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Merz verabschiedet das „C“

Auch wenn es nur politisches Kalkül sein mag: Das lakonische „Ja“ von Kanzler Merz bei der gestrigen Regierungsbefragung im Bundestag ist ein Dammbruch, der seine Partei teuer zu stehen kommen wird.
Bundeskanzler Friedrich Merz
Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur (www.imago-images.de) | Bundeskanzler Friedrich Merz opfert nichts anderes als eine der Säulen, auf der unser Gemeinwesen beruht, nämlich den Begriff der unveräußerlichen, bedingungslosen Menschenwürde.

Die Frage war klug formuliert. Und sie kam von der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch. Was sie aber weder irreführend, noch überflüssig macht. Bundeskanzler Merz musste auf genau diese Frage vorbereitet sein. Und deswegen kann auch seine Antwort nicht dem politischen Zersetzungswillen der AfD oder dem Zeitlimit für Antworten bei Regierungsbefragungen in die Schuhe geschoben werden. Nein, es ist Merz‘ ureigenste Antwort auf die Frage, die über die Zukunft der CDU entscheiden könnte. Und Merz ist durchgefallen.

In der gestrigen Regierungsbefragung zur Nominierung der umstrittenen Juristin Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin fragte von Storch den Bundeskanzler, „ob Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, Frau Brosius-Gersdorf zu wählen, für die die Würde eines Menschen nicht gilt, wenn er nicht geboren ist. Frau Brosius-Gersdorf hat gesagt, dass einem Kind, das neun Monate alt ist, zwei Minuten vor der Geburt keine Menschenwürde zukommt. Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, diese Frau zu wählen, wissend, dass vermutlich diese Dame in Kürze über die Abschaffung des 218 abstimmen wird?“ Merz im Klartext darauf: „Über die Tragweite und die Reichweite von Artikel 1 Absatz 1 unseres Grundgesetzes, Frau Storch, will ich bei anderer Gelegenheit dann gerade mal mit Ihnen gerne mal diskutieren. Auf Ihre hier gestellte Frage ist meine ganz einfache Antwort: Ja.“

Die einzige Position geräumt, die einer christlichen Partei würdig ist

Brosius-Gersdorf erklärte im Abschlussbericht der von der Ampelregierung eingesetzten „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“, dass es „gute Gründe“ gäbe, die für „eine Entkoppelung von Menschenwürde und Lebensschutz und die Geltung von Art. 1 Abs. 1 GG erst für den Menschen ab Geburt“ sprächen. Die als „ultralinke Aktivistin“ kritisierte Juristin legte im Februar in einer Anhörung des Rechtsausschusses nach: Es gebe „gute Gründe“ dafür, dass die „Menschenwürdegarantie erst ab Geburt“ gelte.

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Merz habe mit seiner Antwort weder seine persönliche Position noch die seiner Partei zur Abtreibung geändert, beeilten sich seine Getreuen in den Sozialen Medien zu versichern. Das mag sogar für den Fall stimmen, in dem Friedrich Merz eine persönliche Überzeugung zu dem Thema hat. Aber selbst in diesem Fall ist er offenbar bereit, sie aus politischem Kalkül zu opfern. Was nicht dafür spricht, dass ihm der Schutz des ungeborenen Lebens wirklich am Herzen liegt. Einmal mehr gibt er alles dafür, in der von SPD und Grünen definierten „Mitte der Gesellschaft“ zu stehen. Einmal mehr treibt ihn die Brandmauer dazu, eine historische Position zu räumen, nur weil die AfD sie ebenfalls einnimmt. Und zwar die einzige Position, die in der betreffenden Frage einer christlichen Partei würdig ist.

Und was genau opfert Merz? Nichts anderes als eine der Säulen, auf der unser Gemeinwesen beruht, nämlich den Begriff der unveräußerlichen, bedingungslosen Menschenwürde. Auch wer argumentiert, dass Kanzler Merz sich Brosius-Gersdorfs Positionen nicht zu eigen mache, kann nicht so naiv sein, zu meinen, es habe keine Folgen, wenn die CDU einer radikalen Abtreibungsbefürworterin den Weg ins Verfassungsgericht freimacht. Das ist ein Schritt hin zu einer Gesellschaft, in der Menschenwürde begründungspflichtig ist. Wenn Menschsein alleine nicht mehr genügt, um in den Genuss der Menschenwürde zu kommen, wer ist dann nach den ungeborenen Kindern dran? Oder wie die Bischöfe Voderholzer und Oster es gestern in einer Stellungnahme ausgedrückt haben: „Es darf in Deutschland nie wieder Menschen zweiter Klasse geben.“ Wenn die CDU dafür nicht mehr einsteht, ist die Partei am Ende. 

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