Immer wieder säumten Menschentrauben und Winkende den Weg von Papst Leo, als er am Montagnachmittag quer durch Beirut zu einem ökumenischen und interreligiösen Treffen in einem geräumigen Pavillon auf dem „Platz der Märtyrer“ fuhr. Auch viele Nichtchristen – Muslime und Drusen etwa – begleiteten den Weg des Konvois.
Bis zum Beginn der Kriege und Bürgerkriege Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hatten die Religionen im Libanon friedlich und in einem gewissen Wohlstand zusammengelebt, was dem Land in Europa den anerkennenden Namen einer „Schweiz des Nahen Ostens“ eingebracht hatte. Dann kamen mit den palästinensischen Flüchtlingen und islamistischen Kräften, die von außen – etwa dem Iran der schiitischen Mullahs und den sunnitischen Wahhabiten – finanziert wurden, die Jahrzehnte des Niedergangs.
Alle Redner, die in dem modern gestalteten Pavillon zu Wort kamen, unterstrichen die ursprüngliche Berufung des Landes der Zedern, in Freiheit und versöhnter Verschiedenheit zusammenzuleben – als Gemeinschaften unterschiedlicher Konfessionen und Religionen. Vor Papst Leo sprachen ein hoher sunnitischer Geistlicher und ein griechisch-orthodoxer sowie ein syrisch-orthodoxer Metropolit, ein Oberhaupt der Drusen sowie ein armenischer und ein protestantischer Geistlicher sowie ein Vertreter der Alawiten. Nach Beirut und zu dem Treffen war ebenfalls der lateinische Patriarch von Jerusalem gekommen, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, der in der Türkei nicht anwesend war.
Minarette und Glockentürme
Auch Papst Leo, der als Letzter sprach, verwies auf das friedliche Zusammenleben der Religionen im Libanon: „Es ist eine Aufgabe, die dieses geliebte Land durch die Geschichte hindurch stets begleitet: Zeugnis abzulegen für die bleibende Wahrheit, dass Christen, Muslime, Drusen und unzählige andere zusammenleben und ein durch Respekt und Dialog geeintes Land aufbauen können.“ Eure heutige Anwesenheit, „liebe Freunde“, wie der Papst die versammelten Religionsführer ansprach, an einem bemerkenswerten Ort, an dem Minarette und Glockentürme nebeneinanderstehen und beide gen Himmel ragen würden, zeuge vom beständigen Glauben dieses Landes und von der unerschütterlichen Hingabe seiner Menschen an den einen Gott.
In einer Zeit, in der das Zusammenleben wie ein ferner Traum erscheinen könnte, würden die Menschen im Libanon, die verschiedenen Religionen angehören, eindringlich daran erinnern, dass Angst, Misstrauen und Vorurteile nicht das letzte Wort hätten, und dass Einheit, Versöhnung und Frieden möglich sind.
Der Friede als Geschenk Gottes
Begonnen hatte Papst Leo seine Ansprache jedoch mit einem Zitat aus dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Ecclesia in Medio Oriente“, das Benedikt XVI. 2012 in Beirut unterzeichnet hatte. Darin hatte der deutsche Papst betont, dass „das Wesen und die universale Berufung der Kirche erfordern, dass sie im Dialog mit den Anhängern der anderen Religionen steht. Dieser Dialog basiert im Nahen Osten auf den geistlichen und historischen Beziehungen, welche die Christen mit den Juden und mit den Muslimen verbinden. Dieser Dialog, der in erster Linie nicht von pragmatischen Erwägungen politischer oder gesellschaftlicher Art bestimmt ist, beruht vor allem auf theologischen Fundamenten, die den Glauben anfragen“.
Möge sich in diesem geliebten Land jeder Glockenschlag, meinte Papst Leo weiter, jeder Ruf zum Gebet zu einer einzigen, emporsteigenden Hymne vereinen – „nicht nur, um den barmherzigen Schöpfer des Himmels und der Erde zu rühmen, sondern auch, um ein inniges Gebet um das göttliche Geschenk des Friedens aufsteigen zu lassen“.
Die Berufung des Libanon
Vor 60 Jahren, fuhr der Papst fort, habe das Zweite Vatikanische Konzil mit der Promulgation der Erklärung „Nostra aetate“ einen neuen Horizont für die Begegnung und den gegenseitigen Respekt zwischen Katholiken und Menschen anderer Religionen eröffnet und betont, dass wahrer Dialog und Zusammenarbeit in der Liebe wurzeln würden, was die einzige Grundlage für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung sei.
Hier sehe er, der Papst, eine besondere Berufung des libanesischen Volkes: So wie die Wurzeln der Zedern und Olivenbäume tief in die Erde reichen und sich weit ausbreiten, so seien auch die Libanesen über die ganze Welt verstreut und doch durch die beständige Kraft und das zeitlose Erbe ihrer Heimat miteinander verbunden, sagte Papst Leo. „Eure Anwesenheit hier und überall bereichert die ganze Welt mit eurem jahrtausendealten Erbe, stellt aber auch eine Berufung dar. In einer immer stärker vernetzten Welt seid ihr dazu gerufen, Friedensstifter zu sein: Intoleranz zu bekämpfen, Gewalt zu überwinden und Ausgrenzung zu verbannen, indem ihr durch das Zeugnis eures Glaubens für alle den Weg zu Gerechtigkeit und Eintracht erleuchtet.“
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