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Florian Ripka: „Die Not bringt die Kirchen zusammen“

Florian Ripka, Geschäftsführer von „Kirche in Not Deutschland“, beschreibt die Lage in den Kriegsgebieten in der Ukraine. 
Menschen sitzen um eine Lampe in einem Bunker in Mariupol
Foto: Evgeniy Maloletka (AP) | Menschen sitzen um eine Lampe in einem Bunker in Mariupol.

Herr Ripka, die Lage in den militärischen Kampfgebieten der Ukraine wird immer schwieriger. Mit welchen kirchlichen Stellen konnten Sie in den letzten Tagen sprechen?

Unsere Projektabteilung ist pausenlos im Kontakt mit Bischöfen, Priestern, Ordensfrauen und Helfern der Diözesen und Pfarreien in der Ukraine. Zum Beispiel mit dem römisch-katholischen Bischof von Charkiw-Saporischschja, Pawlo Hontscharuk, der uns von großen Schäden und zahlreichen Toten in vielen Stadtvierteln Charkiws berichtet hat. Seine Foto- und Videodokumente zeigen, dass die russische Armee auch Zivilgebäude und Wohnviertel beschießt.

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Ein weiterer Kontakt ist Pfarrer Grzegorz Draus aus Lwiw (Lemberg). Er ist seit Kriegsausbruch zu einer Art „Manager der Flüchtlingsströme“ geworden, die über die Stadt hereingebrochen sind. Er berichtet, es herrsche ein ständiges Kommen und Gehen.

Mitglieder der Pfarrgemeinde hätten Matratzen, Bettzeug und Lebensmittel zusammengetragen. Die Flüchtlinge würden im Gemeindehaus in allen verfügbaren Räumen aufgeteilt. Die polnische Grenze ist nur gut 70 Kilometer von Lwiw entfernt, doch der Grenzübertritt dauert aktuell bis zu zwei Tage.

Wie können kirchliche Hilfswerke derzeit dort die Menschen unterstützen? Haben Sie Kontakt zu den Menschen in den Kampfgebieten?

Ja, wir haben viele direkte Kontakte ins Kriegsgebiet, deren genauen Zufluchtsort wir oft nicht preisgeben dürfen, um unsere Projektpartner nicht zu gefährden. Ein Beispiel dafür sind jene kontemplativen Ordensfrauen in der Nordukraine, die nachts in einem sicheren Luftschutzraum Unterschlupf suchen müssen und darum nur noch im Ordensgewand zu Bett gehen. In der Nähe des Klosters sind bereits mehrere Bomben eingeschlagen, eine junge Familie ist dabei ums Leben gekommen. Die Schwestern haben drei Familien bei sich im Kloster aufgenommen, die große Angst um ihr Leben haben.

Es ist Krieg und die Kirche ist das Rückgrat der Hoffnung und der Hilfe. Das merken wir in allen Gesprächen. Die Kirche bleibt bei den Menschen und „Kirche in Not“ befähigt sie dazu. Unsere Hilfe geht direkt über die Bischöfe zu den Menschen. Wo Seelsorge stattfinden kann, sind die Menschen tatsächlich weniger niedergeschlagen und können trotz der Krise Hoffnung haben. Das geht nur, wenn die Priester und Ordensleute sich mit dem Nötigsten versorgen können. Lebensmittel und Treibstoff sind sehr teuer geworden. Durch die Unterstützung von „Kirche in Not“ bleiben die Priester mobil und können sich um ihre Gemeinden und die vielen Flüchtlinge kümmern.

Florian Ripka, Geschäftsführer von „Kirche in Not Deutschland“
Foto: Kirche in Not Deutschland

 

Katholiken bilden in der Ukraine eine christliche Minderheit. Nehmen Sie Bewegung in der Ökumene durch den Krieg wahr? Was verändert sich?

Die Not bringt die Kirchen zusammen. Ein Beispiel: In Charkiw besuchten Vertreter der katholischen und der orthodoxen Kirche gemeinsam die Menschen im Krankenhaus. Bei Gottesdiensten sitzen Baptisten, Freikirchler, Orthodoxe und Katholiken nebeneinander. Und das ist gut so.

„Orthodox, protestantisch oder katholisch, wir sind uns sehr einig in der Unterstützung unseres Volkes“, betonte Großerzbischof Schewtschuk kürzlich in einem Gespräch mit „Kirche in Not“. „Wir haben die gleiche Friedensbotschaft.“

Würde ein flammender Appell des Papstes an Putin, den sich manche Katholiken erhoffen, aus Ihrer Sicht helfen?

Der Papst hat bereits mehrfach zum Frieden aufgerufen und seine Vermittlung angeboten. Aktuell sind zwei Kardinäle auf dem Weg in die Ukraine, um Präsenz zu zeigen und um zu sondieren, wie Frieden möglich sein kann. Der Vatikan agiert öffentlich durch Gebet und Appelle, wir dürfen, denke ich, darüber hinaus darauf vertrauen, dass der Heilige Stuhl hinter den Kulissen nichts unversucht lässt, um für den Frieden zu wirken.

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Der Krieg in der Ukraine hat die größte Flüchtlingswelle seit 1945 in Europa ausgelöst. Welche Konsequenzen sollte die Kirche in Deutschland daraus ziehen?

Die größte Kompetenz der Kirche liegt in der Seelsorge.

Viele traumatisierte Menschen werden uns in nächster Zeit erreichen. Sie alle brauchen Betreuung und die glaubhafte Vermittlung der Frohen Botschaft. Ich denke, hier liegt eine große Chance für die Kirche, über sich hinaus zu wachsen und wieder relevant zu werden. Das gilt für die ganze Kirche, nicht nur für die Amtsträger.

Welche Berichte aus der Ukraine haben Sie in den letzten Tagen menschlich persönlich berührt?

Beeindruckt hat mich, wie sehr das Gebet die Angst vertreibt. Dort, wo sich Menschen mit ihrem Priester um das Allerheiligste versammeln, wird neuer Mut geboren. Die Zeugnisse, die uns erreichen, sind bewegend. Eines stammt von Pfarrer Mateusz aus der römisch-katholischen Gemeinde St. Antonius in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Er hat uns berichtet, dass in vielen Bunkern und Zufluchtsorten aufgrund der Enge und der Angst viel Wut und viel Verzweiflung herrschten. Es werde viel geweint und getrauert. Bei ihnen im Bunker sei die Atmosphäre aber anders, und das sei nur dem Gebet zu verdanken.

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In diesem Luftschutzkeller seiner kleinen Gemeinde werde jede Nacht stundenlang die Eucharistische Anbetung von mehr als 30 Personen gepflegt. Darunter befänden sich auch einige Kinder. Trotz der stärker werdenden Angriffe auf Kiew sagte Pfarrer Mateusz, er vertraue darauf, dass die Stimme der Kriegsopfer, der Waisen und Witwen zu allen Menschen der Welt gelangt: Ein Christ soll für seine Feinde beten. Und deshalb sollten wir uns alle vor Hass und Gewalt hüten! Das sind Worte, die in der aktuellen Situation ins Herz treffen.

"Das ganze Werk „Kirche in Not“
ist der Gottesmutter von Fatima geweiht."

Unterstützt „Kirche in Not“ die Bitte der römisch-katholischen Bischöfe an den Papst, Russland und die Ukraine dem Unbefleckten Herzen Mariens zu weihen?

„Kirche in Not“ ist eng mit der Botschaft von Fatima verbunden. Die Marienweihe ist ein wichtiger Aspekt in unserer Spiritualität. Das ganze Werk „Kirche in Not“ ist der Gottesmutter von Fatima geweiht. In den Nationalbüros wird diese Weihe oft an den Fatimatagen wiederholt. Ich selbst bin davon überzeugt, dass die Weihe an Maria sehr viel bewirkt und würde es begrüßen, Russland und die Ukraine dem Unbefleckten Herzen Mariens zu weihen.

Kann es angesichts der Regierungsnähe des Moskauer Patriarchats ein „Weiterso“ in der Ökumene mit der russisch-orthodoxen Kirche geben?

Ökumene ist ein andauernder Prozess. Ziel ist die Einheit in Christus. Die aktuellen Ereignisse werden vieles verändern. Wenn ich sehe, dass in den Luftschutzbunkern Vertreter aller Kirchen nebeneinanderstehen und beten, so macht mich das zuversichtlich. Hoffen und beten wir, dass aus dem aktuellen Kreuzweg der Menschen in der Ukraine ein strahlender Ostermorgen werden kann.

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