Liebe Leserinnen und Leser,
„Es ist ein Ros’ entsprungen“ ist eines jener hauchzarten Lieder, die an keinem Weihnachtsfest fehlen dürfen. Das mit der Wurzel Jesse haben wir als Kinder nicht verstanden, bis wir dann mal nachgefragt haben. Die Erklärung liefert die heutige Lesung und mit ihr unser Tagesimpuls.
Einen gesegneten 2. Adventssonntag wünscht Ihnen
Ihre Franziska Harter
Chefredakteurin
MIT DER BIBEL DURCH DEN ADVENT
Tageslesungen:
Jes 11,1-10
Ps 72,1-2.7-8.12-13.17
Mt 3,1-12
Das Himmelreich ist nahe
Am 2. Adventssonntag stehen zwei einander entgegengesetzte Bewegungen im Mittelpunkt: Exil und Rückkehr, Fall und Verheißung Von Ludger Schwienhorst-Schönberger
„Mit großer Geisteskraft schaute er die Zukunft und tröstete die Trauernden in Zion. Für fernste Zeit kündete er das Kommende und das Verborgene, bevor es geschah“, schreibt der Weisheitslehrer Jesus Sirach über den Propheten Jesaja (Sir 48,24f). Einen geistgewirkten Blick in die Zukunft gibt uns Jesaja mit der Ankündigung eines messianischen Reiches. Vorausgegangen war der Zusammenbruch der davidischen Dynastie. Von ihr ist nur noch ein Baumstumpf übrig geblieben aus vorköniglicher Zeit: der Baumstumpf Isais. Isai war der Vater Davids.
David wurde vom Propheten Natan die Verheißung gegeben: „Wenn deine Tage erfüllt sind und du dich zu deinen Vätern legst, werde ich deinen leiblichen Sohn als deinen Nachfolger einsetzen und seinem Königtum Bestand verleihen. […] Ich will für ihn Vater sein und er wird für mich Sohn sein“ (2 Sam 7,12.14). In Salomo, dem Sohn Davids, ging diese Verheißung erstmals in Erfüllung. In Psalm 72, dessen korrekte Überschrift „für Salomo“ und nicht „von Salomo“ heißen muss, verkündet David seinem Sohn in Form einer an Gott gerichteten Bitte das Regierungsprogramm: „Verleih dein Richteramt, o Gott, dem König, dem Königssohn gib dein gerechtes Walten. Er regiere dein Volk in Gerechtigkeit und deine Elenden durch rechtes Urteil. […] Er herrsche von Meer zu Meer, vom Strom bis an die Enden der Erde. […] Sein Name soll ewig bestehen, solange die Sonne bleibt, sprosse sein Name. Mit ihm wird man sich segnen, ihn werden seligpreisen alle Völker.“
Hier auch zum Anhören:
Verheißung trotz Züchtigung
Die Natanverheißung war allerdings an eine Bedingung geknüpft: Wenn sich der dem David verheißene Nachkomme „verfehlt, dann werde ich ihn nach Menschenart mit Ruten und mit Schlägen züchtigen“ (2 Sam 7,14). Ein solcher Schlag hatte die davidische Dynastie im Jahre 586 vor Christus getroffen. Sie wurde ein Opfer der babylonischen Expansion. Darüber erhebt sich in Psalm 89 eine an Gott gerichtete herzzerreißende Klage: „Nun aber hast du deinen Gesalbten verstoßen, ihn verworfen und mit Zorn überschüttet, hast den Bund mit deinem Knecht zerbrochen, zu Boden getreten seine Krone. Eingerissen hast du all seine Mauern, in Trümmer gelegt seine Burgen“ (Ps 89,39–41).
Und doch bleibt über den Zusammenbruch hinaus die Natanverheißung in Kraft: Trotz der eingetretenen Züchtigung mit Ruten und Schlägen „soll meine Huld nicht von ihm weichen. […] Dein Haus und dein Königtum sollen durch mich auf ewig Bestand haben“ (2 Sam 7,15f.).
Begabt mit dem Geist des Herrn
Daran knüpft der Prophet Jesaja an. Die zu erwartende Herrschergestalt „aus dem Baumstumpf Isais“ ist eine mit dem Geist des Herrn begabte Person: Dieser Geist entfaltet sich in die – später so genannten – sieben Gaben des Heiligen Geistes: den Geist der Weisheit und der Einsicht, den Geist des Rates und der Stärke, den Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit und der Gottesfurcht – so die Zählung nach der lateinischen Übersetzung.
Die Herrschaft dieses „Sprosses aus der Wurzel Isais“ bewirkt eine tiefgreifende Verwandlung der Gesellschaft: „Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen mehr auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie die Wasser das Meer bedecken“ (Jes 11,9). Sogar fremde Völker und Nationen werden nach ihm Ausschau halten (Jes 11,10).
Das Kommen dieses Herrschers, so verkündet Johannes der Täufer, steht unmittelbar bevor. Sich darauf vorzubereiten, ist das Gebot der Stunde: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. […] Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt […]. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen“ (Mt 3,10).
Der Autor Ist emeritierter Alttestamentler der Universität Wien.
WEIHNACHTEN IM BILD

Das Fürstenportal des Bamberger Doms
Der adventliche Weltenrichter und das schönwendige Lachen Von Friedemann Richert
Ein gottgefälliges Leben ist ohne das gottselige Lachen nicht denkbar. Denn Gott hat uns die paradiesische Gabe des Lachens in unsere Seele gelegt, auf dass wir damit Gott die Ehre geben und unser Zusammenleben verschönern. Es gibt kein menschliches Leben ohne Lachen, ja, Lachen steckt an und erlöst von manch verfahrener Situation. Das glaubende Denken hat diese Gabe Gottes zu schätzen gewusst. Es ist Thomas von Aquin gewesen, der darum die Tugend des schönwendigen Lachens in unserer Kirche wieder namhaft gemacht hat: Diesem schönwendigen Lachen wohnt eine Ernstheiterkeit inne, die den Menschen ins sittlich Gute stellt und im Glauben zu Christus hinführt. Daher sagte Martin Luther später treffend: Wo der Glaube ist, da ist auch Lachen.
Die ersten drei Adventssonntage bezeugen dies trefflich: Denn der Weltenrichter Christus kommt im Jüngsten Gericht und wendet zum Guten, was durch des Menschen Hand verdorben wurde. Damit hat das Böse ausgelacht. Davon zeugt das wohl um 1230 gemeißelte Tympanon des Fürstenportals am Kaiserdom St. Peter und St. Georg in Bamberg: In der Mitte thront der segnende Weltenrichter Christus, bärtig, rechts noch sein Speerwundmal tragend. Zu seiner Rechten sehen wir die Gruppe der Erlösten, ein seliges Lächeln ihr Gesicht zierend. Zur Linken Christi stehen die Verlorenen, von einem abgründigen Lachen ergriffen. Lachen und Lachen ist zweierlei: Kommt es aus dem Glauben, so strahlen die Erlösten mit einem seligen Lachen Christus an. Entspringt es dem Unglauben, führt es die Verlorenen mit hämischem Lachen hinab in die Hölle.
Dem will die Adventszeit wehren, will sie doch alle zu Christus hinführen und in das gottselige Lachen der Erlösten einweisen. Diese schönwendige Erkenntnis liegt dem Adventslied von Georg Weißel aus Königsberg inne: „Macht hoch die Tür, die Tür macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit.“ Advent steht demnach für das selige Lachen, wohlanständige Gewandtheit und das Erlösend-Tröstliche des Glaubens. Er zeigt sich im schönwendig-seligen Lachen der Erlösten, wie auf dem Tympanon des Fürstenportals zu sehen ist.
Der Autor ist Dekan im Ruhestand und schreibt zu philosophisch-kulturgeschichtlichen Themen.
ADVENTLICHE KLÄNGE
„Staad, staad, heit is Advent“
Ohne die musikalischen Spuren der Volksfrömmigkeit bliebe die Advents- und Weihnachtszeit seelenlos Von Henry C. Brinker
Das bekannte, volkstümliche Adventslied gehört zu jener Gattung alpenländischer Musik, die weniger vom Pathos liturgischer Feierlichkeit lebt als von der innigen Zurückgenommenheit bäuerlicher Frömmigkeit. In ihm klingt bereits an, was die bayerische Stubenmusi seit Generationen prägt: die Verbindung von Haus, Herz und Heilsgeschehen. Das Lied ist kein festlicher Kirchenchoral, sondern ein Stück gelebter Volksreligiosität – getragen von Schlichtheit, Wärme und einer Spiritualität, die aus Alltagserfahrungen gläubiger Menschen erwächst.
Die Stubenmusi, ursprünglich reine Hausmusik kleiner Familienverbände, erklingt traditionell in der gemütlichen Enge der winterlichen Holzstube: Zither, Hackbrett, Gitarre, manchmal Harfe oder ein sanft geführtes Flügelhorn. Sie ist Musik des Herzens und der Nähe, nicht der großen Bühne. In der Adventszeit wurde sie zur klanglichen Form jener „staaden Zeit“, die im alpenländischen Raum ein bewusst kultivierter Gegenentwurf zur Betriebsamkeit des Jahresendes war. Das Musizieren im Kreis der Familie wurde zum Ritual, das die Erwartung des Kommens Christi sinnlich erfahrbar machte.
Innehalten und das Herz weit machen
Der religiöse Gehalt dieser Musik liegt gerade in ihrer inneren Ruhe. Die Melodien sind schlicht, oft pentaton gefärbt, mit weichen Übergängen und einer fast gebetshaften Ruhe. Sie erzählen nicht, sie deuten an. Die Texte – wie in „Staad, staad, heit is Advent“ – laden ein, innezuhalten und das Herz aufnahmebereit zu machen.
Zugleich ruht in der Stubenmusi ein tiefes Bewusstsein für das Heilige im Gewöhnlichen. Die Geburt Christi erscheint nicht als fernes Mysterium, sondern als Geschehen mitten unter einfachen Menschen. Das Werden mit der Geburt und das Vergehen mit dem Tod rahmt das Geschenk menschlichen Lebens. Es ist keine abstrakte Vorstellung, sondern authentische Erfahrung. Diese Musik betont das Inkarnatorische: Gott wird Mensch im Alltag und Rhythmus des Dorflebens. So erklingt in der Stubenmusi das Wesen der Volksfrömmigkeit – leise, demütig, aus der Kraft des Glaubens.
Der Autor ist Feuilletonist der „Tagespost“.
Abonnieren Sie den „Tagespost“-Adventskalender als Newsletter: Jeden Morgen um 6 Uhr öffnet sich ein Türchen für Sie: Unser Adventskalender begleitet Sie mit geistlichen Impulsen zum Tagesevangelium, adventlichen Kunstwerken und vorweihnachtlicher Musik durch die Zeit des Wartens auf den Heiland. Zur Anmeldung geht es hier!
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.








