Der Gemeindegesang als ein Kernelementen einer katholischen Messfeier, das entspricht spätestens seit der Liturgiereform Papst Pauls VI. in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts der allgemeinen Überzeugung. So dienten die in den Nachwirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils verordneten Änderungen dazu, in der katholischen Messfeier eine zeitgemäße Liturgie zu etablieren und die Gemeinde stärker daran zu beteiligen.
Wenn dann in der Folge vor allem in den 70er Jahren zahlreiche neue Kirchenlieder entstanden, die heute zum allgemein bekannten Liedgut gehören, war der gottesdienstliche Gesang doch keineswegs erst eine Erfindung dieser Zeit. Tatsächlich war er bereits seit vielen Jahrhunderten in der Liturgie gebräuchlich. Ambrosius von Mailand, Bischof der italienischen Metropole im 4. Jahrhundert, gilt als der Begründer dieses Gemeindgesangs.
Kein Geringerer als der heilige Augustinus hat ihm diesen Titel zugewiesen: Das auf seinen Text „Veni redemptor gentium“ zurückgehende Kirchenlied „Komm, du Heiland aller Welt“ findet sich auch heute noch in der aktuellen Fassung des Gotteslobs (Nr. 227). Dass in diesem Lied einige theologische Implikationen zu finden sind, welche das Wirken des berühmten Kirchenmannes ausmachten, ist hingegen weniger bekannt.
Theologische Klarstellung
So ging bereits mit dem Konzil von Nizäa, das im Jahre 325 das Große Glaubensbekenntnis formulierte, zugleich die klare Verurteilung der Strömung des Arianismus einher, der unter anderem die Dreifaltigkeit leugnete und in Jesus Christus nicht Gott selbst, sondern ein Geschöpf Gottes sah.
Dass die dritte Strophe des besagten Kirchenliedes indirekt darauf Bezug nimmt, verdeutlicht, auf welcher Seite Ambrosius von Mailand in diesem Streit stand, denn: „Wie die Sonne sich erhebt / und den Weg als Held durcheilt, / so erschien er in der Welt, / wesenhaft ganz Gott und Mensch.“
Auch die letzte Strophe des Liedes zeugt von einem klaren Bekenntnis zum Glauben an die Trinität und damit von einer Ablehnung der arianischen Lehre: „Gott dem Vater Ehr und Preis / und dem Sohne Jesus Christ, / Lob sei Gott dem Heilgen Geist / jetzt und ewig. Amen.“
Doch wie ist es dazu gekommen, dass Ambrosius einen derart großen Einfluss in der Kirche des 4. Jahrhunderts erhalten hatte? Mehr noch: Wie ist es dazu gekommen, dass mit ihm ein Ungetaufter zum Bischof einer bedeutenden Stadt wie Mailand gewählt worden war?
Vom Volk zumMailänder Bischof gewählt
Ambrosius ist im Jahr 339 als Sohn des Präfekten Galliens in Trier geboren worden. Da er einer christlichen Familie entstammte, kam er früh in Kontakt mit dem christlichen Glauben. Doch starb sein Vater, als Ambrosius noch im Kindesalter war. Daher brachte seine Mutter ihn nach Rom, damit er dort eine solide Bildung erhielt, um später im Staatsdienst Karriere zu machen.
Tatsächlich wurde ihm um das Jahr 370 herum die Leitung der Provinz Ämilien und Ligurien anvertraut. Diese hatte ihren Sitz in Mailand. Zu dieser Zeit war Ambrosius zwar Taufbewerber (Katechumene), hatte das Sakrament der Taufe jedoch noch nicht erhalten, denn die Kindertaufe etablierte sich erst in den folgenden beiden Jahrhunderten.
Dieser Umstand trug maßgeblich dazu bei, dass er im Jahre 374 als Konsenskandidat kurzerhand per Akklamation durch das Volk zum Bischof von Mailand ausgerufen wurde. Denn die Suche nach einem Nachfolger des verstorbenen arianischen Bischofs Auxentius gestaltete sich schwierig.
Katholiken und Arianer im Streit
Mit drastischen Worten verdeutlicht Wilhelm Hünermann die Situation in seinem großen Werk „Heilige und Selige. Der endlose Chor“: „Zwiespalt zerriß die Kirche. Die Irrlehre des Arius, welche die Gottheit Christi leugnete, erhob frecher denn je ihr Haupt. Selbst der verstorbene Bischof war Anhänger dieser Sekte gewesen.
Auch in Mailand waren die Geister geteilt. Erbittert standen Katholiken und Arianer einander gegenüber. Beide Bekenntnisse trachteten danach, den Bischofsstuhl mit einem ihrer Gesinnungsgenossen zu besetzen.“ Ambrosius ergriff in dieser verfahrenen Situation das Wort, um beide Seiten zu versöhnen, mit bekanntem Ergebnis.
Ambrosius fügte sich dem Willen des Volkes
Ohne die Absicht gehabt zu haben, selbst das Bischofsamt zu bekleiden, fügte er sich nach anfänglicher Ablehnung schließlich dem Willen des Volkes. Wenngleich er aus dem Staatsdienst in die Leitung der Kirche von Mailand überwechselte und erst kurz vor der Übernahme des Bischofsamtes die christliche Taufe empfing, fühlte er sich mit dem Glauben und seiner neuen Funktion doch von Beginn an tief verbunden.
Nichts konnte ihn daran hindern, sich ganz in den Dienst Christi und der Kirche zu stellen. Denn es ging ihm „nicht um politische Macht, sondern darum, die Souveränität der Kirche in Fragen des Glaubens zu verteidigen und auf eine christliche Prägung des öffentlichen Lebens hinzuwirken“ (Christoph Jacob).
Ambrosius nutzte seinen Einfluss im Sinne der Kirche
Freilich nutzte er seinen im Staatsdienst erworbenen Einfluss, um diese Ziele zu erreichen. So war es auch seinem Wirken geschuldet, dass im Dreikaiseredikt „Cunctos populos“ unter Theodosius I., Valentinian II. und Gratian das Christentum zur römischen Staatsreligion erhoben wurde, nachdem Kaiser Konstantin der Große es mit dem Toleranzedikt von Mailand im Jahre 313 den anderen Religionen gleichgestellt hatte.
Im Zuge dessen bewegte Ambrosius Kaiser Gratian dazu, den Titel des größten Brückenbauers („Pontifex Maximus“) abzulegen – was einer stärkeren Trennung von Staat und Kirche gleichkam – und die staatlichen Subventionen und Privilegien für die altrömischen Kulte zu streichen. Dabei scheute er auch nicht die Auseinandersetzung mit den römischen Machthabern, setzte sich im Kampf gegen den Arianismus gar gegen den Einfluss Justinas, welche als Mutter des Kaisers Valentinian II. den Arianismus unterstützte, durch.
Mehr als nur ein Kirchenpolitiker
Und doch trügt der Anschein, dass Ambrosius als Bischof in erster Linie ein Kirchenpolitiker war, der vor allem mit den Mächtigen seiner Zeit verkehrte. Tatsächlich war er auch beim einfachen Volk sehr beliebt, da er sich der Not der Menschen annahm. Papst Benedikt XVI. führte in seiner Katechesereihe über die Kirchenväter unter Bezugnahme auf die Berichte des heiligen Augustinus aus:
„Wann immer er [Augustinus] den Bischof von Mailand [Ambrosius] aufsuchte, fand er ihn stets von Scharen […] problembeladener Menschen umdrängt, deren Nöte er sich annahm. Immer wartete eine lange Schlange darauf, mit Ambrosius zu sprechen und bei ihm Trost und Hoffnung zu finden.“
Leben in der Gegenwart Gottes
Auch wenn der große Kirchenvater somit viel Zeit im Gespräch mit Menschen verbrachte – sowohl mit einfachen als auch mit den großen Machthabern –, vernachlässigte er dabei keineswegs die geistliche Dimension seines Amtes; er vertiefte sich in die Auslegung der Heiligen Schrift, befasste sich jedoch auch ausgiebig mit den Schriften zeitgenössischer Theologen.
Nicht zuletzt lebte er den christlichen Glauben im Alltag auf vorbildliche Weise. Der Ambrosius-Experte Christoph Jacob schreibt diesbezüglich: „Die Gegenwart Gottes in Wort und Sakrament ist Mittelpunkt und Quelle seiner Spiritualität; so legt er Wert auf die tägliche Feier der Eucharistie und Meditation der Heiligen Schrift. Ambrosius ist kein Befürworter extremer Formen von Askese […], betrachtet die Jungfräulichkeit jedoch als hohes Ideal.“
Nicht zuletzt hatte Ambrosius einen erheblichen Einfluss auf den heiligen Augustinus. In jedem Fall kann er als große Gestalt der frühen Kirche bezeichnet werden und gehört damit neben Hieronymus, Augustinus und Gregor dem Großen zu den vier großen Kirchenvätern.
Der Autor ist katholischer Theologe.
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