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Jean-Frédéric Poisson: Zemmours katholischer Knappe

Der Katholik Jean-Frédéric Poisson ist Vorsitzender der kleinen christdemokratischen Partei „La voie du peuple“. Jetzt unterstützt er den rechten Kandidaten Eric Zemmour. Wie passt das zusammen?
Christdemokrat Jean-Frédéric Poisson
Foto: Eric Feferberg / Pool (AFP / POOL) | 2016 wollte Jean-Frédéric Poisson noch selbst französischer Staatspräsident werden, kandidierte bei den Vowahlen der französischen Rechten und nahm in dieser Funktion auch bei einer TV-Debatte beim Sender France 2 an.

Während die deutschen Christdemokraten unlängst darüber diskutierten, ob das „C“ überhaupt noch einen legitimen Platz in Theorie und Praxis der Partei hat, rücken andernorts die Katholiken in den Mittelpunkt der politischen Debatte. Gerade in der laizistischen Republik jenseits des Rheins spielt die Frage der Religionszugehörigkeit von Kandidaten und Unterstützern vermehrt im Präsidentschaftswahlkampf eine Rolle. Das „Phänomen Z“, der Aufstieg des früheren Journalisten und heutigen Präsidentschaftskandidaten Eric Zemmour, wird flankiert von einem weiteren Phänomen, nämlich der Präsenz von bekennenden Katholiken an dessen Seite.

Manche Medien und politische Gegner bezeichnen Eric Zemmours Positionen zu Migration und Islam als rechtsextrem. Können Katholiken guten Gewissens mit den Positionen Zemmours mitgehen? Und kann der Versuch, eine breite Bewegung rechts von einem progressiven Mainstream zu etablieren, tatsächlich funktionieren? Die „Tagespost“ hat mit Jean-Frédéric Poisson gesprochen, dem Kampagnensprecher des rechtskonservativen Kandidaten Zemmour und dessen neu gegründeter Partei „Reconquête“.

Jean-Frédéric Poisson: Sein provozierender Ton ist charakteristisch

Poisson, in seiner Jugend zum katholischen Glauben konvertiert, Philosoph und Politiker, ist Vorsitzender der kleinen christdemokratischen Partei „VIA – la voie du peuple“ (Der Weg des Volks). Im Sommer 2021 hatte er zunächst angekündigt, selbst für das Amt des französischen Staatschefs zu kandidieren. Schließlich habe er sich sich dann doch Eric Zemmour angeschlossen, weil dieser, so Poissons Einschätzung, die bessere Ausgangsposition habe, ein konservatives Politik-Projekt in den Wahlkampf zu führen.

Für den meinungsstarken Talkshowgast Zemmour ist dessen provozierender Ton charakteristisch, er ist ein Meister der polemischen Zuspitzungen. Poisson findet das gut: „Zemmour sagt, was er denkt. Er benennt die Dinge auf unverblümte, oft schroffe Weise. Aber genau darauf warten die Menschen. Die Franzosen wissen schon lange, dass sie bei Themen wie Einwanderung und Islamisierung von der Politik seit Jahren für dumm verkauft werden. Eric Zemmour ist für viele Menschen das Mittel, ihre Verärgerung darüber auszudrücken.“

Widerspricht Zemmours Wunsch nach einer strengen Regulierung der Einwanderung nicht dem christlichen Menschenbild? „Menschen in Not zu helfen, ist ein geistiges und körperliches Werk der Barmherzigkeit“, erklärt der Christdemokrat. „In welchem konkreten Rahmen das passiert, hängt aber von den jeweiligen Umständen ab. Es kann daraus keine Verpflichtung – weder des Einzelnen noch eines Staates – zur bedingungslosen Aufnahme von Einwanderern abgeleitet werden. Die Ausübung der Nächstenliebe muss mit der Tugend der Klugheit einhergehen. Es kann auch aus christlicher Sicht keine bedingungslose Verpflichtung zur Aufnahme von Migranten geben, wenn diese die aufnehmende Gemeinschaft gefährdet. Ich weise im Übrigen auf die sehr ausgewogene Erklärung der französischen Bischöfe zu diesem Thema hin, der ich nichts hinzuzufügen habe.“

Politik als Frage der konkreten Umstände

Politik sei keine theoretische Angelegenheit, sondern eine Frage der konkreten Umstände, so Poisson. „Es geht um die praktische Verwirklichung des Allgemeinwohls. Die Frage ist also immer: Was ist zu einem bestimmten Zeitpunkt das Bestmögliche aus dem Blickwinkel des Gemeinwohls?“ Es sei die Sache der einzelnen Regierungen, die jeweiligen Umstände zu bewerten und Konditionen zu bestimmen, unter denen eine Aufnahme von Migranten möglich sei. „Auch Papst Franziskus appelliert an die Klugheit der Regierenden, um die Aufnahmekapazitäten eines Landes zu bestimmen“, betont Poisson.

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Immer wieder setzt Eric Zemmour Islam und Islamismus gleich  und zieht damit nicht nur die Kritik von Muslimen auf sich, sondern muss sich auch die Frage gefallen lassen, ob er so nicht auch die Möglichkeit des interreligiösen Dialogs verbaue. Im Gegenteil, meint sein Kampagnensprecher. „Die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Islam als Denksystem ist notwendig. Diese Auseinandersetzung müsste gerade durch die katholische Kirche erfolgen, die sich da jedoch weigert, angeblich, weil dies gegen den Dialog sei. Die Verkündigung der Wahrheit steht aber meines Wissens nicht im Widerspruch zum Dialog.“ Man müsse berücksichtigen, dass die religiösen Texte des Islam ein in sich geschlossenes System bildeten, welches die genauen Regeln vorgebe, nach denen es zu lesen und zu verstehen sei. Der Unterschied zwischen Islam und Islamismus könne daher nicht aus den Texten des Islam selbst abgeleitet werden. „Die Texte beschreiben eine gesellschaftliche Organisation, verschiedene Kategorien von Menschen, die Beziehung zwischen diesen Kategorien, ihre jeweiligen Pflichten und Rechte. Das komplette System stimmt mit unserem Rechtssystem, unserer Kultur und unserer Lebensweise nicht überein“, erläutert Poisson.

"Religiöse Überzeugungen sind in Frankreich Privatsache"

Zentral sei daher die individuelle Entscheidung des praktizierenden Muslims, der entweder die  heiligen Texte in ihrer Gesamtheit annehme oder eine gewisse Distanz zu diesen Texten entwickele. Der Islam gehöre nicht zu Frankreich, lautet ein Credo Eric Zemmours, assimilierte Muslime jedoch schon. Klar ist auch für den Christdemokraten Poisson: „Religiöse Überzeugungen sind in Frankreich Privatsache. Der Staat macht keinen rechtlichen Unterschied zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen – im Unterschied übrigens zu muslimischen Ländern.“ Deswegen sieht er eine politische Aufgabe darin,  einen sich aggressiv in Frankreich ausbreitenden Islam einzudämmen.

Am 23. Januar hat der private Fernsehsender M6 eine Dokumentation über die Ausbreitung des radikalen Islam an verschiedenen Orten Frankreichs ausgestrahlt. Im Mittelpunkt stand dabei die Kleinstadt Roubaix bei Lille, in der ein von öffentlichen Fördermitteln unterstützter Verein in der Vergangenheit Koranunterricht erteilt hat, das Straßenbild durch verschleierte Frauen geprägt ist und sich islamische Buchhandlungen, Spielwarenläden und Metzgereien aneinanderreihen. Die Journalistin Ophélie Meunier sowie zwei in der Dokumentation auftretenden Vorkämpfer gegen die Islamisierung von Roubaix stehen nach Erhalt mehrerer Morddrohungen nun unter Polizeischutz. „Bereits vor einigen Jahren habe ich ein Buch veröffentlicht, indem ich aufzeige, dass verschiedene muslimische Staaten seit nunmehr zwanzig Jahren Maßnahmen ergreifen, die ganz klar darauf abzielen, langfristig die Scharia in Europa einzuführen“, betont Poisson mit Blick auf diese jüngsten Ereignisse. „Das mag in Frankreich selbst auf Bestreben einer Minderheit unter den Muslimen geschehen, aber eine Minderheit reicht aus, um den passiven Teil der muslimischen Gemeinschaft hinter sich herzuziehen.“

Hat Macron die "Islamisierung" gefördert?

In einigen Wochen erscheint ein weiteres Buch Jean-Frédéric Poissons über das Fortschreiten der Islamisierung Frankreichs während der Amtszeit des aktuellen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. „Ich beschreibe minutiös einzelne Handlungen Macrons und weiterer Regierungsmitglieder, alle Gesetzestexte und Erklärungen, die belegen, dass Macron nicht nur nichts unternommen hat, um eine proaktive Islamisierung in die Schranken zu weisen, sondern dass seine Regierung einer Ausbreitung des Islam in manchen Fällen sogar Vorschub geleistet hat“, erläutert Poisson den Inhalt seines Buches.

Frankreichs Katholiken legen ein besonderes Augenmerk auf die Äußerungen der Präsidentschaftskandidaten zu gesellschaftspolitischen und bioethischen Themen. Während der „Front National“ hier in der Vergangenheit deutlich konservative Positionen vertreten hat, äußert sich Marine Le Pen mittlerweile nur noch sehr wenig bis gar nicht zu diesen Themen. Valérie Pécresse, die Kandidatin der Mitte-Rechts-Partei „Les Républicains“, hat  katholische Wähler als Präsidentin der Region ÎIle-de-France mit ihrer Unterstützung für LGBT-Gruppen und für Pro-Abtreibungsorganisationen enttäuscht. Auf ihre Meinungsumschwünge zu gesellschaftspolitischen Themen angesprochen, hatte Pécresse kürzlich geantwortet: „Meine Überzeugungen entwickeln sich mit der Gesellschaft weiter.“

Angesichts solcher Aussagen ist Poisson der Überzeugung, dass Eric Zemmour der einzige Kandidat sei, der zu bioethischen Themen klare Bekenntnisse ablege. „In bioethischen Fragen ticken Zemmour und ich vollkommen gleich“, betont der Politiker, der in Philosophie mit einem Thema zum Spannungsfeld von  „Bioethik, Ethik und Humanismus“ promoviert worden ist. „Eric wird das jüngste Gesetz abschaffen, mit dem die künstliche Befruchtung für lesbische Paare und alleinstehende Frauen legalisiert worden ist. Er wird alles gegen die Legalisierung von Leihmutterschaft in Frankreich unternehmen und die Embryonenforschung restriktiver handhaben“, gibt sich Poisson zuversichtlich mit Blick auf die inhaltliche Agenda seines Favoriten.

„Traditionalistische Katholiken“, „Neuheiden“ und „ein paar Nazis“

Zemmours Rivalin Marine Le Pen hat kürzlich angemerkt, in Zemmours Lager versammelten sich „traditionalistische Katholiken“, „Neuheiden“ und „ein paar Nazis“. Die Aussagen, die ihr Umfeld im Nachgang als „unglückliche Wortwahl“ relativierte, spiegeln die Panik wider, die sie offenbar angesichts der Erfolge ihres Konkurrenten erfasst hat: Der Chefin des „Rassemblement national“ schwimmen die Felle davon. Bei aktuellen Umfragen liegt jeder der drei Kandidaten der französischen Rechten, Zemmour, Pécresse und Le Pen, bei etwa 15 Prozent. Zwei bisherige Mitstreiter Le Pens, die Europaabgeordneten Gilbert Collart und Jérôme Rivière, haben sich Ende Januar Zemmour angeschlossen, worauf postwendend ihr Ausschluss aus der Le Pen-Partei erfolgte. Schließlich hat vor kurzem auch Marine Le Pens Nichte Marion Maréchal ihre Rückkehr in die Politik angekündigt und dabei durchscheinen lassen, dass ihre Unterstützung zukünftig womöglich Eric Zemmour gelten könnte. Spätestens seit Maréchals zentraler Rolle bei der „Manif Pour Tous“, der großen Protestbewegung 2012 gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, gilt sie für viele junge konservative Katholiken als Hoffnugsträgerin. Seit Jahren machen sich sowohl Eric Zemmour als auch Marion Maréchal für eine „union des droites“ stark, von der sie sich eine bessere Schlagkraft gegenüber dem von ihnen als politischen Gegner identifizierten linken Mainstream erhoffen.

Jean-Frédéric Poison glaubt nicht an so eine Vereinigung der politischen Parteien rechts der Mitte. Es sei aber, so hebt der Christdemokrat hervor, seit langem der Wunsch der Wähler von Mitte-Rechts, der konservativen wie der liberalen Rechten, dass es ein übergreifendes politisches Angebot gebe. „Zum ersten Mal seit dreißig Jahren haben sich hier verschiedene konservative Strömungen zusammengefunden, um gemeinsam bei den Präsidentschafts- und später Parlamentswahlen anzutreten.“ Ob es diese Strategie schon bei dieser Präsidentenwahl aufgehe oder erst bei der nächsten, wisse er nicht. „Aber auf jeden Fall haben wir eine Dynamik in Gang gebracht und bewiesen, dass wir politisch existieren können.“

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