Das Interview mit Pater Leo Maasburg wurde ursprünglich bereits im Jahr 2013 veröffentlicht. Die Tagespost bietet es anlässlich des heutigen Gedenktags von Mutter Teresa noch einmal zur Lektüre an.
Pater Maasburg, denkt man an Mutter Teresa, die Sie jahrelang begleiteten, dann fällt zuerst ihre Liebe zu den Armen auf, und dann sofort ihre tiefe eucharistische Spiritualität. Wie hängt das zusammen?
Mutter Teresa sagte über sich selbst, das Heiligste Herz Jesu sei ihre „erste und einzige große Liebe“. Wie aber begegnet uns Jesus heute? In der Eucharistie und in den Armen. Er wollte geheimnisvoll verborgen unter uns bleiben in Brot und Wein der Eucharistie. Und ebenso geheimnisvoll verborgen „in der schrecklichen Verkleidung der Ärmsten der Armen“, wie Mutter Teresa es formulierte. Sie sagte immer wieder: „Jesus in der Eucharistie und Jesus in den Armen sind ein und derselbe Jesus.“ Und: „Wenn du Jesus in der Eucharistie wirklich lieben willst, wird es für dich ganz normal sein, diese Liebe zu einer lebendigen Tat für die Armen werden zu lassen.“ Diese Identifikation Jesu mit den Ärmsten ist keine Ideologie. Mutter Teresa nahm einfach Jesu eigenes Wort konsequent ernst: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)
Sind Mutter Teresas „Missionarinnen der Nächstenliebe“ also gleichermaßen ein caritativer wie ein kontemplativer Orden?
Von Anfang an war Mutter Teresa wichtig, klarzustellen, dass ihre Schwestern keine Sozialarbeiterinnen sind, sondern „Kontemplative in der Welt“. Aus der Eucharistie schöpfen sie die Kraft für den Dienst am Nächsten. Deshalb halten die Schwestern täglich mindestens eine Stunde Anbetung vor dem ausgesetzten Allerheiligsten. Ein Beispiel: Nach der großen Überschwemmung in Bangladesch 1972 schickte Mutter Teresa ihre Schwestern dorthin, um zu helfen. Die Katastrophe war gewaltig, und so wurden die Schwestern gebeten, ausnahmsweise die Arbeit nicht für das Gebet zu unterbrechen. Mutter Teresa entschied anders: „Nein, die Schwestern werden für die Anbetung und die Heilige Messe nach Hause kommen.“ Das verstanden viele Helfer angesichts der allgegenwärtigen Not nicht, aber für Mutter Teresa war klar, dass die Kraft ihrer Schwestern versiegen würde, wenn sie nicht von Jesus in der Eucharistie gestärkt zu Jesus in den Ärmsten gehen konnten. Sie sagte oft: „Ohne tägliche Gebets- und Anbetungszeiten hätten die Schwestern spätestens nach zwei Jahren ein Burn-out.“
Wie formte die eucharistische Spiritualität ihren Orden?
Mutter Teresa hatte eine tiefe und intensive Verehrung für die Eucharistie. Sie führte eine tägliche Anbetungsstunde in allen Häusern ihres Ordens ein und verbrachte selbst jede freie Minute vor dem Allerheiligsten. Papst Benedikt sagt über sie: „Mutter Teresa, die uns dieses Beispiel vorgelebt hat und die Gemeinschaft, die ihren Spuren folgt, sah stets als wichtigste Voraussetzung für deren Gründung die Anwesenheit eines Tabernakels an.“ Im Laufe ihres Lebens hat sie 594 Niederlassungen zur Betreuung der Ärmsten der Armen gegründet, aber sie nannte sie nie Armenhäuser oder Hilfszentren. Sie sprach davon, „Jesus einen neuen Tabernakel“ gegeben zu haben! In vielen Fällen brachte Mutter Teresa damit tatsächlich Jesus in die Finsternis eines gottfernen Systems, etwa 1988 in die atheistische Sowjetunion. Von den Bischöfen, die die Schwestern in ihrer Diözese haben wollten, verlangte Mutter Teresa nur dreierlei: die Erlaubnis zum Betteln, einen Priester, bei dem die Schwestern täglich die Heilige Messe besuchen konnten, und die Erlaubnis für einen Tabernakel zur Anbetung des Allerheiligsten im eigenen Haus.
Was könnten wir daraus für unseren christlichen Alltag – persönlich und in den Gemeinden – lernen?
Mutter Teresa forderte die Gläubigen auf, von ihren Pfarrern „das Geschenk der Anbetung wenigstens eine Stunde am Tag“ zu erbitten. Durch die Anbetung wird uns die Größe dieses Geschenks erst bewusst: Fleisch und Blut des Gottessohnes werden in den Gestalten von Wein und Brot gegenwärtig auf den Altären unserer Kirchen. Gott hat uns nicht verlassen, sondern ist präsent in dieser Welt, in den Tabernakeln der größten Kathedralen und der kleinsten Dorfkapellen. Von diesem Brot geht eine große Kraft aus, die uns von der Wirklichkeit der Zwecke und Zwänge frei macht und in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes führt. Mutter Teresa half in Kalkutta immer wieder, die Kommunion auszuteilen. Einmal sagte sie nachher in einer kurzen Meditation: „Heute habe ich geholfen, den Leib Christi auszuteilen. Dabei hielt ich die Kommunion in zwei Fingern und dachte: Wie klein hat sich Jesus gemacht, um uns zu zeigen, dass Er von uns nicht große Dinge erwartet, sondern kleine Dinge mit großer Liebe.“ Kleine Dinge mit großer Liebe zu tun, das hatte sie aus der Eucharistie gelernt: „Gott wird uns eines Tages nicht danach fragen, wie viele große Dinge wir in unserem Leben vollbracht haben, aber er wird uns fragen, wie viel Liebe wir in unser Tun gelegt haben.“
Mutter Teresa verband die eucharistische Frömmigkeit mit einer tiefen Spiritualität des Kreuzes.
Die Eucharistie war für sie die Frucht der Demut Gottes, die sich uns schon im Holz der Krippe und dann wieder im Holz des Kreuzes offenbart. In der Eucharistie zeigt Jesus seinen Jüngern aller Zeiten den Weg des Opfers für die Brüder. Das letzte Wort Jesu am Kreuz lautet „Mich dürstet“ (Joh 19,28) – dieses Wort schmückt das Altarkreuz in jeder Kapelle der „Missionarinnen der Nächstenliebe“. In Jesus dürstet Gott selbst nach unserer Liebe, die wir nur durch und in der Liebe für unsere Brüder tun können. „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, werden wir nach jeder Wandlung erinnert, wenn unter dem Kreuz das Messopfer gefeiert wird. Mutter Teresa sagte: „Wenn wir das Kreuz betrachten, werden wir daran erinnert, wie sehr uns Jesus geliebt hat; wenn wir die Eucharistie betrachten, sehen wir, wie sehr er uns heute liebt.“
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