Paris

Wahlkampf in Frankreich: Die Sprache wird härter

Emmanuel Macron gibt mit seinen verbalen Ausfällen gegenüber Ungeimpften einen Vorgeschmack auf seinen Wahlkampf.
Emmanuel Macron gibt mit seinen verbalen Ausfällen gegenüber Ungeimpften einen Vorgeschmack auf seinen Wahlkampf.
Foto: Daniel Cole (POOL AP) | Wer mit seiner Freiheit sich nicht impfen zu lassen die Freiheit der anderen gefährde und das Gesundheitssystem überlaste, sei unverantwortlich, so Macron.

Aufgewühlte Sitzungstage liegen hinter der Nationalversammlung. In Frankreich standen die letzten Tage ganz unter dem Zeichen der Debatte um die Umwandlung des „passe sanitaire“ (3G-Regel) in den „passe vaccinal“ (2G-Regel). Emmanuel Macron heizte die Auseinandersetzung mit der Aussage an, er habe große Lust, die Ungeimpften bis zum Äußersten zu „ärgern“. Bei dem mit „ärgern oder „nerven“ nur sehr euphemistisch übersetzten, der Vulgärsprache zugehörigen Verb „emmerder“ handelte es sich nicht um eine verbale Entgleisung des Präsidenten, sondern um wohlkalkulierte Worte gegenüber der Tageszeitung „Le Parisien“.

Macrons gezielte Provokation

Wer mit seiner Freiheit sich nicht impfen zu lassen die Freiheit der anderen gefährde und das Gesundheitssystem überlaste, sei unverantwortlich. „Und ein Unverantwortlicher ist kein Bürger mehr“, insistierte Macron. Nachdem die Debatte über den „passe vaccinal“ zwei Tage hintereinander zu später Stunde vertagt worden war und ein Teil der Abgeordneten eine Entschuldigung Macrons für seine gezielte Provokation gefordert hatte, wurde die 2G-Regelung in den frühen Morgenstunden des 6. Januar mit 214 gegen 93 Stimmen in erster Lesung angenommen. Der Zugang zu Restaurants, Kinos, Museen, Theatern, Freizeitaktivitäten und öffentlichen Fernverkehr soll damit nur noch für Geimpfte und Genesene möglich sein. Der Zugang zu liturgischen Veranstaltungen unterliegt weiterhin keinen Beschränkungen jenseits der  gängigen Hygienemaßnahmen.

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Verstärkt durch den Resonanzraum des Parlaments haben die Aussagen Macrons zu den Ungeimpften ein breites Echo im Netz, in den Medien und auf der Straße hervorgerufen. Laut den Zahlen des Innenministeriums sind am Samstag über 105 000 Demonstranten in ganz Frankreich unter den Rufen „Macron, on t?mmerde“ auf die Straße gegangen, viermal mehr als bei der letzten Mobilmachung vor den Feiertagen. Gleichzeitig hat eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Odoxa im Auftrag des „Figaro“ festgestellt, dass 66 Prozent der Franzosen für eine Einführung des „passe vaccinal“ sind. Allerdings halten 65 Prozent der Befragten die Aussage Macrons zu den Ungeimpften für unangebracht.

Zweite Amtszeit: Macron hält sich bedeckt

In Bezug auf eine mögliche Kandidatur für eine zweite Amtszeit hält sich Macron weiterhin bedeckt und weist darauf hin, dass eine klare Positionierung seine Kapazität, die brandaktuelle Krise der Omikron-Welle zu managen, einschränken würde. Spätestens nach seinen von der Mehrheit der Franzosen als spalterisch wahrgenommenen Aussagen kann aber kein Zweifel mehr daran bestehen, dass der amtierende Präsident auf den Wahlkampfmodus umgeschaltet hat. Zahlreiche Beobachter analysieren, Macron wolle durch den Gebrauch des archaischen Musters des Sündenbocks den geimpften Teil der Bevölkerung auf seine Kandidatur einschwören. Eine Fokussierung des Wahlkampfs auf die Pandemie mag ebenfalls den Versuch darstellen, von den Themen der Kandidaten Valérie Pécresse, Eric Zemmour und Marine Le Pen abzulenken, die sich allesamt der Immigrationsthematik verschrieben haben, in der Macron nicht punkten kann.

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Die „Républicains“-Abgeordnete Anne-Laure Blin hatte einen Änderungsantrag in die 2G–Diskussion eingebracht, der vorsah, die Wahlbüros „formell von der Liste der Orte auszunehmen, für deren Betreten die 3G- oder 2G-Regel gilt“. Der Antrag wurde vom Parlament abgelehnt. Bereits im Vorlauf zur parlamentarischen Debatte hatte sich der Europaabgeordnete und Philosoph Francois-Xavier Bellamy besorgt in Hinblick auf die fundamentalen Bürgerrechte und den Zustand der Demokratie geäußert. Die Tatsache, dass zukünftig ein negativer Test nicht mehr ausreiche, zeige, dass es sich nicht mehr um sanitäre Maßnahmen handle: „Indem die Regierung den Gesundheitspass auf die Impfung reduziert, verringert sie in keiner Weise das Ansteckungsrisiko; sie zwingt die Franzosen lediglich zu einer Impfung, die jedoch nie gesetzlich verankert wurde.“

Ziviles Klima verheerend

Die Regierung verfalle in einen Widerspruch, der für die bürgerlichen Freiheiten, die Gleichheit vor dem Gesetz und das zivile Klima verheerend sei. „Impfungen sind nicht vom Gesetz vorgeschrieben, aber diejenigen, die sich nicht impfen lassen, sind trotzdem schuldig. Es wird folglich legitim, Mitbürger, die sich keiner gesetzlichen Verpflichtung entzogen haben, zu beschuldigen, zu tadeln, zu schikanieren, zu bestrafen und ihnen sogar absolut grundlegende Rechte vorzuenthalten“, so Bellamy. „In einer Demokratie drückt sich die Souveränität des Volkes durch ein verpflichtendes Gesetz aus, nicht durch versteckten Zwang. Sie garantiert, dass Freiheit die Regel ist, nicht die Ausnahme; sie erkennt an, dass die Grundrechte kein Zugeständnis des Staates sind, das für gutes Benehmen vergeben wird“, kritisierte der 36-jährige praktizierende Katholik, der seit 2019 für die „Républicains“ im Europaparlament sitzt.

Bis Ende der Woche wird der „passe vaccinal“ im Senat debattiert, der unter anderem den Gültigkeitszeitraum der 2G-Regel einschränken möchte, anschließend muss ein Kompromiss zwischen Senat und Nationalversammlung ausgehandelt werden.

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Franziska Harter Emmanuel Macron Marine Le Pen Ungeimpfte Valérie Pécresse

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