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Erich Przywara gab seiner Epoche kraftvolle Impulse

Der katholische Denker Erich Przywara gab seiner Epoche kraftvolle Impulse auch über die Philosophie hinaus.
Erich Przywara, Philosoph
Foto: IN

In dem Nachkriegswerk „Humanitas. Der Mensch gestern und morgen“ (1952) sprach Erich Przywara von „abendländischen Stimmen“, die „nicht eine einzelne Nation, sondern allein das Abendland als solches zu ihrer Heimat haben“. Mit Fug und Recht lässt sich dieser Satz auf Przywara selbst anwenden.

Geboren am 12. Oktober 1889 in Kattowitz, gestorben am 28. September 1972 in Hagen bei Murnau, begraben auf dem Jesuitenfriedhof in Pullach bei München, war Przywara ein großer Vermittler zwischen Philosophie, Literatur und Theologie.

„Auf der einen Seite sind die religiösen Erneuerungsbewegungen vielleicht stärker denn je.
Auf der andern Seite zeigt sich aber auch greller denn je ihre Gegensätzlichkeit zueinander,
und eine solche, um die nicht selten schon so etwas wie düsterer Fanatismus flackert“

Als polnisch-deutscher Oberschlesier war er während des Kulturkampfes im holländischen Valkenburg bei den Jesuiten scholastisch ausgebildet, aber zugleich in der Patristik und im deutschen Idealismus geschult und insbesondere in Kierkegaard und Nietzsche – zwei geschätzte Gegenpole – eingelesen. Er wurde in den 20er Jahren rasch neben Romano Guardini und Karl Adam eine sichtbare Gestalt im deutschen Katholizismus, veröffentlichte in den renommierten „Kantstudien“ und in „Logos“ (als Jesuit, bis dahin undenkbar) und redigierte 1922–1941 bis zur Aufhebung die berühmte Ordenszeitschrift „Stimmen der Zeit“.

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1932 erschien sein bedeutendstes Werk „Analogia entis“, von 1944 bis 1945 wirkte er auf Einladung der Kardinäle Faulhaber und Innitzer mit Vorträgen in München und Wien, wo er das Inferno der beiden Städte miterlebte; seine apokalyptische Deutung nannte er „Theologie der Stunde“. Nach 1934 wirkte er weiterhin als Schriftsteller, Vortragender und Rezensent. Przywara starb verlassen in einer Psychose, die sich schon vor dem Krieg angekündigt hatte. Hans Urs von Balthasar widmete ihm als seinem „Schüler“ eine große Studie. In den Bänden „Gottgeheimnis der Welt. Drei Vorträge über die geistige Krisis der Gegenwart“ (1923) und „Ringen der Gegenwart“ (1929) griff Przywara die philosophischen, theologischen und literarischen Debatten nach dem Ersten Weltkrieg auf.

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Er war ein Förderer John Henry Newmans

Eine Vielzahl bedeutender Namen, Schulen und Bewegungen wird referiert und beurteilt: Phänomenologie, Neukantianismus, Neuthomismus, die protestantische Theologie Marburgs und die katholischen Aufbrüche: liturgische Bewegung, Akademikerbewegung und literarischer renouveau catholique. Przywara wurde auch ein Bahnbrecher für John Henry Newman durch eine Auswahl von dessen Texten mit Einführung 1922. Er verteidigte ihn entschlossen gegen den Modernismus-Verdacht und rückte ihn neben Thomas von Aquin: „In der Einheit Thomas-Newman liegt wie in einem Personsymbol die Sendung des Katholizismus an die Philosophie: Ich sage dir, stehe auf!“ Damit erhielt er durchaus Kritik: Przywara verfuhr in der Tat nicht selten in gewalttätiger Zusammenschau.

Doch lässt sich über ihn ein Großteil des irritierenden, aber auch fruchtbaren geistigen Spektrums nach dem niederdrückenden Ende des Ersten Weltkriegs erfassen. Seine Aufsätze lesen sich um so spannender, als diese ebenso orientierungslose wie orientierungssuchende Zeit trotz aller Erneuerung auf die Katastrophe nach 1933 zutrieb. Dennoch stecken diese Jahre voll schöpferischer künstlerischer und philosophischer Impulse. Przywara hat diese Strömungen nicht nur verfolgt, sondern auch fruchtbar aufbereitet, bewertet und dem christlichen Maßstab unterstellt. „Das Bild der gegenwärtigen Stunde ist merkwürdig zerrissen. Auf der einen Seite sind die religiösen Erneuerungsbewegungen vielleicht stärker denn je. Auf der andern Seite zeigt sich aber auch greller denn je ihre Gegensätzlichkeit zueinander, und eine solche, um die nicht selten schon so etwas wie düsterer Fanatismus flackert. Es ist ein stürmischer Vorfrühling mit allem betäubenden Föhn und plötzlichen Frösten solcher Zeit.“ – „Wie retten wir den Geist jener Aufstiegsjahre, jener blühenden Lenze in den grauen Alltag, der unentrinnbar uns umspinnt?“

Die Verknüpfung dreier Bewegungen seiner Zeit

Przywaras Leistung war es, drei „Bewegungen“ der 20er Jahre miteinander in Verbindung zu setzen: die Phänomenologie, die liturgische Bewegung und die Jugendbewegung. Das Auftauchen des Thomas von Aquin im Umkreis der Phänomenologie galt ihm als Anzeichen, die rationalistische Verengung auf das erkennende „Ich“ werde endlich dreifach überwunden: durch den Willen zum Objekt, den Willen zur Wesenheit, den Willen zu Gott.

In der liturgischen Bewegung sah Przywara als besonderes „Psychogramm“ (wie er es nannte) ausgedrückt: „Wille zur Form gegenüber freiwachsendem Leben, Wille zur Gemeinschaft gegenüber einseitigem Individualismus, Wille zur in Gott ruhenden, selbstwertigen vita contemplativa gegenüber der Verzwecklichung einer übersteigerten vita activa.“

Was die Jugendbewegung angeht, so hielt Przywara den Umsturzwillen für überwunden, der im Aufbruch der freideutschen Jugend so aufdringlich erkennbar war. Im Gegenteil: Er glaubte in der katholischen Version drei Komponenten zu erkennen, die einer Krankheit des deutschen Geistes entgegenwirkten: „Es ist der Wille zum Eigenwert der Person im Gegensatz zur Verknechtung unter die Sachwerte von Beruf und Amt. Es ist zweitens der Wille zum freien, inneren Wachstum der Liebe im Gegensatz zur rein äußeren Knechtschaft der Nur-Pflicht. Es ist endlich drittens der Wille zu solchen Formen und Gesetzen, die der äußere Ausdruck des inneren Wesens des Lebens sind, im Gegensatz zu Formen und Gesetzen, für die das Leben nur knechthaftes ,Anwendungsgebiet‘ ist. Wille zur Person, Wille zur Liebe, Wille zur Lebensform.“

Edith Stein, von le Fort und Reinhold Schneider beeinflusst

Dieselbe geistige Spannkraft machte Przywara seit 1922 zu einem Ratgeber für Gertrud von le Fort, welche auch unter seinem Einfluss 1924 die berühmten „Hymnen an die Kirche“ schrieb. Ebenso gewann Przywara die Konvertitin Edith Stein 1925 für die Übersetzung von Newmans Briefen vor der Konversion und der Idee der Universität sowie der „Quaestiones disputatae de veritate“ und „De ente et essentia“ des Thomas von Aquin. Vermutlich machte er auch Edith Stein und le Fort um 1932 in München miteinander bekannt. Die Treffen der beiden Frauen hatten literarische Folgen: le Fort zeichnete die Gestalt der „Frau unter dem Schleier“ in ihrem Werk „Die ewige Frau“ (1934) nach Edith Stein.

Reinhold Schneider („Pfeiler im Strom“, 1958) würdigte Przywara als einen der wenigen, die das Ende des Dritten Reiches, des neuen „Babylon“, auslegen konnten: „Wieder tafelt Belsazar, die Kultgeräte ,eines einstmals heiligen Abendlandes‘ stehen auf dem Tisch. Wir sind exiliert als ,Hofgesinde Babylons‘ und dienen Belsazar mit der Weisheit des Abendlandes, Zauberer der Technik, in die Gefahr ,tierischen Wahnsinns‘ verstoßen.“ Und Schneider arbeitet Przywaras beschwörenden Gedanken heraus, dass sich im Untergang die Rettung abzeichne, ja, dass Todesnacht und Hoch-Zeit eines seien: „Die Stunde der Gottheit dunkelt durch die Stunde des Antichrist; die Finsternis ist ,schwanger von Sternen‘; Gott wirkt durch den ,Anti-Gott‘... Das alles ist unerträglich. Sollte es doch Christentum sein, die Theologie der Stunde?“ So gesehen wäre Przywara ein Deuter der apokalyptischen Stunde.

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