die Nationalsozialisten die Bücherverbrennung, mit der ein wichtiger Teil der Literatur verboten wird. Zudem werden jüdische Schriftsteller vertrieben, eingesperrt oder ermordet. Aber es gelingt den Nationalsozialisten nicht, die Gesamtheit des literarischen Betriebes gleichzuschalten, was an dem Widerstand der Schriftsteller, Verleger, Lektoren und Redakteure liegt – und die sich häufig solidarisch untereinander verhalten. Gerade ein Autor wie Horst Lange, den ein Borderline Syndrom treibt, der immer wieder die Gefahr sucht, hätte ohne die Hilfe der Freunde und derjenigen, die sein Werk schätzen, nicht überlebt.

„Die Landschaft, nur wenig über den Meeresspiegel liegend,
feucht und moorig, mit unterirdischen Strömungen,
voller Schilf und Weiden, hat ihn geprägt“

Am 6. Oktober 1904 kommt Horst Wilhelm Ernst Max Lange in der Kaserne des Königsgrenadierregiments Nr. 7 in Liegnitz, in Niederschlesien zur Welt. Der Vater dient im Rang eines Vizefeldwebels als Regimentsschreiber, die Mutter ist eine Putzmacherin „von anmutiger Schönheit“, wie Horst Langes Frau, Oda Schaeffer, im Lebensbild ihres Manns schreibt. Von der Mutter, meint Oda Schaeffer, kam die lyrische, vom Vater die erzählerische Begabung. Eine Episode, die der Vater dem Sohn aus seinem Leben erzählt, bildet später den Ausgangspunkt für den zweiten Roman, für die „Ulanenpatrouille“. Unabhängig davon wächst das Kind in der Männerwelt der Kaserne auf und bei seinen Großeltern mütterlicherseits in der kleinen Stadt Birnbaum an der Warthe in der Provinz Posen. Langes Tante Wanda heiratet einen polnischen Förster. All das, die Landschaft an der Warthe und die beiden Welten des preußischen Protestantismus schlesischer Prägung und des östlich beeinflussten Katholizismus werden für Langes Werk bestimmend. Oda Schaeffer schreibt zurecht: „Die Landschaft, nur wenig über den Meeresspiegel liegend, feucht und moorig, mit unterirdischen Strömungen, voller Schilf und Weiden, hat ihn geprägt. Sie war dunkel und lieblich zugleich, darunter lag das Gestein, aus dem die leuchtende Druse schoss.“

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Mit seinem Vater versteht sich Horst Lange nicht, er büxt mit 16 Jahren aus zu einem Onkel, der im Bauhaus arbeitet. Hier begegnet er László Moholy-Nagy, Paul Klee und Walter Gropius, der dem malerisch Talentierten davon abrät, Maler zu werden, aber dessen literarisches Talent entdeckt.

Der Protagonist zertritt die faszinierende Spinne

Langes schriftstellerischer Stil wird genau von jener malerischen Naturbeobachtung geprägt sein, von bildhaften und detailreichen Naturschilderungen leben, wobei die Schilderung der Natur niemals zum Selbstzweck gerät, sondern Teil der erzählten Welt ist, und von jenem Gesellschaftlichen, das wiederum von Trieben und Mythen, von Unterströmungen bestimmt wird und sich im Natürlichen widerspiegelt. Sein bedeutendster Roman: „Die schwarze Weide“ beginnt damit, dass die Hauptfigur als Gymnasiast im Wipfel eines Apfelbaumes sitzt und darüber nachdenkt, „dass innen, durch meinen Leib, gleichwie in allen Lebendigen: in Bäumen, Gräsern und Früchten, die Säfte kreisen, die das Leben nähren.“ Die Betrachtung des Spinnennetzes, in dem sich ein Insekt verfangen hat, wird ihm zum Bild des Lebens. Aber der Jüngling, der von der dicken Spinne, die sich auf das Insekt hin bewegt, wie hypnotisiert ist, zerreißt schließlich das Netz und zertritt die Spinne.

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In dem Dorf, in dem er seine Ferien beim Onkel verlebt, wird seine erwachende Sexualität mit den dumpfen und triebhaften Unterströmungen der Dorfgemeinschaft konfrontiert. In der Nacht suchen ihn Visionen heim, in denen der reichste Bauer des Dorfes ermordet wird. Als der Bauer tatsächlich einem Mord zum Opfer fällt, fühlt sich der Gymnasiast schuldig, weil er den Bauern nicht gewarnt hat. Nach dem Mord reist er nach Hause und kehrt er erst nach zehn Jahren wieder in den Ort zurück, findet seine große Liebe wieder, die er für verloren glaubte, und erlebt, wie der Mörder, der heimtückische Gastwirt, der die Bewohner des Dorfes durch seine irrationalen Tiraden in religiösen Fanatismus treibt, in den Wassern der Schwarzen Weide schließlich seinen Tod findet. Die Gestalt des Gastwirtes versah Lange in seiner Demagogie und seinen hysterischen Reden mit Zügen Adolf Hitlers, was dem sensibilisierten Leser nicht verborgen blieb. In diesen Passagen zeigt sich eine Verwandtschaft zu Thomas Manns sieben Jahre zuvor publizierter Novelle „Mario und der Zauberer“.

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Auf der Suche nach einer stabilen Ordnung

1940 wird Horst Lange eingezogen und erlebt den Krieg im Osten. Davon erzählt sein höchst bemerkenswertes Kriegstagebuch, aber auch die Erzählung „Leuchtkugeln“. Der Schriftsteller wird schwer verletzt und in der Folge erblindet sein linkes Auge. Die Folgen der Verletzung lähmen immer stärker seine Schaffenskraft. An die Romane „Die schwarze Weide“, „Die Ulanenpatrouille“, an die Erzählungen kann er im Grunde nicht mehr anschließen und gerät schon bald in Vergessenheit, und in Vergessenheit stirbt Horst Lange nach Blutstürzen verursacht von einer Leberzirrhose.

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Horst Lange suchte nicht nur die Gefahr, sondern die Gefahr fand ihn auch, zuweilen entging er nur knapp der persönlichen Katastrophe, war es nur Glück oder die Hilfe von Freunden oder von Leuten, die sein Werk schätzten, dass er Konzentrationslager, Gefängnis oder Strafbataillon entging. Gleichzeitig suchte er nach einer Stabilität, nach einer Ordnung. Umso stärker die Ordnung zerbrach, die Zerstörung der Gesellschaft um sich griff und Chaos sich ausbreitete, arbeitete er an einer neuen Klassizität, vom Chaos weg, sehnte er sich nach der Ordnung des Kosmos.

In seiner Bildhaftigkeit, in seiner erzählerischen Rücksichtslosigkeit, in seiner Genauigkeit und in der Fähigkeit, die nur im Denken getrennten Bereiche von Natur und Gesellschaft als einzige Existenz zu erzählen, ist Horst Lange gerade in „Die schwarze Weide“, aber nicht nur dort einer der großen deutschen Erzähler, die einer Wiederentdeckung harren.

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