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Houellebecq bekennt sich zum Lebensschutz

Sie werden es schon immer gespürt haben: Linksliberale müssen mehr und mehr erkennen, dass Michel Houellebecq ihre "Werte" nicht teilt. Vielmehr zeigt er auf, dass linksliberale Ideologien den "Untergang des Abendlandes und die Vernichtung dessen Werte befördert, wie zum Beispiel Menschenrechte, Freiheit, Subsidiarität und unverhandelbaren Lebensschutz.
Der unbequemer Mahner Michel Houellebecq
Foto: Boris Roessler (dpa) | Der unbequemer Mahner Michel Houellebecq: "Ich werde hier sehr explizit sein müssen: Wenn es mit einem Land - einer Gesellschaft, einer Zivilisation - so weit ist, dass es die Euthanasie legalisiert, verliert es in ...

Michel Houellebecq ist lange Zeit fast ausschließlich als Romancier wahrgenommen worden, während sein essayistisches Werk mit seinen kantigen Ausfällen gegen die moderne Welt und seinem scheinbar nihilistischen Defätismus bestenfalls als gelegentliche kalkulierte Provokation wahrgenommen wurde; eine Art bewusste Selbstmystifizierung, mit der der Autor seinen Ruf als „enfant terrible“ nur noch zu unterstreichen trachtete, aber keinesfalls eine „Selbstaussage“, welche Rückschlüsse auf den inneren Gehalt seiner Romane erlauben würde. 

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Nun stellt es sich zunehmend heraus, dass die Literaturwissenschaft sich hier ein Bein gestellt hat – auch und vor allem in Deutschland, wo man den unverkennbar konservativen Beiklang Houellebecqs bis heute nicht wahrhaben will. Denn da „rechte“ Autoren (zumindest, solange sie noch leben) zunehmend jeglichen Anspruch verwirkt haben, in Feuilleton und Literaturzeitschriften ernsthaft diskutiert zu werden, weil man ihnen aus Gründen politischer „Haltung“ kein „Forum“ für die Verbreitung ihrer „kruden“ Ideen bieten will (wie es heute so schön heißt), Houellebecq nun aber einmal eine der wichtigsten Stimmen der modernen europäischen Literatur ist und in Frankreich trotz (oder wegen?) seiner Aussagen mit literarischen Preisen, kürzlich sogar dem der Ehrenlegion bedacht wurde, muss sein Werk in Deutschland halt „gegen den Strich“ gelesen werden: Nicht etwa als ebenso erschütternde wie hoffnungslose Anklage der linksliberalen Demontage all dessen, was noch von traditionellen Werten übrig geblieben ist, sondern vielmehr als „engagierte“ Stimme im Kampf gegen „Kapitalismus“, „Patriarchat“ und „rechte Hetze“. 

Die Fehldeutungen sind nicht mehr aufrecht zu erhalten

Doch dieser Spagat ist in den vergangenen Jahren kaum noch aufrecht zu halten. Schon an „Unterwerfung“ (2015) schieden sich klar die Geister, denn das Werk etwa als „ironische Parodie“ auf „rechte Verschwörungstheorien“ vom „großen Austausch“ und der nahenden „Islamisierung Europas“ zu deuten, geht wohl nur, wenn man weder den Roman gelesen, noch Houellebecqs Interviews und Essays analysiert hat und auch den intellektuellen und politischen Kontext jenes real existierenden Frankreichs ausblendet, für das Houellebecq schreibt und lebt. Die – von der Presse weitgehend totgeschwiegene – Annahme des „Oswald Spengler-Preises“ 2018 durch Houellebecq und seine fulminante Festrede (publiziert 2019), die in einem emotionalen Bekenntnis zum Abendland und seiner Hoffnung auf eine Restitution des Christentums als europäischer Leitkultur gipfelte, war ein weiterer Markstein in der politischen und ideologischen Selbstpositionierung Houellebecqs, ebenso wie sein jüngst erschienener Essayband „Interventions“ (2020). Seitdem geht es Schlag auf Schlag: Houellebecq äußert sich klarer denn je zu zeitgenössischen Themen und ist zu einer der wichtigsten Stimme des konservativen französischen Milieus geworden, die auch von den Massenmedien nicht ignoriert werden kann.

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 Er legt sich mit Euthanasie-Befürwortern an 

Auch Houellebecqs neuester Aufsatz im „Figaro“ mit dem Titel: „Une civilisation qui légalise l?uthanasie perd tout droit au respect“ (Eine Zivilisation, die Euthanasie legalisiert, verliert jedes Recht auf Respekt), ist als ein starkes konservatives Bekenntnis zum „Leben“ zu verstehen. Ausgehend von der gegenwärtigen Debatte um die Legalisierung der Sterbehilfe in Frankreich führt Houellebecq schrittweise alle Elemente der modernen Argumentation ad absurdum: Die moderne Medizin macht selbst schwerste Schmerzen erträglich; die „Würde“ des Menschen besteht im Leben, nicht im Selbstmord; den Tod „wollen“ kann niemand, der bei klarem Verstand ist; die Beteuerung des „Mitleids“ ist eine durchsichtige Lüge; der Verweis auf den „Fortschritt“ von Nachbarländern wie Belgien oder die Niederlande ist eine Farce, etc.

Doch vor allem: Houellebecq legt anhand einer schonungslosen Demontage der Euthanasie-Befürworter Anne Bert, Jacques Attali und Alain Minc klar, wo die wahren Gründe des vermeintlichen Humanismus eines Sterbens in „Würde“ liegen: nämlich im schnöden Interesse der Nachkommen an einem schnellen Erbe und dem des Staates an einer möglichen Senkung der hohen Betreuungskosten für todkranke Menschen. Freilich hegt Houellebecq keinerlei falsche Hoffnungen: Er weiß, dass der zu erwartende Widerstand der Katholische Kirche von den Medien lächerlich gemacht und derjenige der Juden, Muslime und Buddhisten einfach totgeschwiegen werden wird, um nicht der „Intoleranz“ bezichtigt zu werden. Selbst die Opposition der Ärzte, die vom Staat zum offenen Bruch des Hippokratischen Eides aufgefordert werden, ist wohl langfristig gesehen nur ein Rückzugsgefecht. Was folgt nun für Houellebecq daraus? Eine erschreckende, aber nicht ganz unverständliche Konsequenz: „Ich werde hier sehr explizit sein müssen: Wenn es mit einem Land – einer Gesellschaft, einer Zivilisation – so weit ist, dass es die Euthanasie legalisiert, verliert es in meinen Augen jegliches Anrecht auf Respekt. Es wird daher nicht nur legitim, sondern sogar wünschenswert, es zu vernichten, damit etwas anderes – ein anderes Land, eine andere Gesellschaft, eine andere Zivilisation – die Möglichkeit hat, an ihre Stelle zu treten.“ 

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Das Alte muss vergehen ...

Die Radikalität dieser Aussage muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Es handelt sich um nichts weniger als die vollständige und unerbittliche Bankrotterklärung der westlichen Zivilisation. Das Abendland ist nicht nur dabei, sich durch seinen moralischen Relativismus und Hedonismus zu diskreditieren, ja gar selbst aufzulösen: Es hat auch nichts Besseres verdient als dieses Ende; und wem wahrhaft daran gelegen ist, dass Anstand, Sitte und wahre Menschlichkeit erneut zu den Leitsternen unserer Gesellschaft werden, wäre nach Nietzsches Diktum gut beraten, das, was fällt, auch noch zu stoßen. 

Wie jene neue Gesellschaft beschaffen sein wird, die an die Stelle der alten treten wird, verrät Houellebecq in diesem Aufsatz nicht. Wer aber mit seinem Denken vertraut ist, weiß, dass er auf eine neue Religiosität hofft und hierbei wohl eher nach Osten als nach Süden schaut. Die islamische Kultur, so Houellebecq, ist aufgrund ihres inhärenten Hedonismus und ihrer Verstrickung in den kulturellen Niedergang des Westens keine wirkliche Alternative; höchstens, wie „Unterwerfung“ suggeriert, eine Möglichkeit, das niedergehende Abendland durch ein neues Korsett religiöser Scheinheiligkeit zu stützen. Der westliche Katholizismus ebenso wie die alte Aristokratie gelten Houellebecq, obwohl er sie tief bewundert, als klinisch tot. Bleibt also nur die Hoffnung auf eine mögliche Neubegründung der westlichen Zivilisation aus dem Geiste der Orthodoxe Kirchen? 

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