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Gedanken über die Gnade

Wir sollten für diejenigen, die uns verletzt haben, beten. Wir wissen nicht, ob wir es nicht selbst dem Gebet eines anderen verdanken, dass wir nicht schlimmer dran sind.
Betende Frau
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | Viele fragen sich: Warum ich? Was war an mir so besonders, dass ich zum Glauben gekommen bin? Und die ehrliche Antwort ist: Nichts.

„There but for the Grace of God go I“ – „Dort ginge auch ich ohne die Gnade Gottes.“ Wer dieses englische Sprichwort geprägt hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, aber der Kontext ist wohl eine fromme Seele, welche zusah, wie ein zum Tode Verurteilter zum Richtplatz gebracht wurde. Wir leben in turbulenten Zeiten – Zeiten, in denen es leicht ist, für irgendein Problem einen Schuldigen zu finden, etwa einen bestimmten Politiker oder Bischof. Und diese Schuldzuweisungen scheinen ja durchaus oftmals objektiv korrekt zu sein.

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Wie viele, die versuchen, wirklich den katholischen Glauben zu leben, wie er überliefert ist, werden von ihren Bischöfen stiefmütterlich behandelt und müssen den Eindruck mitnehmen, dass ihre Glaubenstreue gerade die Ursache davon ist?

Gestiegene Gewalt in der Gesellschaft

Manch einer hat vielleicht die amerikanische Dokumentation „Bread not stones“ gesehen, welche das Vorgehen des Bischofs von Charlotte gegen den alten Ritus behandelt. Die Dokumentation ist in freundlichem Ton gehalten, aber es müsste uns nicht verwundern, wenn der ein oder andere Gläubige insgeheim sehr wütend auf seinen Bischof wäre. Mehr noch: Es wäre durchaus nachvollziehbar. Teuerung und gestiegene Gewaltkriminalität sind allgemein gesellschaftlich prominente Themen. Vermutlich kann jeder von uns spontan eine Liste mit Politikern erstellen, die er dafür in der Verantwortung sieht und auf die er, wie man sagt, einen ziemlichen Hals hat. Ebenfalls nachvollziehbar.

Nur: Was unterscheidet mich eigentlich von „denen“? In einer pluralen Gesellschaft haben sicher schon viele, die im Familien- oder Freundeskreis zu den wenigen Gläubigen gehören, ja vielleicht sogar allein damit sind, die Frage gestellt: Warum ich? Was war an mir so besonders, dass ich zum Glauben gekommen bin? Und die ehrliche Antwort ist: Nichts. Vielleicht kennen wir jemanden, von dem wir sagen müssen, dass er klüger oder mutiger ist als wir und womöglich ein besserer Christ wäre – wenn er denn nur mal endlich zum Glauben käme.

Kooperieren mit Gottes Gnade

Was ist es denn dann, was uns im Gegensatz zu den anderen zum Glauben geführt hat? Die Gnade Gottes. Mit der Gnade Gottes will auch kooperiert werden, das ist richtig. Aber es kann gut sein, dass für mich vielleicht mehr gebetet wurde als für meinen ungläubigen Nachbarn. Dass ich mehr Gnaden bekommen habe – und wer weiß, was andernfalls aus mir geworden wäre? Und die Bischöfe, Politiker oder wer auch immer?

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Beten wir so viel für diesen Bischof oder jenen Politiker, wie wir über ihn schimpfen? Und wenn die Antwort „nein“ ist, wie erwarten wir dann, dass er sich ändert? Ja, selbst wenn für einen Bischof vielleicht in der Summe mehr gebetet wird als für mich – steht dies auch im Verhältnis zu seiner Verantwortung und zu den Fallstricken des Bösen, denen er sicher um einiges mehr ausgesetzt ist als ich?

Es ist leicht, bitter gegen jemanden zu werden, durch den man verletzt wurde. Aber sich selbst schadet er ja nicht weniger. Also sollten wir Mitleid haben und für ihn beten. Wer weiß, ob wir es nicht selbst dem Gebet eines anderen verdanken, dass wir nicht viel schlimmer dran sind?

Die Autorin studiert katholische Theologie.

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