Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Zum Tod Benedikts XVI.

Der Papst meines Lebens

Wie Joseph Ratzinger zum Begleiter auf dem Weg in die katholische Kirche wurde. 
Papst BENEDIKT XVI betete vor dem Schrein der Heiligen Drei Koenige im Dom zu Koeln Der Papst bes
Foto: Thomas Imo/photothek.net (imago stock&people) | Verkünder des Evangeliums, reumütiger Beter, großartiger Katechist: Benedikt führte viele Menschen zum katholischen Glauben.

Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“ – Joseph Kardinal Ratzinger/Papst Benedikt XVI.

Der Heilige Vater, ein Großinquisitor?

Das Jahr 2005: Joseph Kardinal Ratzinger war gerade Papst geworden und ich war noch nicht katholisch. Ich dachte damals noch, Jesus Christus sei ein netter Mensch aus Galiläa gewesen, die Evangelien eine plumpe Fälschung, Dan Brown ein origineller Denker und der Heilige Vater ein Großinquisitor.

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Die Einschätzungen in der deutschen Presse zum neuen Pontifex waren, sieht man einmal von der euphorisierten Bild-Schlagzeile „Wir sind Papst!“ ab, verhalten. Wie sollte auch Benedikt, der deutsche Gelehrte, gegen den Charme und die mitreißende Verve seines Vorgängers bestehen können? Die Italiener, in Sachen amore ein jederzeit zum Bekenntnis bereites Völkchen, hielten hingegen am Tag seiner Wahl Transparente mit der Aufschrift „Wir lieben dich schon jetzt!“. Dieser unbedingte Wille zur Liebe imponierte mir allerdings.

Ein ernst gemeintes "Bellissimo"

Was sahen sie in Joseph Ratzinger, das ich noch nicht sehen konnte? An einem schönen Frühlingstag, ich war gerade bei meinem italienischen Schlosser, um das Gerüst für eine Pergola zu besprechen, bekam ich einen entscheidenden Hinweis. In der Werkstatt hing eine Postkarte mit einem lächelnden Benedikt. „Oh, Benedetto!“, sagte ich, auf die Karte zeigend. Wäre es eine Autogrammkarte von Michael Schumacher gewesen, der damals noch für Ferrari fuhr, hätte ich eben „Oh, Michael Schumacher!“ gesagt. Lenkte man als Deutsche das Gespräch auf den einen oder anderen, schaffte das Gemeinsamkeit.

Man hätte sich jetzt wieder der Pergola für meine Rosen zuwenden können, aber mein Schlosser war ein Fan. Er erklärte mir nicht nur stolz, dass er die Bildkarte direkt von einer Pilgerfahrt nach Rom mitgebracht habe, sondern er stieg auch auf einen Hocker, um sie herab zu holen. Vorsichtig nahm er sie in seine schwieligen, mit Ruß und Öl befleckten Hände, damit ich den lächelnden Papst genauer betrachten konnte. „Il Papa“, sagte er zärtlich und strahlte mich dabei an. „So ein schönes Foto von ihm! Dieses Lächeln! So liebenswürdig und gütig!“ Meine Standardantwort für schwärmende Italiener lautet „Bellissimo!“. Es ist der Superlativ. Mit einigem Enthusiasmus ausgerufen, kann man als Deutsche rein gar nichts damit falsch machen in Italien. Ich rief also „Bellissimo!“. Und diesmal meinte ich es auch so.

Mut, von der Liebe noch alles zu fordern

Dabei war mein Interesse längst geweckt: Wer war dieser Mann wirklich? Ich gewöhnte mir an, den Angelus im Radio mitzuhören, las die Katechesen, Predigten, verschiedene Bücher des Papstes. Ich entdeckte Ratzinger, den brillanten Theologen, und Benedikt, den geistlichen Führer, dessen Verkündigung klar und transparent auf jenen weist, den er nach römisch-katholischer Auffassung hier auf Erden vertritt.

Einen Mann, der seinen Glauben an Gott vernünftig begründen und intellektuell rechtfertigen kann. Mehr noch, einen poetischen Dogmatiker oder gar einen dogmatischen Poetiker:  „...die Narrheit des Wahren heiteren Herzens ohne Abstrich zu wagen, scheint mir die Aufgabe für heute und morgen, der wahre Kern des Weltdienstes der Kirche.“ Sollte Joseph Ratzinger auf den Spuren des großen Bohumil Hrabal wandeln, dem wilden Poeten des Wunderbaren der Tschechen, ihrem sanften Sänger des Skurrilen?

Der Liebe einen wahrhaftigeren Abglanz des Göttlichen geben

„Nur die Augen des Herzens verstehen die Erfordernisse einer großen Liebe, die fähig ist, die Totalität des Menschseins zu erschöpfen“, schrieb nicht etwa Saint-Exupéry, sondern Benedikt zum vierzigsten Jahrestag der Veröffentlichung von „Humanae vitae.“ Als einer, der den Mut aufbringt, von dem weithin missbrauchten menschlichen Begriff von Liebe noch alles einzufordern. Ein unheilbarer Romantiker und Idealist, der Liebe mit Treue gleichsetzt.

Tatsächlich haben wir doch schon immer tief in uns gespürt, dass Sex ohne Liebe so trostlos wie die Hölle ist. Ein Mann, der daran glaubt, dass Gott die Liebe ist – „Deus caritas est“ – und deshalb denkt, dass sich die Menschen doch ein bisschen mehr bemühen könnten, um dem, was sie sonst so Liebe unter sich nennen, einen wahrhaftigeren Abglanz des Göttlichen zu geben.

Aus der Finsternuis ins Licht geführt

Es war eine aufregende Zeit. Die Pilatus-Zeit meines Lebens – Was ist Wahrheit? – hatte vierzig Jahre lang gedauert. Jetzt fühlte ich mich wie der Mensch in Platos Höhlengleichnis, den man aus der von Schemen erfüllten Düsternis ins Licht führt. Der Mensch, der den ersten Schritt aus Platos Höhle tut, wird die Augen in einem Reflex so fest wie möglich schließen. Doch er kann den Blütenduft und das Aroma von Kräutern riechen, das der laue Wind mit sich trägt. Er hört den Gesang der Vögel, das Summen und Brummen der Insekten.

Vielleicht geht er in die Knie, tastet nach der Wärme dunstenden, tragenden und duftenden Erde. Die Strahlkraft der echten Sonne erwärmt ihm zuerst Scheitel und Kopf, flutet vor in Richtung Herz und erfüllt ihn schließlich ganz. Er hat die Augen noch geschlossen, aber die Finsternis mit ihren blassen Schemen ist gewichen und er kann mehr und intensiver wahrnehmen als jemals zuvor in seinem ganzen Leben.

Mit Benedikt XVI. zum Glauben

Gleichsam an der Hand des Heiligen Vaters wagte ich Schritt um Schritt. Ich erkannte, dass die Wahrheit elegant, einfach und schön sein müsse, und Jesus Christus wirklich und wahrhaftig Gottes Wunder wirkender und auferstandener Sohn. Zu seinem achtzigsten Geburtstag gab der Papst uns mit seinem „Jesus von Nazareth“ mir, uns allen, endlich den ganzen, den glaub-würdigen Jesus Christus zurück, den die historisch-kritische Methode schon derart nachhaltig dekonstruiert hatte.

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Der Professor auf dem Papstthron hatte es gleich zu Beginn schon ordentlich krachen lassen: Zum Weltjugendtag in Köln 2005 wurde mit über einer Million Teilnehmern die bislang größte heilige Messe in Deutschland gefeiert. Über die alles verwandelnde Kraft der Eucharistie sagte er auf dem Marienfeld: „Gewalt wird in Liebe umgewandelt und so Tod in Leben. Weil er den Tod in Liebe umformt, darum ist der Tod als solcher schon von innen her überwunden und Auferstehung schon in ihm da. Der Tod ist gleichsam von innen verwundet und kann nicht mehr das letzte Wort sein. Das ist sozusagen die Kernspaltung im Innersten des Seins – der Sieg der Liebe über den Hass, der Sieg der Liebe über den Tod.“

Aus Eklat wird ökumenischer Dialog

2006 hielt er die „Rede des Jahres“ in Regensburg – ich war noch nicht katholisch, aber ich lernte überraschend schnell katholisch beten, als weltweit Papstpuppen brannten und der Heilige Vater kurz darauf seine gewagte Reise in die Türkei antrat. Gemeinsam bangte ich mit den Katholiken um ihren Heiligen Vater, gemeinsam staunten wir über die bezwingende Kraft der furchtlosen und demütig vorgetragenen Vernunft. Aus dem Eklat erwuchs schließlich der historisch einmalige Dialog mit über einem Hundert muslimischer Gelehrter, der bis heute andauert.

2007 kam „Summorum Pontificum“, die Antwort eines Hardrockers auf das um sich greifende Phänomen der Kumba Ya-Messen. Dem ordentlichen Ritus verhalf er durch ein paar einfache praktische Maßnahmen zu neuem liturgischen Glanz. Wir konnten endlich die Augen wieder emporheben, in die Höhe, über uns selbst hinweg. Bis hinein ins All und darüber hinaus. Denn: „Jede Liturgie ist kosmische Liturgie, Heraustreten aus unseren armseligen Gruppierungen in die große Gemeinschaft, die Himmel und Erde umspannt. Das gibt ihr ihre Weite, ihren großen Atem. Das macht jede Liturgie zum Fest. Das macht unser Schweigen reich und fordert uns zugleich heraus, jenen schöpferischen Gehorsam zu suchen, der uns die Fähigkeit gibt, in den Chor der Ewigkeit einzustimmen.“ Tatsächlich, ein wilder Poet des Wunderbaren!

Benedikt sprach mit "Sündern und Zöllnern"

Vor über einem Jahr dachte dieser Mann, es sei eine gute und ausgesprochen christliche Idee, Barmherzigkeit walten zu lassen gegenüber einem Trüppchen versprengter, mit dem Verlust des ewigen Seelenheils bedrohte Desperados und sich nach dem Vorbild desjenigen, den er hier auf Erden vertritt, mit ihnen an einen Tisch zu setzen (Matthäus 9, 9-13).

Die Reaktion der Öffentlichkeit, so verständlich sie angesichts des überflüssigen Stammtischgefasels eines geschichtsvergessenen „Bischofs“ war, brach alle bisher vorstellbaren Dimensionen. Eine ansonsten von Inklusivität und Antidiskriminierungswillen bis zur Selbstauflösung besessene Gesellschaft verlangte von dem deutschen Papst, bloß nicht mit den Schmuddelkindern zu spielen. Die Tatsache, dass sich unter den Sündern und Zöllnern in diesem Fall auch veritable Pharisäer versteckten, machte den innerkirchlichen Umgang damit nicht viel leichter.

Ein Regenbogen über Auschwitz

Die Anfragen an einen Papst, der immerhin 2005 als erster Papst überhaupt eine deutsche Synagoge in Köln besucht und dort jede Form von Rassismus und Antisemitismus klar verurteilt hatte –  nicht zum ersten und letzten Mal –, dessen Ansprache in Auschwitz von einem Regenbogen überglänzt war, empfanden nicht nur Katholiken als grotesk. Während der Nahostreise im Mai 2009 besuchte er auch Yad Vashem.

Der Heilige Vater hat Leid und Entsetzen, Trauer und Scham ausgedrückt, er hat Raum für die Stille gelassen und er hat in der ewigen und unvergänglichen Sprache der Psalmen dort gesprochen, die geistliche Brücke zwischen Judentum und Christentum, eine Brücke, die geeignet sein kann, auch unüberwindlich erscheinende Gräben voller Zuversicht anzugehen. „Mögen die Namen dieser Opfer niemals ausgelöscht werden! Mögen ihre Leiden niemals geleugnet, heruntergespielt oder vergessen werden!“, ermahnte er nachdrücklich und blickte dabei gewiss nicht nur auf einen Mann von mittlerweile trauriger Berühmtheit, sondern auch auf jeden einzelnen von uns.

Das zerknischte und reumütige Flehen Benedikts XVI.

Unvergesslich bleibt das Bild des in der Grabeskirche betenden Stellvertreters Christi. Die Worte, die er dort fand, haben nicht nur Gültigkeit für die Kirche im Heiligen Land, sondern ganz aktuell für die Weltkirche: „Ich bete, dass die Kirche im Heiligen Land stets neue Kraft aus der Betrachtung des leeren Grabes des Heilands schöpfen möge. Sie ist gerufen, in diesem Grab all ihre Angst und Furcht zu begraben, um jeden Tag wieder aufzustehen und ihren Weg durch die Straßen von Jerusalem, Galiläa und darüber hinaus fortzusetzen und dabei den Triumph der Vergebung Christi und die Verheißung neuen Lebens zu verkünden.“

Mit den Opfern von Missbrauch durch katholische Geistliche traf sich der Papst 2008 auf seiner Reise in die Vereinigten Staaten. Kurz davor hatten Missbrauchsskandale auch die irische und zuletzt die deutsche Ortskirche erschüttert. Die Erwiderung Gottes auf das zerknischte und reumütige Flehen eines gewissen Kardinal Ratzingers während der Via Crucis im Jahre 2005? „Wie viel Schmutz gibt es in der Kirche und gerade auch unter denen, die im Priestertum ihm ganz zugehören sollten? Wie viel Hochmut und Selbstherrlichkeit? ... Herr, oft erscheint uns deine Kirche wie ein sinkendes Boot, das schon voll Wasser gelaufen und ganz und gar leck ist. Und auf deinem Ackerfeld sehen wir mehr Unkraut als Weizen. Das verschmutzte Gewand und Gesicht deiner Kirche erschüttert uns. Aber wir selber sind es doch, die sie verschmutzen. Wir selber verraten dich immer wieder nach allen großen Worten und Gebärden. Erbarme dich deiner Kirche: Auch mitten in ihr fällt Adam immer wieder. ... Heile und heilige deine Kirche. Heile und heilige uns!“

Benedikt war ein Draufgänger

Wenn eine Wunde wirklich heilen soll, muss sie bekanntlich erst umfassend gesäubert und schmerzhaft desinfiziert werden. In seinem zornigen und trauernden Hirtenbrief an die Kirche in Irland verwies er auch auf die Barmherzigkeit und Gnade Gottes, wie es seine Aufgabe als oberster Hirte ist. Auf die Möglichkeit der Heilung und Heiligung, die Reue und Vergebung voraussetzt. Eines aber hatte sich gezeigt: Der „Mozart der Theologie“ war als Papst ein veritabler Hardrocker: Er steuerte das Schiff nicht in den seichten Gewässern des Zeitgeistes und der bequemen Anpassung an die Forderungen und Gelüste, die die Menschen nun einmal so haben und ihnen gerade in den Sinn kommen. Mit ihm gibt es keinen kurzlebigen Basar der Beliebigkeiten. Benedikt war ein Draufgänger, einer, der für Gott und seine Kirche aufs Ganze geht.

Keiner, der sich selbst verkündigt. Sein Zeugnis ist radikal, weil Gott es von ihm verlangt. Weil es radikal sein muss, wenn er glaubwürdig sein will in seinem Amt. Leuchtturm des Heils in einer heillosen Welt muss er sein, einer, der einen Pfad bahnt für unsere tastenden Schritte, im Namen des Gekreuzigten und Wiederauferstandenen. Viel gäbe es noch zu sagen zu diesem Pontifikat, und viel Substanzielleres und Umfänglicheres wird noch gesagt werden. Vor mittlerweile vielen Jahren war ich noch nicht katholisch, ich glaubte nicht an Jesus Christus und Kardinal Ratzinger war ein Großinquisitor. Heute bin ich katholisch aus tieferer Überzeugung denn je, glaube an Jesus Christus und das Evangelium und danke unserem Heiligen Vater Benedikt, Gott schenke ihm ewige Ruhe!

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