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Das Hohelied der Pluralität

...oder die Religion des modernen Menschen. Ist das “Lehramt” eine Diktatur? Überlegungen zu den Äußerungen von Kardinal Marx.
Bischöfe ziehen in die Basilika von Vierzehnheiligen ein
Foto: Nicolas Armer (dpa) | Bischöfe ziehen zum Eröffnungsgottesdienst der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in die Basilika von Vierzehnheiligen ein.

Gerade ist die katholische Kirche in scheinbar unauflösbare Grabenkämpfe verstrickt. Die Positionen, die noch unter einem Kirchendach vereinigt sind, fallen in mehr als einem Punkt diametral auseinander. Für die einen sind es Lehramt und Katechismus, die letztendlich dem Gläubigen sagen, was Gegenstand des Glaubens ist. Die anderen sehen im immer neu zu erringenden Konsens der Theologen die Ansage, was Gott heute von uns will.

Im Dogma Einheit, in Zweifelsfragen Freiheit für Theologie

Für die einen ist die Absage an Frauenordination ein unwiderrufliches Element der göttlichen Verfasstheit der Kirche; die anderen halten das Verbot für eine besonders trickreiche Immunisierung der Männerkirche. Für die einen ist die sakramentale Ehe von Mann und Frau Kern der göttlichen Schöpfungsordnung und der Masterplan Gottes; für die anderen ist jedwede Form sexueller Identität eine gute Schöpfungsgabe Gottes, sodass auch Männer Männer heiraten können – mit Gottes Segen. Auf den ersten Blick sieht es nach einer hilfreichen Perspektive aus, wenn zehn deutsche Generalvikare sich schon früh in der Debatte eine Kirche wünschten, „in der Pluralität und Diversität gewünscht und erlaubt sind.“ 

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Da müssen wir aber genauer hinsehen. Die klassische Stelle zum Verhältnis von Wahrheit und Pluralität stammt nicht, wie häufig zugeschrieben, von Augustinus, sondern von dem kroatischen Bischof Markantun de Dominis (1560–1624), der sie in ‚De Republica Ecclesia’ so formulierte: „Lasst uns alle umarmen: im Notwendigen die beiderseitige Einheit, im Zweifelhaften die Freiheit, in allem die Nächstenliebe!“ Etwas schematisch in die Wirklichkeit der Kirche übersetzt, bedeutete das: Im Dogma Einheit, in Zweifelsfragen Freiheit für Theologie und im kirchlichen Miteinander synodale Einmütigkeit.

Das Dogma darf nie unterboten

Man sieht schon, woher das große Durcheinander kommt: Da gibt es eine Theologie, die im Lehramt „Diktatur“ sieht, das Dogma unterhöhlt und im „depositum fide“ (dem zu überliefernden, wesentlichen Glaubensgut) eine letztlich unbestimmte und nie bestimmbare Größe sehen möchte. Nun ist das Dogma zwar nach oben hin (also für genauere Bestimmung) offen; es darf aber nie unterboten werden. Denn es tritt mit dem Anspruch auf, göttliche Offenbarung aussagehaft in einer Kirche zu repräsentieren, die durch den Heiligen Geist „gehalten in der Wahrheit“ ist. Von daher versteht man die Aussage, Theologie sei dem Lehramt verpflichtet und nicht umgekehrt. Werden daher Lehren, die „de fide“ (verpflichtend zu glauben) sind, geleugnet, indem gesagt wird, man könne sie durch andere – also nicht nur präzisere – Lehre ersetzen, haben wir es mit der sogenannten Irrlehre zu tun.

Einen radikalen Pluralismus kann es schon deshalb nicht geben, weil er identisch wäre mit einem radikalen Skeptizismus, also mit der Absage an Wahrheit überhaupt. Aber zumindest dieser Satz müsste ja wahr sein: dass es keine Wahrheit gibt. Da es aber wohl Wahrheit gibt, ist dieser Satz falsch. Letztlich steht hinter dem Auseinanderfallen der Kirche in unversöhnliche Lager der Unglaube, dass es „Wahrheit“ geben könne. „So zeigt es sich“, meinte Kardinal Joseph Ratzinger schon 2003, „dass die eigentliche Problematik hinter all den Einzelfragen in der Frage nach der Wahrheit besteht. Kann Wahrheit erkannt werden? Oder ist die Wahrheitsfrage im Bereich von Religion und Glaube schlichtweg unangebracht?

Kirchenbild des Synodalen Wegs basiert auf Relativismus

Aber was bedeutet dann der Glaube, was bedeutet die Religion positiv, wenn sie mit Wahrheit nicht in Verbindung treten darf?“ Oder – könnte man hinzufügen – wenn Wahrheit durch eine endlose Folge von Wahrscheinlichkeiten ersetzt wird. Bei einer Pressekonferenz zum Synodalen Weg gab es einen vielsagenden Moment mit Bischof Bode. Es ging um die Humanwissenschaften, die als „Zeichen der Zeit“ die Theologie neu bestimmen sollen, als ein Journalist fragte, was denn wohl sei, wenn man in 50 Jahren feststellen müsse, dies Wissenschaften hätten sich ebenso geirrt, wie ihre Vorgänger 1980 in puncto Pädophilie. Dann, meinte der Bischof, müsse die Kirche ihre Einstellung halt wieder ändern.

Fazit: Eine „Kirche“, die nur noch das Limonadenetikett auf einer Flasche ist, in der ungeschieden alles drin ist - die Wahrheit und ihr Gegenteil - gibt sich im Kern der Dinge selbst preis; und sie verabschiedet sich von jeder Relevanz. Für hypothetische Annahmen geht niemand durchs Feuer. Vage Vorstellungen entzünden keine Leidenschaft und begründen keine Hingabe. Einem Gerücht von Gott gebe ich mich im Leben nicht – und schon gar nicht im Sterben - in die Hände. Der Glaube an Gott ist entweder wahr oder ist eine Spinnerei mehr in der endlosen Gedankenfluktuation der Spezies Mensch. 

Ein Kirchenbild, wie es auf dem Synodalen Weg eingefordert wird, basiert auf dem, was Papst Benedikt XVI. zu vielen Gelegenheiten mit „Relativismus“ charakterisierte. Er ist keine Lösung und auch nicht eine marginale Beschädigung der Kirche. Er ist eine neue Religion, mit neuen Glaubenssätzen, einer neuen Ethik, einer neuen Anthropologie und einem anderen Gott. Jedenfalls ist es nicht der Gott, der sich in Schöpfung und Erlösung offenbart hat und in Jesus Christus endgültig gesprochen hat. „Dieser Relativismus“ - noch einmal Joseph Ratzinger - „der heute als Grundgefühl bis weit in die Theologie hineinreicht, ist das tiefste Problem unserer Zeit. ... er ist in gewisser Hinsicht geradezu die Religion des modernen Menschen geworden.“

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