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Kirche in Mosul: Getränkt vom Blut der Märtyrer

In Mossul und im irakischen Kurdistan ringt eine leidgeprüfte, alte Kirche um die christliche Präsenz.
In der Immaculata-Kirche von Mossul
Foto: Stephan Baier | In der Immaculata-Kirche von Mossul richteten die Islamisten eine Werkstatt zum Bombenbauen ein.

Mit einem beiläufigen "Salam aleikum" grüßt unser chaldäisch-katholischer Fahrer den schiitischen Milizionär am Checkpoint. Ein Rosenkranz baumelt am Spiegel seines SUV. Wir werden weitergewunken. Jetzt liegt Kurdistan hinter uns, die einstige IS-Hochburg Mosul vor uns. Früher, bevor der "Islamische Staat" die zweitgrößte Stadt des Irak terrorisierte, war Mosul eine multireligiöse und multiethnische Metropole.

Der Boden ist getränkt vom Blut der Märtyrer

Sunnitische Araber und Kurden lebten hier neben Christen und Jeziden. In der "Straße der vier Kirchen" standen syrisch-katholische, syrisch-orthodoxe, armenische und chaldäische Christen nach ihrer jeweiligen Sonntagsmesse friedlich plaudernd beieinander, wie sich Pater Samir Al-Khoury erinnert, der hier seine Kindheit verbrachte und später als Pfarrer in Mosul wirkte.

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Heute ist Mosul eine Trümmerlandschaft, verwüstet vom jahrelangen Terror des IS und 2017 zerbombt von amerikanischen Luftstreitkräften. Nur 50 christliche Familien wagten sich seither in die Millionenstadt zurück, in der zuvor gut 50000 Christen lebten. "Dieser Boden ist getränkt vom Blut der Märtyrer", sagt Erzbischof Michael Najeeb Moussa. Einer der Märtyrer war sein Vorgänger, der 2008 von Al-Kaida-Terroristen entführt, gefoltert, geköpft und auf einer Müllhalde entsorgt wurde.

IS tötet auch Muslime

Wo all die tausenden IS-Kämpfer und ihre Kollaborateure heute seien, frage ich den Erzbischof in seiner Residenz bei der Apostel-Paulus-Kirche. "Die haben sich bekehrt", scherzt er auf Französisch. Manche Muslime seien wirklich schockiert gewesen, weil der IS nicht nur Jeziden und Christen ermordete, sondern auch Muslime. "Fast jede muslimische Familie hat Angehörige durch den IS verloren. Als der IS dann besiegt war, wollten viele Muslime nichts mehr von Religion wissen." Etliche Kollaborateure wurden hingerichtet, viele Kämpfer jedoch flohen in die Berge.

Von "Traumatisierung" spricht der Erzbischof. Man wolle die Vergangenheit nicht thematisieren. Heute lebe man friedlich nebeneinander. In den Moscheen dominiere ein neuer Ton, da werde über Liebe und Freundschaft gepredigt, die Christen würden nicht mehr abfällig als "Nazarener" oder "Ungläubige" bezeichnet. Der Erzbischof zitiert ein irakisches Sprichwort: "Wenn etwas nicht zerstört wird, kann es nicht wieder aufgebaut werden." Seit der Zeit der Apostel gab es in Mosul Christen; im 17. Jahrhundert stellten sie die Mehrheit in der Region. Der IS zerstörte alle 35 Kirchen der Stadt, trieb alle Christen in die Flucht.

Kirchtürme und Kreuze schaffen Vertrauen

Der Erzbischof gibt der US-geführten Allianz daran eine Mitschuld: Dank ihrer Satellitenüberwachung habe sie alles gesehen und gewusst, zu welchen Verbrechen gegen Christen und Jeziden es kommen würde   aber nicht eingegriffen. Nun baut Michael Najeeb Moussa mithilfe von Hilfswerken wie "OEuvre d Orient", "Kirche in Not" und "Initiative Christlicher Orient (ICO)" vieles wieder auf. "Wenn die Kirchen restauriert werden, wenn Kirchtürme und Kreuze wieder sichtbar sind, dann gewinnen die Menschen das verlorene Vertrauen zurück und wagen die Rückkehr", hofft er.

Viele wollen zurückkommen, aber es fehlt an Häusern und Jobs. Doch die Regierung in Bagdad macht kaum Geld für den Wiederaufbau locker. Das meiste Geld verschwinde in der Korruption, bestätigen viele Ge-
sprächspartner. Die Priester verhandeln als Repräsentanten der Christen mit Behörden und Stammesführern, pflegen Kontakt zu Muslimen, restaurieren die Kirchen. "Manchmal feiere ich mit zwei oder drei Gläubigen die Messe", berichtet der Erzbischof.

Ein Muslim weint vor Scham

In der Apostel-Paulus-Kirche sind Erinnerungen an den Papstbesuch im März 2021 ausgestellt, und ein großes Holzkreuz, das aus Resten von zerstörten Kirchen zusammengesetzt wurde. Der Besuch des Papstes sei für Christen und Muslime ein historisches Ereignis gewesen, sagt der Erzbischof. Vor der verwüsteten Immaculata-Kirche stellt er uns einen älteren Muslim vor, der sich eifrig um die Kirche kümmert und Sakralgegenstände aufkauft, um sie der Kirche zu schenken. Der Mann weint. "Er schämt sich für das, was Muslime hier angerichtet haben", erklärt der Erzbischof.

Die Kirche aus dem 7. Jahrhundert wurde von den IS-Terroristen als Werkstatt zum Bombenbauen missbraucht. Auch die alte chaldäische Kathedrale gleicht innen einem Trümmerhaufen. Schmierereien an den Wänden und Bauschutt im Kirchenschiff erinnern an das Wüten der Barbaren. In der syrisch-katholischen Kirche hatte der IS einen Strafgerichtshof eingerichtet, Menschen abgeurteilt und gefoltert. In der "Straße der vier Kirchen" sind die Mauerreste der zerstörten Sakralbauten mit Stahlpfeilern gesichert. Papst Franziskus habe bei diesem Anblick geweint, erzählt ein Zeitzeuge.

Aufbauarbeit im einstigen Ninive

Wo Jona einst über das Schicksal von Ninive lamentierte, steht heute eine Moschee. Darunter aber finden sich Ruinen einer Kirche, und darunter wieder Reste eines zoroastrischen Tempels. In der Ninive-Ebene befinden sich die letzten geschlossenen Siedlungsgebiete der chaldäischen Christen. 200 Familien sind nach der Vertreibung durch den IS in den Ort Batnaya heimgekehrt, haben ihre zerstörte Kirche neu aufgebaut. In ihrem Schatten probt der Chorleiter mit Kindern liturgische Gesänge.

Mehr als 200 ICO-Projekte habe er in der Region implementiert, erzählt der chaldäische Aktivist Daniel Zuhair: Da wurden Pfarrhäuser, Kindergärten, Sozialzentren und Wasseraufbereitungsanlagen gebaut, Traktoren, Minibusse und Generatoren in die Dörfer gebracht. In Bersiveh, wieder im Kurdengebiet, sind tausend von 3000 Einwohnern chaldäische Katholiken. Die österreichische ICO hat das Kirchendach, einen Generator und einen Shop finanziert.

Einsatz für die Rechte der Christen

Im benachbarten Nafkandala organisierte sie den Traktor und Gewächshäuser. In 21 christlichen Gemeinden ist die "Initiative Christlicher Orient" der größte Investor. Sie arbeitet eng mit dem ortsansässigen Hilfswerk für die Christen im Nord-Irak, CAPNI, zusammen, das mit dem Aufbau von Schulen und Häusern, mit Gesundheits- und Bildungsprojekten die Wiederansiedlung vertriebener Christen fördert. "Wir treten anwaltschaftlich für die Rechte der Christen ein", sagt ein CAPNI-Manager.

In Zakho empfängt uns Bischof Felix Al-Shabi, der nach zwei Jahrzehnten in den USA in seine nordirakische Heimat zurückkehrte. Bereut hat er es nicht, obwohl er und seine Priester finanziell "wie in Nord-Korea" leben. "Wir Chaldäer sind die ursprünglichen Einwohner dieses Landes", begründet er sein Engagement für die Heimat. Etwa 10000 Christen leben in seiner Diözese. Im chaldäischen Kindergarten spielen zehn christliche mit 70 muslimischen Kindern unter der Aufsicht eines Priesters. Katechismusunterricht gibt es nur am Freitag, also am Feiertag der Muslime, wenn nur christliche Kinder kommen. Muslime, die ihre Kinder in den christlichen Kindergarten schicken, hätten einen offenen Geist, sagt der Bischof.

Kirche vermittelt Zuverischt inmitten einer deprimierenden Realität 

Nicht nur die Zahl der Gläubigen, auch die der geistlichen Berufungen ist gering: Vor dem amerikanischen Einmarsch lebten gut 1,5 Millionen Christen im Irak, heute etwa 250000. Angesichts von Entführungen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen wurde das einzige Priesterseminar der mit Rom unierten Chaldäer von Bagdad nach Erbil verlegt. Aus der Diözese Zakho studiert hier nur ein Seminarist - weitere zwei in den USA. Bischof Felix Al-Shabi hat auch verheiratete Priester und kennt die damit verbundene zusätzliche Sorge um deren Familien.

Sein Nachbar-Bischof, Azad Shaba, betreut 900 chaldäische Familien in der Millionenstadt Dohuk und 600 weitere im Umland. Trotz Armut und Arbeitslosigkeit kämen immer mehr irakische Christen aus Sicherheitsgründen in die kurdischen Autonomiegebiete, erzählt er. Viele landen dann bei ihm, weil sie kein Geld für das alltägliche Leben haben. Dass die Kirche jenseits der deprimierenden Realität des Landes Zuversicht vermittelt, zeigt ein Gespräch mit jungen Studenten in der Kleinstadt Enishke: Hier, wo die chaldäische Gemeinde sich eng um Pater Samir schart, denkt die Jugend nicht an Emigration. 1500 dieser jungen Chaldäer versammelten sich vor wenigen Tagen in der kurdischen Hauptstadt Erbil zu einem großen, fröhlichen Kirchenfest.

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