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Jean Daniélou: Er liebte alles, was er pries

Der französische Jesuit und spätere Kardinal Jean Daniélou bereicherte als großer Kenner der Väter, der Schrift und der frühen Kirche das Zweite Vatikanische Konzil.
Die vier großen Kirchenväter auf einem Gemälde von Jacob Jordaens (1593-1678). Ambrosius,
Foto: IMAGO/H.Tschanz-Hofmann (www.imago-images.de) | Die vier großen Kirchenväter auf einem Gemälde von Jacob Jordaens (1593-1678). Ambrosius, Hieronymus, Augustinus und Gregor der Große werden als die Väter der lateinischen Kirche bezeichnet.

Sein Theologieprofessor war niemand Geringeres als Henri de Lubac. Und genau wie sein Lehrer und Ordensbruder, für den die französische Bischofskonferenz vor kurzem ein Seligsprechungsverfahren eröffnete, blickte der Jesuitenpater und spätere Kardinal Jean Daniélou auf die Ursprünge des christlichen Glaubens zurück, um Impulse für das Glaubensleben der Gegenwart zu erhalten. Und ganz nebenbei machte Daniélou – dessen Schriften nur unvollständig ins Deutsche übertragen worden sind – außerdem genau diese Impulse für das Zweite Vatikanische Konzil fruchtbar.

Rückkehr zur biblisch-patristischen Tradition

„Ressourcement“ wird heutzutage die Glaubensbewegung genannt, die ab den 1940er-Jahren nicht nur Daniélou und de Lubac, sondern auch weitere bedeutende katholische Theologen wie Hans Urs von Balthasar, Yves Congar und Joseph Ratzinger umfasste. Ihr Ziel: Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts innerhalb der katholischen Theologie vorherrschende Paradigma einer neuthomistischen beziehungsweise neoscholastischen Denkweise mithilfe einer Rückkehr zur biblisch-patristischen Tradition zu überwinden – und gleichzeitig sowohl mit anderen Religionen und christlichen Konfessionen als auch der modernen Gesellschaft in einen Dialog zu treten.

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Jean Daniélou tat das, indem er in zum Teil durchaus populär geschriebenen Büchern einen frischen Blick auf die Ursprünge des christlichen Glaubens und Denkens warf. Außerdem stellte er sich als Gesprächspartner für religiöse wie für säkular denkende Menschen gleichermaßen zur Verfügung.

Mit Gregor von Nyssa zurück zu den Ursprüngen

Daniélou, 1905 im französischen Neuilly-sur-Seine nahe Paris geboren, wurde 1929 Jesuitenpater und empfing 1938 das Sakrament der Priesterweihe. Nach weiterführenden Studien dozierte er ab 1940 an der Jesuitenschule in Poitiers und ab 1943 am Katholischen Institut von Paris, wo ihm in den Jahren 1963 bis 1969 als Dekan die Leitung der Katholischen Fakultät oblag. Ähnlich wie Henri de Lubac in seiner Studie über Origenes („Geist aus der Geschichte. Das Schriftverständnis von Origenes“, 1950) und Hans Urs von Balthasar mit seinem Werk über Maximus Confessor („Kosmische Liturgie. Das Weltbild Maximus?des Bekenners“, 1961) blickte Jean Daniélou mithilfe akribischen Quellenstudiums ebenfalls auf Lehrmeister der frühen Kirche:

In seinem Fall war es zunächst Gregor von Nyssa („Platonisme et théologie mystique: doctrine spirituelle de saint Grégoire de Nysse“ von 1944 sowie „L'être et le temps chez Grégoire de Nysse“ von 1972), später dann Philon von Alexandrien (1958) sowie ebenfalls Origenes (1948). Gleichzeitig weitete er kirchenhistorisch den Blick auf die Entwicklung der frühen Kirche – so zum Beispiel in seiner Monographie „Die Manuskripte vom Toten Meer und die Ursprünge des Christentums“ (1957) oder auch in seiner dreibändigen „Histoire des doctrines chrétiennes avant Nicée“ (1958-1978), in der er sich sowohl der Theologie des Judenchristentums, dem Verhältnis von christlichem Glauben und hellenistischem Geistesleben als auch den Ursprüngen des lateinischen Christentums widmete.

Späte Jahre als Konzilstheologe und Kardinal

Zudem erläuterte er den biblisch-patristischen Ursprung der kirchlichen Sakramentenlehre („Liturgie und Bibel“, 1951), Symbole und Zeichen des frühen Christentums („Les symboles chrétiens primitifs“, 1961) oder auch die Bedeutung der Kindheitsevangelien Jesu („Les Évangiles de l'enfance“, 1967) sowie der Engel („Les Anges et leur mission, d'àprès les Pères de l'église“, 1952) aus Sicht der Kirchenväter. Und mit seinen Büchern über Jesus Christus („Wege zu Christus“, 1961), die heilige Dreifaltigkeit („La Trinité et le mystère de l?xistence“, 1968) , das christliche Verständnis der Geschichte („Essai sur le mystère de l'histoire“, 1953 oder die Zukunft des christlichen Glaubens („Die Zukunft der Religion“, 1969) widmete er sich konkreten Glaubensinhalten und deren Relevanz für die Gegenwart.

Jean Daniélou
Foto: Wikipedia | Jean Daniélou (rechts) mit Giorgia la Pira, dem Bürgermeister von Florenz, im Jahr 1953.

Daniélou, der von seinen Zeitgenossen nicht nur als hoch gebildet, sondern auch als ausgesprochen warmherziger Mensch und Seelsorger wahrgenommen wurde, blieb es im Gegensatz zu theologischen Mitstreitern wie Henri de Lubac oder auch Yves Congar erspart, zeitweilige Lehr- oder Schreibverbote über sich ergehen lassen zu müssen. Es war ganz im Gegenteil keinerlei stillschweigende oder offiziell verlautbarte Rehabilitation für ihn nötig, um in den Jahren 1962 bis 1965 als Peritus am Zweiten Vatikanischen Konzil teilzunehmen. Zwar ist Jean Daniélou im Gegensatz zu Henri de Lubac, Yves Congar, Joseph Ratzinger oder auch Karl Rahner möglicherweise nicht der ganz große Einfluss auf den Konzilsverlauf nachzuweisen – doch sein profundes Wissen über die frühe Kirche, die Schrift und die Väter sowie der Wille zum Dialog mit Andersgläubigen und säkularen Zeitgenossen dürfte zweifellos in die großen Konzilsdokumente eingeflossen sein.

Kritischer Blick auf Entwicklung der Kirche

Am 28. April 1969 nahm ihn Paul VI. als Kardinaldiakon mit der Titelkirche San Saba in das Kardinalskollegium auf – eine Ehre, die er wie später Henri de Lubac oder auch Hans Urs von Balthasar zunächst mehrfach ablehnte. 1972 wurde er Mitglied in der Académie française und zudem in die Accademia Nazionale dei Lincei aufgenommen. Ähnlich wie sein Lehrer de Lubac sah er die Entwicklung der Kirche nach dem Ende des Konzils kritisch – vor allem die Krise des Ordenslebens, die er auf drei Faktoren zurückführte: Einerseits die Tendenz, sich zu sehr einer säkularen Lebensform annähern zu wollen, andererseits die Abwertung von Regeln zugunsten von Spontaneität und Improvisation oder im Namen einer missverstandenen Freiheit und schließlich die Infragestellung der Wahrheit des christlichen Glaubens selbst.

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Außerdem engagierte sich Daniélou in Paris intensiv in der Seelsorge für Menschen in prekären Lebenssituationen, wie beispielsweise Prostituierten: Er starb am 20. Mai 1974 an einem Herzinfarkt im Treppenhaus eines Pariser Bordells, welches er in Ausübung seiner seelsorgerischen Tätigkeit besuchte, und wurde später in der Jesuitengruft des Friedhofs in Vaugirard in Paris beigesetzt. Hans Urs von Balthasar, der maßgeblich durch die Begegnung mit Henri de Lubac und Jean Daniélou zum Studium der Kirchenväter und des frühen Christentums angeregt wurde, veröffentlichte und übersetzte Daniélous Buch „Gebet als Quelle christlichen Handelns“ ins Deutsche.

Er schrieb über seinen Freund im dazugehörigen Vorwort: „Er liebte. Er liebte alles, was er in diesem Buch preist: nicht nur Gott und seine zentralen Glaubensgeheimnisse; er liebte das Gebet und war von seiner ,politischen‘, weltverändernden Wirkung tief überzeugt, er liebte die Demut, die er ausstrahlte, die Armut, die seine Existenz auch als Kardinal so sehr prägte, dass es die Verwunderung vieler auf Dekorum Bedachten erregte, er liebte es, in seinem Apostolat in der Kirche, als Kirche über die Kirche hinaus zu wirken.“

Lesen Sie das ausführliche Interview mit dem Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp in der kommenden Ausgabe der "Tagespost".

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