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Wenn nicht der Herr das Haus baut …

„Macht“ scheint für viele Betreiber des „Synodalen Weges“ eines der zentralen Themen zu sein. Viele führen jegliche Fehlentwicklung innerhalb der Strukturen der Kirche auf „Macht“ zurück. Sind Rezepte zur Heilung von Verwaltungsfehlern auch tauglich für die Lehre?
Segnung homosexueller Paare in München
Foto: Felix Hörhager (dpa) | Es mag noch so sehr dem Zeitgeist entsprochen haben, dass Pfarrvikar Wolfgang Rothe aus dem Erzbistum München und Freising, an einem homosexuelles Paar im Rahmen eines Gottesdienstes einen Segen des Paares simuliert ...

Ausgangspunkt des Textes „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ sind „die systemischen Ursachen von Machtmissbrauch und sexualisierter wie geistlicher Gewalt“ (1). Zur Analyse des Zustands der Kirche gehören die Feststellung einer „Überhöhung des Weiheamtes“ und eine noch ausstehende Ausrichtung der kirchlichen Rechtskultur „an den Grund- und Menschenrechten“.

Breiter Raum wird dem offenbarungstheologischen Ansatz des Vatikanum II gegeben, aus dem die Autoren schließen, dass die Heilige Schrift, die Tradition und die „Zeichen der Zeit“ die großen Bezeugungsinstanzen der Offenbarung sind. Weitere Kapitel sind der theologischen Vielfalt und der Sakramentalität der Kirche gewidmet. Die Teile über die notwendigen Reformschritte in der „Machtordnung“ der Kirche fordern Konsequenzen aus der kanonistischen Unterscheidung zwischen Weihegewalt und Leitungsgewalt und aus den Differenzierungen, die bereits jetzt im Kirchenrecht gemacht werden, was die Übernahme von verschiedenen Aufgaben und Diensten angeht.

„Wo sind Glaube, Treue, Demut? Gebet, Hingabe, Gottvertrauen? Erschrecken über sich selbst?
Tränen über die Gemarterten und Verletzten und über die beschmutzte Kirche?
Und Liebe zu ihr, zu Gottes Volk? Kein Wort davon“

Deutlich wird der Text in der Definition von Standards und Kriterien für die Machtausübung und die Zugangsvoraussetzungen zu Ämtern: Transparenz, Kontrolle und Partizipation ergeben sich für die Autoren aus den Grundsätzen der Ekklesiologie, aber auch als Forderung der Inkulturation in demokratischen Gesellschaften. Das umfasst den Zugang von Frauen zu allen Weiheämtern ebenso wie das „Neu-Bedenken“ der verbindlichen zölibatären Lebensform der Priester.

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Es ist schlicht unmöglich, jede einzelne Passage des 24-seitigen Dokumentes zu kommentieren, obwohl viele Stellen dazu herausfordern. Ich will stattdessen einzelne beispielhafte Aussagen diskutieren. Dann wird nochmals auf den Text als Ganzen geblickt. Mehrfach wird im Text die Notwendigkeit von Transparenz, Kontrolle, Partizipation der kirchlichen Macht mit der nötigen „Inkulturation in eine demokratisch geprägte freiheitlich-rechtsstaatliche Gesellschaft“ begründet. Die Aussagen kommen zum Schluss, dass die katholische Kirche ihrer Sendung nur treu bleiben kann, wenn sie sich in „Gesellschaften, die von demokratischen Verfahren geprägt sind“, inkulturiere. Was inkulturiert werden soll, ist die „Machtordnung“ in der Kirche: „Handlungsmacht, Deutungsmacht, Urteilsmacht“. Manche der Vorschläge, die daraus abgeleitet werden, sind sinnvoll: dazu gehört die weitere Ausbildung einer Art von „Verwaltungsgerichtsbarkeit“, durch die Entscheidungen innerhalb der Kirche klarer und einfacher in Frage gestellt und überprüft werden können. Auch die Differenzierung zwischen Weihegewalt und Jurisdiktionsgewalt. Hier muss man aber tiefer schürfen. Wie hängen zum Beispiel Leitung der Eucharistie und Leitung einer Gemeinde/Diözese innerlich zusammen?

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Jedenfalls ist es eigenartig, die demokratischen Gesellschaften als alles dominierenden Maßstab für das kirchliche Leben und Handeln zu nehmen. Das Gottesvolk war von Anfang an eine „alternative Gesellschaftsform“, distanziert gegenüber den Feudalismen des Orients und später auch des Westens. Es hat sich oft mit gesellschaftlichen Strukturen infiziert, selten zu seinem Glück. Nicht die Angleichungen und Vermischungen, sondern die Reibungen zwischen geistlicher und weltlicher Sphäre haben den säkularen Staat hervorgebracht. Israel war weitaus demokratischer als die attischen Städte: „Männer und Frauen und alle, die es verstehen konnten“, so werden mehrfach die Teilnehmer an den Volksversammlungen des 5. Jahrhunderts vor Christus genannt. Ihre volle Partizipation war das gemeinsame Hinhören auf den Gotteswillen. Warum wird in einem solchen Text die Demokratie als „Lebensform“ überhöht und nicht an die einzigartigen Erfahrungen des Gottesvolkes angeknüpft?

Auf der einen Seite spricht der Text ganz traditionell von der Aufgabe des Lehramtes, die geoffenbarte Wahrheit authentisch zu bezeugen, auf der anderen Seite scheint genau das die aufzubrechende „Deutungsmacht“ zu sein. Wie geht das zusammen? Und: Was macht eigentlich die Kirche in Gesellschaften, die nicht demokratisch geprägt sind, wenn diese Art von Inkulturation immer zwingend ist? Rechtsordnungen sind nötig, um uns in der Tiefe verlorene und getriebene Menschen, die einander unablässig Konkurrenten, Neider und Jäger sind, in einem friedlichen, weil einigermaßen gerechten Miteinander zu halten. Jesus ist nicht wegen fehlender checks and balances am Kreuz gestorben. Er wusste, dass das unselige Vergleichen und Machthabenwollen, das bis an seinen Abendmahlstisch reichte, durch die Torah – eine Sozialordnung – in Schranken gehalten wird. Überwunden – theologisch „erlöst“ – wird es nur durch die Freude über die Nähe Gottes. Kein Wort im Text davon. Kein Wort darüber, den Lösungsweg Jesu zu unterstützen, alles, was seine Lebensgemeinschaften stärkt und blühen lässt für Priester, Bischöfe, „Laien“, die die grausamen Ersatzhandlungen überflüssig machen könnten.

Den Glauben alle zehn Jahre neu erfinden?

Viel könnte man über die im Text häufig genannten „Zeichen der Zeit“ sagen. Sie werden in den Rang einer Offenbarungsquelle erhoben. „Gaudium et spes“ hat mit den „Zeichen der Zeit“ ein Jesus-Wort aufgenommen (Lk 12,54-56). Aber schon das Konzil übersah, dass bei Jesus die „Zeichen der Zeit“ die Zeichen der hereinbrechenden Gottesherrschaft sind, seine Machttaten. Sie, nicht Phänomene der Zeit, werden zur Anrede an die Zeitgenossen. Im Text des Forums stehen plötzlich Schrift, Tradition und Zeichen der Zeit auf einer Ebene nebeneinander: „Keine der Bezeugungsinstanzen ist absolut zu setzen oder unkritisch geltend zu machen. (…) alle sind geschichtliche, das heißt ebenso in Entwicklung begriffene wie zeitgebundene Größen.“ Man wird kaum sagen können, dass es das ist, was das Konzil in „Dei Verbum“ gesagt hat. Bei der Auslegung kommt die Exegese ins Spiel, nicht wie das Konzil sagt, das Lehramt.

Die Heilige Schrift ganz der wissenschaftlichen Exegese, so unverzichtbar sie ist, zu unterwerfen, und die Tradition den dogmengeschichtlichen Forschungsergebnissen, würde bedeuten, den Glauben alle zehn Jahre neu zu erfinden. Wo ist eigentlich die Forderung nach kritischer Befragung der „Deutungsmacht“ universitärer, von der Kirche autonomer Theologie?

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Mühevolle Lektüre in elitärer und verschleiernder Sprache

Noch manch andere Ungereimtheiten bleiben: Wie kann man von der unersetzbaren Aufgabe des Lehramtes sprechen und gleichzeitig die Monstranz der Divergenzen „sogar in Kernüberzeugungen“ vor sich hertragen? Man wüsste auch gern, was das sind – „Kernüberzeugungen“. Der Glaube an den Gott Abrahams und Jesu? Die Heiligkeit und Unantastbarkeit jeden menschlichen Lebens? Man immunisiert sich vorsorglich gegen Kritik, weil man sich auf jeden Fall „nicht wechselseitig abspricht, katholisch zu sein“.

Was bleibt vom Text? Er ist eine mühevolle Lektüre, wie die Verfasser selbst mit folgender Feststellung einräumen: „Ein solcher ambiguitätssensibler Umgang mit Komplexität ist dem geschichtlichen Charakter der Heilswahrheit geschuldet und erweist sich zugleich gerade heute als Grundsignatur intellektueller Zeitgenossenschaft.“ Gefühlte 95 Prozent der Teilnehmer am Gottesdienst einer Pfarrei dürften hier kapitulieren. Ein solcher Satz ist mehr als der Ausdruck einer Blase, in die man sich begeben hat. Er ist Zeichen der Anmaßung einer Gruppe, die sich buchstäblich selbst ermächtigt hat, aber sich als „demokratisch legitimierte Vertretung“ der Katholiken versteht. Wo ist hier Partizipation?

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Glaube? Treue? Demut? Gebet? Hingabe? Gottvertrauen?

Man bedauert, dass verschiedene Themen, die der Text anspricht, nicht wirklich gewürdigt werden können. Um das ganze Dokument herum scheint eine Klammer gesetzt zu sein, vor der das Wort „Macht“ steht. In dieser Rechenart wird die Kirche gerechnet und beurteilt. Die Lösungen bleiben deswegen auf derselben Ebene und heißen: „Machen“. Man lese nur die „Prinzipien“ für Entscheidungen in der Kirche: Professionalität, Diversität, Effektivität, Transparenz, Nachhaltigkeit.

Wo sind Glaube, Treue, Demut? Gebet, Hingabe, Gottvertrauen? Erschrecken über sich selbst? Tränen über die Gemarterten und Verletzten und über die beschmutzte Kirche? Und Liebe zu ihr, zu Gottes Volk? Kein Wort davon. Voten und Reformagenden müssen keine Liebesbriefe sein. Aber seelenlos, ja geistlos sollten sie nicht sein.

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