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Ein Vormittag voller Peinlichkeiten für die Union

Der Bundestag hat nun die Richterwahl verschoben. Aber die Union musste einen hohen Preis dafür zahlen: Sie stand kurz vor dem intellektuellen Offenbarungseid. Der Groll vieler Abgeordneter gegenüber Jens Spahn ist noch nicht verflogen.
Spahn und Merz  im Deutschen Bundestag
Foto: Florian Gaertner (www.imago-images.de) | Viele Konservative müssen sich fragen, warum sie bisher ihre Hoffnungen auf „CDU-Konservative“ à la Jens Spahn und Friedrich Merz gesetzt haben.

Die Umarmungen, die Britta Haßelmann nach ihrer Rede an diesem Vormittag im Bundestag von ihren Fraktionskollegen erhält, sollte sich die Union ganz genau anschauen. Gewiss, nach außen wirken sie wie harmlose Sympathiebekundungen. So sind sie eben, die Grünen, einfach total emotional, mögen da viele naive Christdemokraten denken.

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Tatsächlich drücken diese Gesten aber das aus, was der Union völlig abgeht: weltanschauliche Geschlossenheit verbunden mit Kampagnenfähigkeit. Zuvor hatte Haßelmann eine durchaus intellektuelle Leistung vollzogen: Der Fraktionsvorsitzenden gelang es, zudem in eine Rede zur Geschäftsordnung verpackt, zunächst analytisch das gesamte handwerkliche Versagen der Unionsfraktion, vor allem ihres Chefs Jens Spahn aufzuzeigen. Keiner sonst sprach es an diesem Vormittag im Plenum so deutlich aus wie die Grüne: „Es ist eine unverantwortliche Situation, in die Sie, Jens Spahn, uns gebracht haben.“

Die Grünen können jederzeit ihre Dogmen runterbeten

In diesem Urteil wird ihr, unabhängig von der ideologischen Stoßrichtung, jeder nüchterne Beobachter der Ereignisse der vergangenen Tage zustimmen können. Aber Haßelmann schafft es eben, diese sachlich-korrekte Darstellung mit dem eigenen ideologischen Narrativ zu verbinden. Gegen Frauke Brosius-Gersdorf sei eine beispiellose Kampagne auf rechten News-Portalen gelaufen, man habe versucht, die Juristin als Wissenschaftlerin zu diskreditieren. Vor allem aber – ganz besonders wichtig bei den Grünen – sei hier versucht worden, die berufliche Karriere einer Frau zu zerstören.

Viel Applaus auf der linken Seite des Hauses, natürlich auch bei der SPD. Und damit hat Haßelmann sich und dem ganzen linken Lager eines noch einmal bewiesen: Im Zweifel setzen immer noch die Grünen hier den Ton. Der Auftritt von Heidi Reichinnek von den Linken ist zu schrill, der von Dirk Wiese, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, zwar ideologisch gewürzt, aber sozi-bieder. Und das macht eben den Unterschied: Die Grünen wissen zu jeder Tages- und Nachtzeit, was ihre ideologische Grundlinie ist, sie können ihre Dogmen runterbeten und dann auch noch in die Tagespolitik geschickt einflechten.

Dass die Union nicht viel vom Denken hält, ist nicht neu

Dass die Union nicht viel vom Denken hält, ist wahrlich nicht neu. Bisher hätte man den Christdemokraten aber ihr Macher-Gen zugute gehalten. Nach dem Motto: Intellektuell zwar immer etwas dürftig, aber sie wissen eben wie der Hase läuft. Handwerkliche Polit-Profis. Gerade Jens Spahn, sicher kein Politiker, der in seiner Partei geliebt wird oder als Charismatiker Versammlungssäle in Wallung versetzt, galt hier als Prototyp. Gefühlt schon im Kindergarten den Marschallstab in der Butterbrotdose, kurz nach dem Abitur in den Bundestag, ein Mann, der mit allen Wassern gewaschen ist – so schien es.

Aber ausgerechnet ihm unterlaufen hier Fehler auf Fehler. Warum erkennt er nicht die Problematik der Kandidatin Brosius-Gersdorf, sondern nickt die Vorschläge der SPD einfach ab und lässt sie in den Richterwahlausschuss gehen? Manche Beobachter kolportieren ja immer noch gerne das Narrativ, linke CDU-Leute hätten gar die Position von Brosius-Gersdorf insgeheim unterstützt und deswegen ihre Kandidatur befördert. Und klar, diese linken Christdemokraten werden im sogenannten Merkel-Flügel verortet.

Nichts könnte falscher sein. Angela Merkel, man mag inhaltlich von ihr halten, was man will, wären nie solche machtpolitischen Fehler unterlaufen. Sie hätte auch ziemlich sicher nicht so ungeschickt auf eine Frage geantwortet, wie Friedrich Merz am Mittwoch auf Beatrix von Storch. Schließlich: Die Merkelianer mögen in bestimmten Bereichen, vor allem in der Migrationsfrage, linke Positionen vertreten. Sie leiten sie aber auch nicht selten von einem dezidiert christlichen Selbstverständnis ab. In einer Frage, wo selbst das ZdK klar Position gegen Brosius-Gersdorf bezogen hat, ist gerade von ihnen zu erwarten, dass sie den Schulterschluss mit Kirche und kirchlichen Verbänden suchen.

Die Union muss endlich intellektuell nachrüsten

Viele Konservative müssen sich eher fragen, warum sie bisher ihre Hoffnungen auf „CDU-Konservative“ à la Jens Spahn und Friedrich Merz gesetzt haben. Deren Positionen zu Migrations- und Wirtschaftsfragen mögen ja bei vielen das Herz höher schlagen lassen. Dass Gesellschaftspolitik für sie aber eher „Gedöns“ ist, war auch schon vorher zu vermuten. Wenn die Union als C-Partei überleben will, muss sie begreifen, dass sie hier endlich intellektuell nachrüsten muss.

Der Groll vieler Abgeordneter jetzt mag hier eine Chance sein. Zumal er vom Druck von der Basis herrührt, die damit bewiesen hat, dass sie viel christdemokratischer denkt als ihre eigene Parteiführung. Freilich muss denjenigen in der Fraktion klar sein, die jetzt bereit wären, bei so einer Wende die Wortführerschaft zu übernehmen, dass sie zunächst sicherlich nicht viele Umarmungen bekommen werden.        

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