Die deutliche Kritik von zahlreichen US-Bischöfen hat offenbar Wirkung gezeigt: Der demokratische Senator Dick Durbin, ein entschiedener Abtreibungsbefürworter, der ursprünglich vom Erzbischof von Chicago, Kardinal Blase Cupich, für seinen lebenslangen Einsatz für Einwanderer hätte ausgezeichnet werden sollen, wird von sich aus auf die Ehrung verzichten. Dies gab Kardinal Cupich am Dienstag in einer ausführlichen Stellungnahme bekannt.
Noch bevor Durbins Verzicht öffentlich wurde, hatte sich auch Leo XIV. zu der Debatte geäußert, die US-Katholiken seit Tagen beschäftigt. Wer allerdings gehofft hatte, der Papst würde eindeutig für eine Seite Partei ergreifen, hatte sich getäuscht. Gegenüber einem Reporter des katholischen Fernsehsenders „EWTN“ erklärte er beim Verlassen der Sommerresidenz Castel Gandolfo in Richtung Vatikan: Er sei zwar nicht im Detail mit dem Fall vertraut, jedoch sei es wichtig, die gesamte Arbeit zu betrachten, die ein Senator während seines jahrzehntelangen Dienstes im Kongress geleistet habe.
Leo: Komplexe ethische Fragen
Es sei wichtig, viele Themen zu berücksichtigen, die mit der Lehre der Kirche in Verbindung stünden, so Leo. „Jemand, der sagt, ich bin gegen Abtreibung aber gleichzeitig für die Todesstrafe, ist nicht wirklich pro-life.“ Und jemand, der gegen Abtreibung sei, „aber mit der unmenschlichen Behandlung von Einwanderern in den Vereinigten Staaten einverstanden ist – ich weiß nicht, ob das pro-life ist“.
Gleichzeitig betonte der Papst, dass es sich um „sehr komplexe Fragen“ handele. „Ich weiß nicht, ob jemand die ganze Wahrheit darüber kennt, aber ich würde vor allem darum bitten, dass es mehr gegenseitigen Respekt gibt und dass wir gemeinsam versuchen, sowohl als Menschen – in diesem Fall als amerikanische Staatsbürger oder Bürger des Bundesstaates Illinois – als auch als Katholiken zu sagen: Wir müssen uns all diese ethischen Fragen wirklich genau ansehen und den Weg finden, den wir als Kirche gehen wollen.“ Die Lehre der Kirche zu jedem dieser Themen sei klar.
Philosoph Feser widerspricht Papst
Für seine Äußerungen erhielt der Papst Zuspruch, teilweise aber auch Kritik. So erklärte beispielsweise der katholische US-Philosoph Edward Feser über den Kurzmitteilungsdienst „X“: Bei allem Respekt für den Papst sei dessen Bemerkung zum Lebensschutz und der Todesstrafe „offenkundig falsch“. Er verwies auf die Päpste Innozenz I., Pius V. und Pius X., die gegen Abtreibung und gleichzeitig für die Todesstrafe gewesen seien. Dasselbe gelte für Kirchenlehrer wie Thomas von Aquin, Alfonso de Liguori oder John Henry Newman.
Papst Franziskus ließ im Jahr 2018 den Katechismus bezüglich der Todesstrafe ändern. Dort heißt es jetzt, die Kirche lehre, dass „die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt, und setzt sich mit Entschiedenheit für deren Abschaffung in der ganzen Welt ein“.
Kardinal Cupich indes betonte in seiner Stellungnahme vom Dienstag abermals, dass der demokratische Politiker Durbin die ursprünglich geplante Ehrung, einen „Lifetime Achievement Award“, ausdrücklich als Anerkennung für seinen „einzigartigen Beitrag für eine Einwanderungsreform und seine unerschütterliche Unterstützung für Immigranten“ hätte erhalten sollen. Dies dürfe man nicht als Verwässerung der bischöflichen Position zur Abtreibungsfrage interpretieren. Cupich verwies auch noch einmal auf den Katechismus, in dem jede Abtreibung als „moralisches Übel“ bezeichnet wird.
Cupich besorgt über Spaltung in US-Kirche
Die noch bis Dienstag geplante Ehrung Durbins im Rahmen der Benefizveranstaltung „Keep Hope Alive“ habe er als Einladung an Katholiken verstanden, so der Kardinal, beide Aspekte des Lebensschutzes zu betrachten: sowohl den Einsatz für schutzbedürftige Migranten wie auch den für ungeborene Kinder sowie ältere und kranke Menschen.
Darüber hinaus äußerte sich Cupich besorgt über die Spaltungen innerhalb der katholischen Kirche in den USA, die sich in den vergangenen 50 Jahren in gefährlichem Maße verschärft hätten. „Diese Spaltungen schaden der Einheit der Kirche und untergraben unser Zeugnis für das Evangelium.“ Es sei die Pflicht der Bischöfe, für die Einheit zu werben und alle Katholiken dazu zu ermutigen, die Lehre der Kirche als Ganzes zu akzeptieren.
Bevor Durbin auf die Ehrung verzichtete, hatten insgesamt zehn amerikanische (Erz-)Bischöfe Kritik an den Plänen Cupichs geäußert, unter ihnen der emeritierte Erzbischof von Kansas City und ehemalige Vorsitzenden des Lebensschutzkomitees der US-Bischöfe, Joseph Fred Naumann, der Erzbischof von San Francisco, Salvatore Cordileone, und der Bischof von Springfield, Thomas Paprocki. DT/mlu
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