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Merz und die gute Reise in den Abgrund

Sollte nach Joe Biden auch Olaf Scholz hinschmeißen? Die Botschaften, die die CDU sendet, machen einen Kurswechsel auch unter Führung der Union unglaubwürdig. 
Friedrich Merz mit Ricarda Lang
Foto: IMAGO/Chris Emil Janssen (www.imago-images.de) | Geht es überhaupt ohne die Grünen? Schwierig. Im Bild der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz mit der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang.

Joe Bidens dramatischer Rückzug aus dem US-Präsidentschaftsrennen dürfte auch den ein oder anderen politikinteressierten Deutschen zum Träumen verleitet haben. Wenn es, für alle ersichtlich, einfach nicht mehr weitergeht, sollte man dann nicht besser die Zügel fahren lassen? Wenn ein Joe Biden Abstand von der Fortführung seiner Regierungstätigkeit nehmen kann, warum dann nicht auch ein Olaf Scholz, dessen politisches Projekt schließlich auch nur noch von Durchhalteparolen und Luftbuchungen zusammengehalten wird?

Schon oft ist das Ende der Ampel herbeigeschrieben worden. Gut möglich, dass sie auch die bevorstehenden Haushaltsverhandlungen im Bundestag übersteht. Und wenn nicht? Wer soll Deutschland dann regieren? Den Wählern jedenfalls muss die vergangene Woche auch deshalb zu Denken gegeben haben, weil die größte Oppositionspartei beim Thema Koalitionsalternativen mal wieder mit Nebelkerzen um sich warf.

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Da war zunächst der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der die FDP-Abgeordneten im Europaparlament dafür attackierte, nicht für die alte, neue, und zweifellos nicht unumstrittene Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) gestimmt zu haben. Er habe „schon seit Monaten kaum noch Verständnis für die Haltung einer ganzen Reihe von FDP-Abgeordneten sowohl im Europaparlament als auch im Deutschen Bundestag“, so Merz am vergangenen Freitag. Ein Lob hingegen gab es für die Grünen, die von der Leyen abermals unterstützten: „Wichtig ist, dass Ursula von der Leyen in der Mitte des Europäischen Parlaments – und dazu zählen natürlich auch die Grünen – jetzt eine stabile Mehrheit hat, auf die sie setzen kann“. Was wiederum den stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki auf der Plattform „X“ zu folgendem nicht weniger kuriosen Statement veranlasste: „Lieber Friedrich Merz, ich wünsche Dir mit den Grünen gute Reise – in den Abgrund. Dein Wolfgang.“

Hauptgegner oder Koalitionspartner?

Merz‘ kleiner Flirt irritiert insofern, als er die Grünen noch im letzten Sommer als „Hauptgegner“ apostrophierte. Und so beeilte sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann – ähnlich wie Tage zuvor schon Alexander Dobrindt (CSU) – sogleich einen Gegenakzent zu setzen: „Mit diesen Grünen ist eine Koalition nicht denkbar“, so Linnemann am Sonntag gegenüber der „Rheinischen Post“. Für die CDU käme „nur ein Bündnispartner in Frage, mit dem wir einen echten Kurswechsel einleiten können. Bei den Themen Migration, Wettbewerbsfähigkeit, beim Bürgergeld und den aufgeblähten Strukturen in Deutschland.“

Was sollen die Wähler davon halten? Es gibt zwei Parteien, mit denen ein solcher Kurswechsel hypothetisch möglich wäre: die kleine FDP, gegen die Merz austeilte, und deren Wiedereinzug in den nächsten Bundestag fraglich ist. Und theoretisch die AfD, mit der eine Zusammenarbeit freilich aus guten Gründen ausgeschlossen wurde. Für eine schwarz-gelbe Koalition wird es nicht reichen. Und während mit den Grünen ein Kurswechsel mindestens beim Thema Migration schwer vorstellbar ist, wäre mit der SPD, der schon der eigene Kanzler zu sparsam ist, wohl kaum ein substanzieller Wechsel bei Bürgergeld und „aufgeblähten Strukturen“ zu bewerkstelligen.

Ein Politikwechsel nach der nächsten Wahl ist nicht wirklich glaubhaft, solange die CDU der Grünen oder der SPD bedarf. Aus dieser Falle kommt die Union nicht heraus, solange selbst das Spekulieren über Minderheitsregierungen als politische Todsünde gilt. Die merkwürdig mäandernde Kommunikation in Richtung der Grünen gibt davon Zeugnis. Ob es so gelingen kann, konservative Wähler im Unionslager zu versammeln? Fraglich. Zu unübersehbar ist die große Hintertür in der Pseudobrandmauer zu Habeck & Co., an deren verbaler Wiederaufrichtung Linnemann sich versuchte: nur mit „diesen Grünen“, also genau jetzt, hier und heute, wäre eine Koalition nicht denkbar. Morgen kann es schon ganz anders aussehen. Und in der Folge dann womöglich gar nicht so anders als unter der ungeliebten Ampel.

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