Michel Houellebecq hat aus der Provokation ein Geschäftsmodell gemacht: Ob es nun die Omnipräsenz pornographischer Themen ist, der Zynismus seiner Protagonisten oder schließlich die Brutalität vieler seiner Aussagen – Houellebecq macht es seinen Kritikern gerne einfach und seinen Lesern gerne schwer. Oder vielleicht ist es ja auch andersherum: Macht er es womöglich eher seinen Kritikern schwer und seinen Lesern einfach, indem er letzteren gefahrlosen Voyeurismus bietet und erstere weitgehend im Unklaren lässt, ob die in seinen Büchern vertretenen Positionen nun seine eigenen sind oder vielmehr nur dichterische Freiheit, ja vielleicht sogar ironisch verkleidete Kritik?
Die Situation des europäischen Kontinents ist Houellebecqs Kernthema
Michel Houellebecq hätte mit seiner Revolutionierung des Romans durch einen hochartifiziellen minimalistischen Schreibstil (und auch mit seiner geschickten Selbststilisierung) eines Platzes in der französischen Literaturgeschichte sicher sein können. Doch scheint er in den letzten Jahren auch in einem Bereich hervortreten zu wollen, der bislang nur peripher in seinen Romanen erschien: der Politik, und hier im Besonderen der gegenwärtigen politischen und kulturellen Situation des europäischen Kontinents.
Pauschalisierende Bemerkungen zum Islam
Schon in Plateforme (2001) und La possibilité d'une île (2004) war Houellebecq mit arg pauschalisierenden Bemerkungen zum Islam hervorgetreten, welche er dann auch in einigen Interviews vertiefte, wie etwa 2001, als er sich einen Prozess wegen Rassismus einhandelte. Erst mit Soumission (2015) stellte Houellebecq seine Islam-Kritik in den allgemeinen Kontext einer umfassenderen Analyse der Lage Europas und lieferte hierbei einen wahren Paukenschlag, der auch ohne den Zusammenfall zwischen der Veröffentlichung und den Pariser Attentaten für Aufsehen geregt hätte.
DT/mee (jobo)
Wie Professor David Engels die Islamkritik und das Europabild des Schriftstellers Michel Houellebecq einschätzt und warum er ihm „geschichtsphilosophische Spekulationen“ zuschreibt, erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe der „Tagespost“ vom 4. April 2019.