Auf den ersten Blick verbindet Katholiken und Liberale nicht unbedingt viel. Aber das Vorurteil trügt. Darauf macht Martin Rhonheimer aufmerksam. Bei der Liberalismuskonferenz, die der liberal-konservative Thinktank R21 am vergangenen Montag in Berlin durchführte, sorgt der Fachmann für Ökonomie, der auch katholischer Priester ist, für einen argumentativen Farbtupfer.
Vielfach werde der Liberalismus mit dem Beginn der Aufklärung in Verbindung gesetzt. Doch tatsächlich, so betonte der Schweizer, der jetzt in Wien lebt und das Austrian Institute leitet, in Anlehnung an das berühmte Zitat von Ernst-Wolfgang Böckenförde, lebe auch die Aufklärung von Voraussetzungen, die sie nicht selbst geschaffen habe. Vielmehr sei sie aus einem kulturellen Rahmen erwachsen, der eben auch ganz entscheidend durch das Christentum geprägt worden sei.
Beispiel: Religionsfreiheit, ein Grundrecht, für das sich auch Liberale einsetzen. Der Begriff der Religion, der hier verwendet werde, folge nämlich dem christlichen Verständnis. Im Christentum gebe es nicht das Ziel, Staatsreligion zu werden. Hier, so Rhonheimer, liege auch der große Unterschied zum Islam. Der lege es nämlich genau darauf an. Deswegen machte der Philosoph und Theologe auch eine folgenreiche Unterscheidung: Mit Muslimen könne er gut zusammenleben, er sei sogar mit einigen befreundet. Das Problem sei eben aber der Islam, der, so war in der Konsequenz aus seinen Ausführungen herauszuhören, eben für die Freiheit gefährlich werden könne. Man spreche gemeinhin von den Gefahren des Islamismus, in gewisser Weise gehe es aber eben um den Islam selbst.
Alles menschliche Handeln ist wirtschaftliches Handeln
Und auch in einer anderen Hinsicht setzte der Schweizer Gelehrte und Priester einen besonderen Akzent – es brachte ihm Applaus vom Publikum ein: Ihn nerve die Unterscheidung zwischen einem Liberalismus, der sich auf die wirtschaftliche Freiheit konzentriere, und einem Liberalismus, der vor allem die Grundrechte schützen wolle. Tatsächlich, so Rhonheimer, sei die wirtschaftliche Freiheit entscheidend. Denn alles menschliche Handeln sei letztlich wirtschaftliches Handeln. Alle Entscheidungen des Individuums seien auch durch wirtschaftliche Erwägungen bestimmt.

Viel Lob für seine Zwischentöne bekam Rhonheimer von einem anderen Schweizer, der ebenfalls für Farbtupfer sorgte: Frank A. Meyer, deutschen Lesern vor allem durch seine pointierten Kolumnen im Magazin „Cicero“ bekannt. Der meinungsfreudige Schweizer stieß sich ebenfalls daran, dass in Deutschland viel zu sehr darüber gestritten werde, was denn nun eigentlich Liberalismus sei. Er setzte, und das sei wohl auch Schweizer Tradition, lieber auf das Tun. Deswegen plädierte er auch dafür, statt von Liberalismus lieber von „Freisinn“ zu sprechen, so wie es auch in seiner Schweizer Heimat üblich sei. Das klinge doch viel konkreter, nicht ideengeschichtlich verstaubt, sondern eben sinnlich.
Ganz frei von solchen ideengeschichtlichen Erwägungen war bei allem Sinn auch für die praktische Politik auch der Liberalismuskongress nicht. Wie sollte es aber auch sein, bei einer Institution, die sich selbst als Thinktank bezeichnet. Bei R21 wird gedacht – und das ist gut so.
Sehnsucht nach liberalen Machertypen
Freilich, auch die Sehnsucht nach liberalen Machertypen (frei nach Frank A. Meyer) war im Saal zu spüren. Die FDP ist aus dem Bundestag geflogen. Wie sieht das parteipolitische Gesicht des Liberalismus nun aus? Es ist im wahrsten Sinne des Wortes dürr: Christian Dürr, so heißt der Mann, der jetzt die FDP aus der „Außerparlamentarischen Opposition“ – Dürr selbst sprach von der APO – führen soll. Der ehemalige Vorsitzende der Bundestagsfraktion gab sich qua Amt optimistisch. Immerhin räumte er klar ein, dass die FDP durch ihre Performance in der Ampel-Regierung viele bürgerliche Wähler vergrault hat, auf die sie nicht verzichten kann.
Auch die zahlreichen Meldestellen, die mittlerweile in einigen Bundesländern bestehen und bei denen „Staatsbürger“ denunzieren können, wenn sie denn glauben, jemand betreibe Hetze, fanden Dürrs deutliche Kritik. Dafür gab es aus dem Publikum ebenfalls großen Applaus. Als echtes intellektuelles Schwergewicht präsentierte sich aber die ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg. Da, wo Dürr eher noch so klang wie der alte Fraktionsvorsitzende, fragte Teuteberg tiefergehend danach, was Freiheit sei und warum unsere Gesellschaft sie dringend benötige. Die Brandenburgerin wird bestimmt noch eine größere Rolle in der FDP spielen, wenn die denn überhaupt noch künftig im politischen Spektrum eine zentrale Rolle einnehmen wird. Ob es ihr zu wünschen sei oder ob es letztlich egal ist, ob die FDP politisch überlebt, dazu fand sich im Saal keine einheitliche Stimmungslage. Aus den Wortmeldungen aus dem Publikum wurde aber deutlich, dass eher die Tendenz dominierte, nach der die FDP noch eine politische Chance bekommen solle.
Wer darf beim Liberalismus eigentlich mitspielen?
Und dann war da noch ein Geräusch, das die ganze Tagung über wie eine Art Basso Continuo die Konferenz unterlegte. Immer, wenn im Saal die Tür geöffnet wurde, entstand dabei ein lautes Knarren. Die Tür wurde ziemlich oft geöffnet, also knarrte es viel. Und das war dann tatsächlich symbolisch. Denn es geht bei dem Kongress eben auch um die Frage: Wer darf beim Liberalismus eigentlich mitspielen? Wo fängt die Freiheit an, wo hört sie auf? Hier lieferten sich Frauke Petry, die ihr neues politisches Projekt „Team Freiheit“ vorstellte, und Damian Boeselager, der für „Volt“ im Europaparlament sitzt, ein interessantes Duell. Während Boeselager die liberalen Demokratien im Kampf mit dem Populismus sieht, Populisten also im Zweifel keine Liberalen sein könnten, will Petry im Populismus eher nur ein Stilproblem erkennen. Kurz: Die Sympathien des Publikums gehörten eindeutig Frauke Petry, die freilich auch durchaus kritisch zu ihrer Zeit in der AfD befragt wurde.
Vielleicht wurde das wichtigste Statement zum Thema Freiheit aber direkt neben dem Hotel Maritim gegeben. Während dort im Saal die Köpfe rauchten, wurde nämlich im Brauhaus nebenan– ja, das gibt es auch in Berlin – Karnevalsanfang gefeiert. Wie heißt es doch: Jeder Jeck ist anders. Vielleicht ein ganz praktisches Motto für echte Freiheitsfreunde. Bei R21 haben jedenfalls keine Narren über ein zentrales Thema für die Zukunft der bürgerlichen Gesellschaft nachgedacht.
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