Während sich in vielen Ländern Familien auf gemeinsame Weihnachtsfeierlichkeiten vorbereiten, wird in China die Situation für Untergrundkirchen offenbar immer angespannter. Die britische Zeitung „The Guardian“ richtet den Blick auf einen Vorfall, der für eine größere Verhaftungswelle steht. In der Nacht des 11. Oktober, gegen 2 Uhr, klopfen Männer in Zivil an die Wohnungstür von Gao Yingjia und seiner Frau Geng Pengpeng. Sie geben sich als Polizei aus. Oben schläft der fast sechsjährige Sohn; die Eltern versuchen, keinen Lärm zu machen. Sie wissen, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Kurz darauf wird Gao abgeführt.
Rund zwei Monate später sitzt er in der südchinesischen Provinz Guangxi weiterhin in Haft – wegen „illegaler Nutzung von Informationsnetzwerken“. Geng ist aus Sicherheitsgründen mit dem Kind ins Ausland geflohen.
Was als Zugriff auf eine Einzelperson wirkt, ist nach Einschätzung von Beobachtern Teil einer systematischen Verschärfung gegen inoffizielle protestantische Gemeinden, die außerhalb staatlich kontrollierter Strukturen arbeiten. Gao ist leitender Pastor der Zion Church, einer der bekanntesten „Hauskirchen“ Chinas. Das Netzwerk entstand 2007, wuchs über Jahre und wich nach der erzwungenen Schließung seines großen Versammlungsortes in Peking 2018 zunehmend auf kleinere Treffen und Online-Formate aus. Ausgerechnet dieser digitale Arm der Gemeinde – in der Pandemie für viele die einzige Teilnahmeform – wird nun zum Ansatzpunkt der Strafverfolgung: Religionsausübung soll nur innerhalb registrierter, kontrollierter Strukturen stattfinden.
Verschärfung Ende September
Die Eskalation wurde im Oktober 2025 sichtbar. Human Rights Watch berichtet, dass Behörden am 10. und 11. Oktober in sieben Städten fast 30 Pastoren, Prediger und Mitglieder der inoffiziellen Zion Protestant Church festnahmen. Die Organisation spricht von willkürlichen Inhaftierungen, fordert Informationen für Angehörige und Zugang zu Anwälten und sieht das Vorgehen als Teil einer verschärften Unterdrückung der Religionsfreiheit unter Xi Jinping.
Die französische Zeitung „Le Monde“ verknüpft die Razzien mit politischem und regulatorischem Rückenwind: Ende September habe das Politbüro unter Xi Jinping die „Sinisierung“ der Religionen betont – Religion solle aktiv an die „sozialistische Gesellschaft“ angepasst werden. Kurz zuvor seien Regeln verschärft worden, die nicht genehmigte religiöse Online-Inhalte und digitale Gottesdienste weiter einschränken. Was wie eine technische Vorschrift wirkt, wird in der Praxis zum Hebel, um das hybride Modell der Hauskirchen – kleine Treffen plus Online-Predigt – strafrechtlich angreifbar zu machen.
Schrittweises Zermürben
Mitte November meldete Reuters die formelle Verhaftung von 18 Führungspersonen der Zion Church. Der Vorwurf lautet weiterhin „illegale Nutzung von Informationsnetzwerken“, mit einer Strafandrohung von bis zu drei Jahren Haft. Einige Festgenommene seien zuvor freigelassen oder gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt worden, andere würden in Guangxi festgehalten.
Gao Yingjia steht damit exemplarisch für eine breiter angelegte Kampagne: kein spektakulärer Schauprozess, sondern das schrittweise Zermürben eines Netzwerks durch Verhöre, Haft, rechtliche Ungewissheit und die Botschaft, dass selbst digitale Gottesdienste als Delikt gelten können. Für Geng und ihren Sohn bleibt das Politische vor allem ein Alltag des Exils. „Manchmal frage ich mich, ob das alles wirklich wahr ist“, sagt sie – und wartet auf ein Zeichen, wie es weitergehen kann.
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