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Michael Triegel: Gott neu sehen

Das Bild "Deus absconditus" (Der verborgene Gott) des Malers Michael Triegel ist der Pfarrei St. Matthias Schöneberg in Berlin als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt worden. Ende März wird das Bild der Öffentlichkeit präsentiert. Ein guter Anlass, um mit dem Maler über Gott und eine Kirche in der Krise zu sprechen .
"Deus absconditus", Michael Triegel
Foto: Martin Url | Maler Michael Triegel wird durch Aufträge aus der Kirche mit Gott konfrontiert. Er begibt sich auf die Suche - dabei entstand auch das Bild vom verborgenen Gott: "Deus absconditus".

Herr Triegel, Ihr Werk "Deus asbsconditus" (der verborgene Gott) wurde durch eine Stiftung der katholischen Berliner Pfarrkirche St. Matthias als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Das klingt nach einem ungewöhnlichen Ausstellungsort.

Ich finde es großartig, dass es in eine ganz normale Kirche gekommen ist. Für mich ist es ein großes Geschenk, dass dieses Bild nicht in einer Galerie oder einem Museum hängt oder in irgendeiner Privatsammlung verschwindet, sondern wirklich öffentlich ist, viele Leute es sehen und sich damit auseinandersetzen können. So hat es eine Verbindung zu einem Raum, in dem Glauben gelebt wird, der dort befragt wird. Das Gleiche wird ja in dem Bild gemacht. 

„Wir haben uns daran gewöhnt, sonntags im Gottesdienst
nur von Jesus als einem Bruder zu hören,
dem netten und lieben Kumpel, der mit uns den Weg geht.
Die Idee eines Christus Pantokrator oder eines Strafgerichts
ist uns vollkommen fremd geworden“

Das Bild "Deus absconditus" malten Sie in einer Zeit, als Sie sich dem Entschluss, sich taufen zu lassen, näherten. Hat sich in den Jahren seit Ihrer Taufe im Jahr 2014 etwas in Ihrem Blick auf Gott und den Glauben und an Ihrer Arbeitsweise verändert?

Die Entscheidung mich taufen zu lassen, hat lange gedauert. Unter anderem lag es daran, dass ich die Sorge hatte, durch dieses Bekenntnis fiele vielleicht ganz viel weg, was meine Arbeit bis dahin ausgezeichnet und was sie für mich so wichtig gemacht hatte.
 
Ich habe vorher schon einige Altäre gemalt, die mir immer noch sehr wichtig sind. Damals fragte ich die Auftraggeber: Warum kommt ihr zu mir? Ich bin das arme Heidenkind aus dem Osten und male eigentlich nur meine Sehnsüchte und Zweifel. Die Antwort lautete: Deshalb fragen wir dich ja. Wenn wir uns bloß in unserer Glaubensgewissheit bestätigen lassen wollten, dann bräuchten wir keine Kunst. Wir wollen gerade diesen Blick von außen.
Tatsächlich hatte ich Angst, dass das vielleicht für mich wegbrechen könnte. Aber ich stellte fest, das ist überhaupt nicht der Fall. Die Zweifel sind zum Teil geblieben und auch "die Sehnsucht nach der Sehnsucht", wie es bei Augustinus heißt.

Vorher waren es intellektuelle Zweifel, jetzt sind sie existenzieller und stellen eine ganze Lebensentscheidung infrage. Insofern hat sich, was das angeht, zum Glück eigentlich nichts geändert. Erst nach der Taufe habe ich verstanden; das war gar kein Schlusspunkt, sondern der Beginn eines Weges.. 

Und persönlich?

Was sich in meinem persönlichen Leben geändert hat, ist ein neues Gefühl von Gemeinschaft, das ich bis dato nicht kannte; vor allem die Möglichkeit, Menschen kennenzulernen, die ich sonst nie getroffen hätte, als ich mich in einer geschlossenen Blase der Kunstwelt bewegte. Auf einmal lerne ich Menschen kennen, die von woanders herkommen, die andere Berufe ausüben, einen anderen sozialen Status haben. Ich stellte fest, Kirche ist eine Institution, in der Gemeinschaft entsteht, in der die Mitglieder wissen, dass es etwas Größeres gibt als sie selbst.

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Bei meiner Suche nach Gott und auch was meine Arbeit angeht, bin ich, glaube ich, bescheidener geworden. Natürlich freue ich mich, wenn jemand meine Bilder gut findet. Aber jetzt kann ich in einer größeren Demut einen Schritt zurücktreten und weiß, es geht nicht allein um mich. 
Nach der Taufe merkte ich, dass sich mein Blick auf Gott pausenlos verändert. Ich staune, dass mir Gott immer wieder fluide erscheint, mir immer wieder neue Aspekte zeigt und sich auf der anderen Seite wieder neu entzieht.

Das Bild ist nach der Art alter Meister gemalt und zeigt in aller Schönheit Utensilien, die auf den Glauben verweisen, doch in der Atmosphäre einer großen Gebrochenheit. In der weiblichen Figur ohne Gesicht und Hände, in der wir Maria erahnen, der beiseite gestellten Jesusfigur und der kleinen Büßergestalt ist die Einsamkeit geradezu greifbar. Die blutigen Schafsköpfe sprechen von Tod, Leid und Opfer. "Deus absconditus"   der abwesende Gott   kam in der Zeit der weltumfassenden Pandemie, die uns unverhofft mit Leid und Tod konfrontiert hat, in diese Pfarrkirche. Finden wir Antworten im Glauben oder ist Gott hier abwesend?

Das ist die große Theodizee-Frage, die Theologen über Jahrhunderte beschäftigt hat: Wie kann ein gütiger, liebender Gott so viel Leid auf der Welt zulassen? 
Es gibt zum Beispiel den Versuch zu erklären, Gott sei der Herr der gesamten Schöpfung und dieser Schöpfung sind auch durch die Geologie das Erdbeben und biologisch die Viren immanent. Das hilft uns nur letztlich nicht. In vielen Kulturen – auch unabhängig vom Christentum, wenn Sie an die griechischen Tragödien denken – ist es ein Kern der Kunst, auszuhalten, dass es unlösbare Widersprüche im Leben gibt. Wir sind so daran gewöhnt, dass wir alles lösen wollen und müssen. 

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Unsere Gesellschaft ist auf Machbarkeit aus. Wir sind verstört, wenn wir etwas nicht mehr in der Hand haben, nicht mehr steuern können. 
Möglicherweise müssen wir lernen, etwas auszuhalten; das macht für mich auch menschliche Größe aus. Da kann uns das Leben Christi Beispiel sein; das Leid auszuhalten, selbst wenn man glaubt, es gar nicht tragen zu können. Natürlich hätten verschiedene Jahrhunderte die Frage nach der Pandemie auf unterschiedliche Weise beantwortet. Das aufgeklärte 18. Jahrhundert tat es vielleicht mit der Absage an Gott: Wer so etwas zulässt, kann gar nicht existieren. Das Mittelalter hätte vermutlich an den strafenden Gott gedacht, der uns wegen unserer Sünden eine Geißel schickt. Es ist interessant, wie sich über Jahrhunderte das Gottesbild ändert. Wir haben uns daran gewöhnt, sonntags im Gottesdienst nur von Jesus als einem Bruder zu hören, dem netten und lieben Kumpel, der mit uns den Weg geht. Die Idee eines Christus Pantokrator oder eines Strafgerichts ist uns vollkommen fremd geworden.

Doch was wir uns als Gottesbild schaffen, ist oft auch nur unsere Reflexion. Gott ist immer größer als wir; Er überrascht uns und lässt sich letztlich nicht einsargen. Sie können das wörtlich nehmen. In diesem Bild ist es ja dargestellt; eine kostbare gotische Christusfigur quasi eingesargt in diesem Holzkasten, der auch noch gekippt ist. Doch dieser Gott kann für viele Menschen   für mich auch   in dieser Pandemie eine Möglichkeit sein, Trost zu finden, selbst wenn das von vielen belächelt wird.

Die Kirche ist durch die schändlichen Missbrauchstaten erschüttert. In Deutschland ringen Gläubige um den richtigen Weg, viele Katholiken sind zutiefst verunsichert, oder treten sogar aus der Kirche aus. Immer weniger Menschen kennen und verstehen die Sprache des Glaubens. Ist Gott abwesend in dieser Krise?

Das denke ich nicht. Zunächst einmal: Der Grund, warum ich in der Kirche bleibe, ist, dass ich sie tatsächlich als Leib Christi verstehe. Sie ist kein Sportklub, aus dem ich austreten kann. Sie ist eine Familie und daher bin auch ich Glied der Kirche, wie das geringste Glied, das zum Leib gehört und vielleicht umso kostbarer ist als manches andere   das schreibt ja Paulus so großartig über den Leib Christi im ersten Korintherbrief. Also bin auch ich aufgerufen, an der Heilung des Leibes mitzuarbeiten.

Wir dürfen uns nicht aus der Verantwortung entlassen. Gott ist immer noch da, aber wenn wir ihn nicht mehr wahrnehmen wollen, dann ist er   subjektiv gesehen   erst einmal abwesend. Letztlich ist es an uns, einen Schritt auf ihn zuzugehen, unsere Augen zu öffnen und ihn wieder neu zu sehen. In der heutigen Zeit ist es nicht leicht, Menschen zu bewegen, diesen Schritt mitzugehen und nicht die menschliche Institution mit dem Christentum oder sogar mit Gott selbst zu verwechseln. In den furchtbaren und schrecklichen Fällen von Missbrauch und Machtmissbrauch in der Kirche haben sich "Würdenträger", in diesem Zusammenhang wirklich in Anführungsstrichen, eine Machtfülle und eine Omnipotenz angemaßt, die eigentlich nur Gott zukommen würde.
Genauso problematisch ist es aber auch, das Christentum zu verteufeln, weil etliche in der Hierarchie gefehlt haben.
Auf die Diskussionen innerhalb der Kirche habe ich als spät Hinzugekommener mit all meinen Sehnsüchten und Erwartungen natürlich auch keine einfachen Antworten.

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Ich bin hin- und hergerissen zwischen der Überzeugung, dass sich vieles ändern muss, dass viele Fragen, die der "Synodale Weg" jetzt behandelt, wichtig sind und der Angst davor, dass Dinge preisgegeben werden, die mir sehr kostbar sind. Möglicherweise werden wir feststellen: Weder der knallharte Traditionalismus, noch eine forcierte Modernisierung sind die Lösung, sondern auf einmal werden wir überrascht, dass es etwas ganz anderes ist. Wenn ich in die Kirchengeschichte schaue oder an den Satz "ecclesia semper reformanda" denke, wird klar: gerade in den Zeiten größter Krisen sind auch die Chancen am größten. Erneuerung kann nicht von außen aufgezwungen werden, sondern entsteht von innen; oft durch eine Rückbesinnung auf den Ursprungstext, den Gründungsmythos, wenn Sie so wollen, durch eine neue Spiritualität wie bei Franz von Assisi, Dominikus oder Ignatius oder beim Zweiten Vatikanischen Konzil; oft ganz überraschend.

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