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Erziehen an der Hand von Johannes Paul II.

Wie die Gedanken des heiligen Papstes einer Mutter helfen, die „Reserven an Gutem“ in ihren Kindern zu wecken, damit sie zu Baumeistern ihres eigenen Lebens werden.
Johannes Paul II. und die Jugend
Foto: IMAGO / photo2000 | Johannes Paul II. begegnete der Jugend mit Vertrauen und Achtung. Er traute ihr zu, Verantwortung zu übernehmen und ihr Leben mutig zu gestalten.

„Ich hatte in ihm einen Bischof gefunden, der wie ein Weg mit Spuren war, in dessen Fußstapfen ich treten konnte, um ans Ziel zu gelangen.“ Diese Worte stammen von dem mittlerweile verstorbenen Kardinal Meisner, der hier über den damaligen Kardinal Karol Wojtyla, den späteren Papst Johannes Paul II., spricht. Kardinal Meisner hat für mich hier etwas in Worte gefasst, das ich ebenso empfinde und das ich seit Jahren versuche umzusetzen: Ich möchte den Spuren von Johannes Paul II. folgen.

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Dieser heilige Papst ist für viele Katholiken ein ganz besonderer Mensch. Oft habe ich schon erlebt, wie Menschen zutiefst berührt sind, wenn sie sogar nur ein Foto von ihm sehen. Sie können nicht in Worte fassen, was da genau passiert. Mich persönlich faszinierten sein Auftreten, seine Gebärden, die Art, wie er Menschen annahm und liebte, so wie sie waren. Mit seinem gütigen Blick blickte er tief in das Innerste eines Menschen. Mich faszinierte, wie er mit Menschen sprach, ihnen zuhörte und – ganz besonders – seine Ausstrahlung beim Beten. Der Heilige Vater sprach mit Gott in einem einzigen Ausguss von Liebe. Er war ein Mensch mit einer Innerlichkeit, die durch jede Faser seines Seins nach außen strahlte.

Ein väterlicher Mentor

Meine Faszination ließ mich seine Bücher, Predigten und Ansprachen, die er uns hinterlassen hat, mit großem Gewinn lesen und studieren. Im Laufe der Zeit wurde mir bewusst, dass ich in ihm einen väterlichen Mentor gefunden hatte, der mir mit seiner Weisheit in vielen Lebenslagen weiterhalf. 
Auch als Mutter wurde er für mich in Erziehungsfragen eine sprudelnde Quelle der Inspiration. Es ist so, wie Kardinal Meisner sagte: Der polnische Papst hat mir Pfade aufgezeigt, die ich alleine nicht gefunden hätte, um ans Ziel zu gelangen. Ausgehend von meinem Muttersein und den Herausforderungen, die sich mir stellten, lernte ich, bei ihm Hilfe zu suchen. Ich wollte von ihm lernen. Ich begann, sein Vermächtnis von diesem Blickpunkt aus zu durchforsten, und fand dabei wertvolle Erziehungsschlüssel. 

Zwar hat er sich nicht direkt mit Erziehungsfragen befasst, doch im weiteren Sinn durchaus – besonders in seinem Sprechen zu Jugendlichen. Er traute ihnen sehr viel zu, und ihre Reaktionen darauf waren immer zutiefst berührend. Sein Zutrauen hat sie gestärkt, aufgebaut und ermutigt. 
Er hatte stets diesen unverwüstlichen, positiven Blick. Er drang zur verborgenen Schönheit im Menschen vor. Das spricht mich an, weil es das genaue Gegenteil von dem ist, was ich oft tue: Statt meine Kinder zu motivieren, demotiviere ich sie mit meinem Genörgle. 

Wir Eltern wissen nur zu gut, wie herausfordernd Erziehung sein kann. Wie oft stehen wir vor einem Fragezeichen und wissen nicht, wie wir reagieren sollen. Wie oft kommen wir an unsere Grenzen und werden auf ungeschminkte Weise mit unseren Schwächen konfrontiert. Das sind die Momente, in denen wir hilfesuchend um uns blicken und Rat suchen. Erziehungsratgeber haben mir hier nicht weitergeholfen, da sie oft zu wenig Tiefe boten. 
Ich habe gemerkt, dass es gerade in Erziehungsfragen gut ist, einen Mentor zu haben – eine Person, die mir als Vorbild dient. Denn wie oft geht es uns wie Paulus: „… ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will.“ (Röm 7,19) Wie oft tun wir genau das Gegenteil von dem, was wir eigentlich tun wollen.Wie oft handeln oder sprechen wir in eingefahrenen Bahnen, und wie schwer fällt es uns, daraus auszubrechen. 

Genau in dieser Situation befand ich mich, und das war der Startschuss für mein persönliches Projekt: „Erziehen an der Hand von Johannes Paul II.“ Am Anfang stand meine Sehnsucht, meine Kinder zukünftig mehr zu ermutigen, statt wie bisher allzu oft nur das Negative bei ihnen zu sehen und ihnen ins Wort zu fallen. Wie ich bereits wusste, konnte Johannes Paul II. hervorragend ermutigen. Er verstand es, Menschen eine Vision ins Herz zu legen. Um dies umzusetzen, bediente ich mich folgender Aussage, die er 1989 in Blantyre an Jugendliche richtete: „Gott weiß besser als jeder andere, dass in jedem von euch eine große Reserve an Gutem ist, denn er hat euch nach seinem Bild geschaffen. Aber an dir allein liegt es, ‚Ja’ zu Gott zu sagen, ‚Ja’ zu seiner Liebe, ‚Ja’ zu seiner Heiligkeit.“

Das Gute sehen wollen

Zunächst verinnerlichte ich bewusst und gezielt den Satz „In dir steckt eine große Reserve an Gutem“. Dann entdeckte ich Situationen, in denen ich ihn konkret anwenden konnte: Wenn eines meiner Kinder etwas „angestellt“ hat und zu mir kommt, um sich zu entschuldigen, kann ich mit diesem Satz liebevoll und hoffnungsspendend reagieren. Ich möchte nicht noch einmal alles hochkochen, denn ich weiß, wie viel Überwindung es kostet, einen Fehler einzugestehen und um Verzeihung zu bitten. Früher habe ich oft den Fehler noch einmal zerlegt und analysiert. Durch die Inspiration von Johannes Paul II. gelingt es mir nun, meinem Kind zu sagen: „Ich sehe, dass du ein gutes Herz hast. In deinem Herzen steckt eine große Reserve an Gutem, mit der du alles überwinden und zum Guten führen kannst. Ich weiß das, und noch viel mehr weiß es der, der dich erschaffen hat – Gott. Er hat dich nach seinem Bild geschaffen. Ich bin davon überzeugt, dass du diese Reserve an Gutem ins Leben führen kannst, dass du sie aufleuchten lassen kannst.“ 

Diese Worte möchte ich immer wieder neu zu einem Grundpfeiler meiner Erziehung machen. In ihnen steckt eine gewaltige Kraft. Ich habe festgestellt, dass die Kinder sehr positiv darauf reagieren. Sie richten sich daran auf. Mit diesen Worten zeige ich, dass ich das Gute in ihnen sehe und mich nicht am Schlechten festkralle. 

Ich möchte noch ein weiteres Beispiel anführen, wie ich die Gedanken des Heiligen Vaters für die Erziehung adaptiert habe. In einem Brief an die Künstler schrieb er 1999: „Nicht alle sind im eigentlichen Sinne des Wortes zu Künstlern berufen. Nach der Aussage des Buches Genesis wird jedoch jeder Mensch mit der Aufgabe betraut, Baumeister des eigenen Lebens zu sein: Er soll aus seinem Leben gleichsam ein Kunstwerk, ein Meisterstück machen.“ Daraus lässt sich ein wunderbarer Gedanke ableiten, den wir als Eltern in der Erziehung unserer Kinder nutzen können. „Sei Baumeister deines Lebens! Du bist berufen, aus deinem Leben ein Kunstwerk, ein Meisterstück zu machen!“ Gerade jetzt, wo meine jugendlichen Kinder ihre Berufung suchen, gibt mir dieser Gedanke ein „Grundgerüst“ für die Begleitung meiner Kinder. Ich kann ihnen vermitteln, dass sie berufen sind, ein Kunstwerk aus ihrem Leben zu machen. Gott betraut sie mit der Aufgabe, Baumeister ihres Lebens zu sein, und am besten wird ihnen das gelingen, wenn sie ihre Berufung leben. Er hat für sie einen einzigartigen Platz vorgesehen, an dem sie ihm und den Menschen dienen sollen.

Im „Buch der Natur“ lesen

Abschließend möchte ich ein letztes Beispiel nennen, das mir persönlich zu einem großen Schatz geworden ist. Papst Johannes Paul II. hat im Jahr 1980 auf der Theresienwiese in München eine Ansprache gehalten und die Jugendlichen dazu ermutigt, Kontakt zur Natur zu pflegen: „Der Mensch nimmt durch sie das Geheimnis der Schöpfung selbst auf, das sich vor seinen Augen mit dem unerhörten Reichtum und der äußersten Vielfalt der sichtbaren Wesen enthüllt. Es ist gut für den Menschen, in diesem wunderbaren Buch zu lesen, welches das ‚Buch der Natur’ ist, das aufgeschlagen vor uns liegt.“ Der Mensch wächst also indirekt durch den Kontakt zur Natur.

 Auch hier nehme ich ein wunderbares Bild mit, das Johannes Paul II. vor unseren Augen zeichnet: Wir sollen im „Buch der Natur“ lesen, das aufgeschlagen vor uns liegt, und uns so dem Geheimnis der Schöpfung nähern, das sich vor unseren Augen mit einem unerhörten Reichtum entfaltet. Ich gehe nun bewusster mit meinen Kindern in die Natur. Am liebsten gehen wir in den Wald gleich neben unserem Haus. Dort lesen wir im „Buch der Natur“, das sich aktuell mit seinen herbstlich bunten Seiten vor unseren Augen öffnet.

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Wir entdecken Kostbarkeiten und Staunenswertes. Der unerhörte Reichtum an Tieren und Pflanzen gibt uns immer wieder ein Geheimnis preis. Wenn wir den Wald wieder verlassen und das „Buch der Natur“ zuschlagen, dann kehren wir bereichert und erfüllt nach Hause zurück, meist mit ein paar schönen Fundstücken. Ja, dieser Gedanke, „im Buch der Natur zu lesen“, ist tatsächlich einer, der mich seither sehr stark begleitet, und ich kann bestätigen, was ein alter Priester einmal zu mir gesagt hat und das wohl ganz im Sinne von Johannes Paul II. ist: „Die Natur lehrt uns alles!“ 


Die Autorin ist Herausgeberin des Müttermagazins „Sonne im Haus“ und Leiterin des Online-Studienkreises „Wahres, Gutes & Schönes“, für dessen Teilnehmer sie monatlich einen Podcast zum Thema „Erziehen an der Hand von Johannes Paul II.“ erstellt.

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