„Wichtiger denn je“, ja ein „Meilenstein im zivilgesellschaftlichen Diskurs“ – so lautet nach einem Jahr die Selbsteinschätzung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), genauer ihrer Sekretärin Beate Gilles, zur Erklärung „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“, die die Bischofskonferenz einstimmig verabschiedet und am 22. Februar 2024 publiziert hatte. Erstmals hatten die Bischöfe darin die AfD unmissverständlich als „nicht wählbar“ bezeichnet.
„Wichtiger denn je“ – Gilles‘ Einschätzung ist insofern unstrittig, als sich das Jubiläum just einen Tag vor der wichtigsten regelmäßig stattfindenden Wahl jährt, der Bundestagswahl. Und bekanntlich darf die Rechtsaußenpartei gemäß Umfragen mit einer Beinahe-Verdoppelung ihres Stimmanteils rechnen. Was wiederum die Frage aufwirft: Hatte das Papier denn irgendeinen politischen Effekt? Ohne empirische Erhebungen fällt eine Antwort schwer.
Unter Opportunismusverdacht
Beobachtbar war zuletzt aber, dass zumindest die mediale (und kirchliche) Empörung über Merz‘ Bundestags-„Tabubruch“ mit der AfD und die darauffolgenden bundesweiten Demos „gegen rechts“ keinen sonderlichen Effekt mehr auf die Umfragewerte der Parteien hatten. Als Anfang 2024 die meisterhaft vermarktete correctiv-„Recherche“ zu Remigrationsplänen im AfD-Umfeld bundesweite Empörung über die Rechtspopulisten ausgelöst hatte, war dies noch anders gewesen, die AfD hatte innerhalb weniger Wochen mehrere Prozentpunkte in der „Sonntagsfrage“ verloren und war erst zu Jahresende wieder in die Nähe der 20-Prozent-Marke gekommen.
Ob die DBK-Intervention rund eineinhalb Monate nach der correctiv-Veröffentlichung zum Absturz beigetragen hatte? Falls ja, scheint eine Abnutzung eingetreten zu sein. Klar ist jedenfalls, dass das Manöver gerade wegen des Zeitpunkts keine ungeteilte Zustimmung genoss. Gegenüber dieser Zeitung sprach etwa Gerhard Kardinal Müller von „unübersehbarem“ Opportunismus. Für diese wohl nicht abwegige Interpretation spricht auch ein psychologisches Moment: Wäre es nicht einfach menschlich gewesen, sich nach der Zerreißprobe des Synodalen Weges und der für das Ansehen deletären Missbrauchskrise nach einer Möglichkeit zu sehnen, endlich Geschlossenheit demonstrieren zu können – und dafür auch noch medialen Zuspruch zu erfahren? Auch wenn die Entscheidung zu der Erklärung auf Basis rein inhaltlicher Überzeugung zustande gekommen sein sollte (wofür natürlich die auch lange vorher schon dezidiert AfD-kritische Haltung der DBK spricht), Kollateralschaden des Veröffentlichungstermines war jedenfalls, dass ein gegenteiliger Eindruck wohl nicht nur bei Kardinal Müller entstanden ist. Die moralische Autorität der Oberhirten hat bei allen Gläubigen, die es so sehen, entsprechend weiter gelitten.
Eine angreifbare Definition
Unklar ist ein Jahr nach dem „Meilenstein“ aber auch, ob das Papier als solches weise, ob es zukunftsträchtig formuliert war. Klar, völkischer Nationalismus und Christentum sind wirklich unvereinbar. Wer von minderwertigen Rassen schwadroniert, kann nicht ernsthaft Christ sein. Doch darüber gehen die Bischöfe weit hinaus, anders wäre eine Ablehnung der AfD wohl auch nur schwer zu begründen gewesen. „Das Volk wird als „Ethnos“ gedacht, als Gemeinschaft der ethnisch und kulturell Gleichen oder Ähnlichen“, heißt es in dem Papier, das sei die Ideologie des völkischen Nationalismus. Dabei hängt viel am Wörtchen „und“ – kulturelle Ähnlichkeit als etwas Erstrebenswertes zu erkennen, ist nach konventioneller Auffassung per se nämlich noch lange nicht „völkisch“, sondern nur eine Absage an Multikulturalismus als Ideal. Wer sich, wie die CDU, zu einer Leitkultur bekennt, tut nichts anderes.
Noch ketzerischer könnte man gar die Frage stellen, ob es nicht sogar nur das Konzept der Ungleichwertigkeit ist, das die Kirche ablehnt, nicht etwa das der Existenz eines „Ethnos“. Jedenfalls heißt es etwa im Kompendium der Soziallehre Kirche: „Im Allgemeinen entspricht jedem Volk eine Nation, doch aus verschiedenen Gründen stimmen die nationalen nicht immer mit den ethnischen Grenzen überein“ – weshalb die Frage der Minderheiten entstehe. Ausführungen, die unter der Prämisse, dass das Volk sowieso immer nur das Staatsvolk ist, wenig Sinn ergeben.
Was kommt als nächstes?
Unabhängig davon lautet die interessante Frage nun, ob die DBK die einmal eingeschlagenen Pflöcke parteipolitischer wie inhaltlich-definitorischer Art irgendwann wird zurückziehen müssen. In den letzten Wochen krachte es im Verhältnis zu den C-Parteien bereits heftig, wegen der auseinanderdriftenden Vorstellungen zur Migrationspolitik einerseits und wegen des damit verknüpften Unions-Versuches einer Minimalzusammenarbeit mit der AfD im Bundestag andererseits. Die Folge war auch, dass zwischen den deutschen Bischöfen nach etwa einjähriger politischer Geschlossenheit wieder gut sichtbare Risse auftraten. Nicht unwahrscheinlich, dass sich diese in den kommenden Jahren vertiefen, betrachtet der mutmaßliche nächste Kanzler Friedrich Merz eine „Migrationswende“ doch als Überlebensfrage seiner Partei. Die Kirche kann sich also auf eine noch ganz andere politische Härte einstellen in Fragen, in denen sie jetzt schon die Menschenwürde bedroht sieht. Der Bedarf an intervenierenden Erklärungen wird damit aus sich heraus wohl eher nicht kleiner werden.
Sollte es den Bischöfen nach der kleinen „Brandbrief“-Eskalation vor der Wahl aber erstmal reichen mit der politischen Aufmerksamkeit – und dafür spricht manches – so dürfte der „Meilenstein im zivilgesellschaftlichen Diskurs“ trotzdem vorerst der letzte gewesen sein.
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